Was bringt der sinkende Leitzins den Unternehmen?
06.06.2024 - Lesezeit: 3 Minuten
Heute hat die Europäische Zentralbank den Leitzins um 25 Basispunkte auf 4,25 Prozent gesenkt. Das soll die Wirtschaft ankurbeln. Mit Verlaub: Das könnte etwas arg optimistisch sein. Für Unternehmen stellt sich eher die Frage: Investieren oder die immer noch hohen Zinsen nutzen?
Im Kampf gegen die Inflation hatte die Europäische Zentralbank (EZB) zehnmal hintereinander den Leitzins angehoben. Ein erfolgreiches Vorgehen: Im Mai 2023 lag die europaweite Inflationsrate bei 6,1 Prozent, ein Jahr später ist sie auf 2,6 Prozent gesunken. Für die EZB jetzt Anlass genug, den Leitzins vorsichtig zu senken, von 4,50 Prozent um 25 Basispunkte auf 4,25 Prozent. “Unsere Zuversicht ist gewachsen, dass – wenn wir nach vorn schauen – wir auf dem richtigen Weg sind”, begründete EZB-Präsidentin Christine Lagarde die Entscheidung.
Da wir ebenfalls nach vorn schauen: Die Richtung stimmt. Durch die Entscheidung soll die Wirtschaft angekurbelt werden. Günstigere Kredite steigern die Nachfrage und schaffen Anreize für Investitionen. Auch der private Konsum soll durch niedrige Kreditzinsen angeregt werden. Alles richtig, doch insgesamt kein Grund für Euphorie. Ein sanft auf 4,25 Prozent gesenkter Leitzins wird kein ganz großes europaweites Wirtschaftsprogramm auslösen. Zu Jahresanfang hatte die EZB noch laut darüber nachgedacht, den Leitzins um 75 bis 100 Basispunkte zu senken – das wäre ein echter Booster!
Kommt jetzt der Aufschwung?
So weit sind wir (noch) nicht. Deshalb ist fraglich, ob die Unternehmen die EZB-Entscheidung mit mehr als einem Schulterzucken quittieren. Ein sanft sinkender Leitzins ist ein positives Signal für investitionswillige Unternehmen, aber kein echter Trigger. Selbst wenn Banken die 25 Basispunkte der EZB-Entscheidung 1 zu 1 an ihre Kunden weitergeben, wird sich der Investitionsstau der vergangenen beiden Jahre kaum auflösen.
Tatsächlich stauen sich die Investitionen bei vielen unserer Firmenkunden. Seitdem im Sommer 2022 die Null-Zins-Politik der EZB endete, ist die Nachfrage nach Krediten rückläufig. Stattdessen parken Unternehmen ihr Geld auf Tagesgeld-, Giro- und Festgeldkonten. Wenn sich mal ein Schnäppchen auftat oder eine Investition unvermeidbar wurde, kam das Geld oftmals aus der vorgehaltenen Liquidität. Das ist bis heute so geblieben – und daran ändert wahrscheinlich auch der sinkende Leitzins wenig.
Investieren? Oder die hohen Zinsen nutzen?
Allerdings signalisiert der sinkende Leitzins einen Kurswechsel der Europäischen Zentralbank. Das Ziel, die europaweite Inflationsrate auf 2,0 Prozent zu drücken, ist fast erreicht. Jetzt geht es darum, eine stabile Inflationsrate zu bewahren und gleichzeitig investitions-anregende Impulse zu setzen. In dieser Phase müssen auch unsere Firmenkunden nachjustieren: Welche Investitionen stehen an? Wie teuer (oder preiswert) müssen Kredite sein, um diese Vorhaben anzugehen?
Umgekehrt muss auch die Einlagenseite betrachtet werden: Ist das Geld auf einem Tagesgeld- oder Festgeldkonto wirklich optimal aufgehoben? Wie sinnvoll ist es, Geld beispielsweise für ein Jahr festverzinslich oder in geeigneten Wertpapieren anzulegen – und zwar schnell, bevor die EZB den Leitzins weiter senkt? Ist es vielleicht sogar sinnvoll, gewisse Beträge für einen längeren Zeitraum – zwei oder drei Jahre – mit dem derzeit noch hohen Zinssatz anzulegen? Natürlich fahren Unternehmen am liebsten auf Sicht, um Chancen nutzen und schnell reagieren zu können. Aber das muss ja nicht heißen, ohne Not auf lukrative Zinsen zu verzichten.
Der Kurswechsel der Europäischen Zentralbank wirft für deutsche Unternehmen spannende Fragen auf: Wie soll sich unser Geschäftsmodell in den nächsten zwei, drei Jahren entwickeln? Wann wollen wir welche zurückgestellten Investitionen angehen? Welche Liquidität habe ich und brauche ich als Unternehmen? Wie legen wir liquide Gelder so sinnvoll an, dass wir auf der einen Seite flexibel sind und auf der anderen Seite nicht auf Zinsen verzichten?