Mit den Driller Queens wird das Handwerk diverser

19.02.2025 - Lesezeit: 8 Minuten

Eine Frau steht mit verschränkten Armen vor einer Spüle und hat einen Akkuschrauber in der Hand
© Marcel Schwickerath

Das Handwerk ist golden, allerdings noch sehr männlich geprägt. Das ändert Charly Machin mit einem inklusiven Handwerksbetrieb: Ihr Startup Driller Queens mischt die gesamte Branche auf.

Heute hat Mar Soulier nur noch die Borgers auf dem Zettel. Neue Kantstraße, Penthouse, fünfter Stock. Die Aufgabe: Ein Küchenregal aufhängen und ein Schild, auf dem „Laundry“ steht. „Acht Löcher, easy“, sagt Mar. Vor zwei Jahren ist Sarah Borger mit ihrem Mann und den zwei Maine-Coon-Katzen aus Kalifornien nach Berlin gezogen. Dass sie Amerikaner sind, verrät schon der übergroße Kühlschrank samt Eisspender. Kaum etwas haben die Borgers in ihrer Wohnung selbst gemacht. „Wir haben vier linke Hände“, sagt Sarah Borger. „Fast drei Wochen lang waren die Driller Queens bei uns.“ 

Die Driller Queens sind ein inklusives, queer-freundliches Startup in Berlin. Nicht nur „Königinnen“, jedes Geschlecht ist im Team willkommen. Charly Machin hat den Betrieb gegründet. Für Menschen wie die Borgers, die einfach keine Lust haben, Glühbirnen einzuschrauben, Wände zu streichen, Vorhangstangen zu befestigen oder Regale anzudübeln. Und für Menschen, die keine Angst vor Diskriminierung haben wollen, denen vielleicht auch schon der scheinbar harmlose Spruch des Klempners zu übergriffig ist. Bei den Driller Queens finden sie eine Queen für alles. So wie Mar Soulier.

80 Prozent der Kund*innen sind Frauen oder queere Personen

Profilbeld von Charly Machin
Charly Machin

Das Handwerk in Deutschland ist golden, es ist aber auch männlich. Nur jede zehnte Mitarbeiterin in Handwerksbetrieben ist eine Frau. Und als Mieterin muss man meist die (männlichen) Klempner, Maler und Elektriker in die Privatsphäre lassen, die von der Hausverwaltung vorbeigeschickt werden. „20 Prozent unserer Kunden sind Männer, 80 Prozent Frauen, nicht binäre oder queere Personen. Sie fühlen sich mit einer Driller Queen, die sie versteht, oft wohler“, sagt Machin. Auch Mar identifiziert sich als nicht binär, deshalb wird Mar Soulier in diesem Text auch nur mit Namen, aber ohne Pronomen genannt. 

Mar trägt Lidstrich und einen Karabiner in Regenbogenfarben am Gürtel, einen weiteren an der Halskette. Die Bohrlöcher für die Küchenregale der Borgers sind schnell vorgezeichnet, darunter klebt mit Gaffa Tape ein offener Briefumschlag, „um die Bohrasche aufzufangen“. Mar ist in Kleinvillars aufgewachsen, einem 400-Seelen-Dorf in Baden-Württemberg. Als nicht binärer Mensch war klar, dass man dort recht schnell das Weite sucht. Mar jobbte in London, arbeitete für die Deutsche Welle. „Doch ich wollte lieber mit den Händen arbeiten“, sagt Mar. Das handwerkliche Talent kam vom Vater. „Als er unser Haus gebaut hat, durfte ich überall mithelfen.“ In Berlin entdeckte Mar erst ein queeres Tischlerinnen-Kollektiv in Kreuzberg, dann die Driller Queens. Fast geräuschlos verrichtet Mar ihre Arbeit bei den Borgers. Als schließlich das Regal und das Laundry-Schild hängen, hat man eher das Gefühl, eine gute Fee sei da gewesen.

So nachhaltig handwerken wie möglich

Die Kommandozentrale der Queens ist am anderen Ende der Stadt, in Oberschöneweide. Stolz führt Charly Machin durch ihr „Castle“, ihre Werkstatt in einem Hinterhof. Die alte KFZ-Werkstatt erinnert ein bisschen an die Tischlerei von Meister Eder und seinem Pumuckl. Es ist ihr Reich, ihr Safe Space, von dem aus sie die Einsätze ihrer Queens vorbereitet. Für handwerkliche Reparaturen verlangt sie 65 Euro pro Stunde. Kunden mit Leiter bekommen etwas Rabatt, weil die Queens dann nicht mit Auto, sondern mit Rad oder Bahn kommen können. „Wir arbeiten so nachhaltig, wie es geht“, sagt Machin. Ihren Queens zahlt sie 33 Euro die Stunde, 50 Prozent über Branchendurchschnitt, sagt die Gründerin. Noch immer liebe sie es, selbst bei den Kunden zu sein.

Im Haus in Wales, in dem sie aufgewachsen ist, sei eigentlich ständig renoviert worden. Gelernt hat sie alles von ihrer Mutter. „Die war handwerklich viel begabter als mein Vater.“ Machin zeigt ein Foto, auf dem sie an einer Werkbank steht und ein Holzbrett zurechtsägt. Da war sie drei Jahre alt. Als sie nach Berlin kam, arbeitete sie dennoch erst als Brand-Designerin. In ihrer Freizeit tingelte sie mit Rad und Werkzeugkasten durch die Stadt, um Dinge zu reparieren. Als „Girl with a drill“, machte sie sich auf Facebook einen Namen. Schon bald lief diese Arbeit so gut, dass sie ihren alten Job kündigte. 2019 war die Idee der Driller Queens geboren. „Dann kam Corona und wir konnten uns erst recht nicht mehr retten vor Aufträgen.“ 

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Lektionen aus dem Baumarkt

Wer verstehen will, wie Frauen oder queere Menschen sich fühlen, wenn es ums Heimwerken geht, dem empfiehlt Charly Machin einen Aufenthalt im Baumarkt. Dort werde man mit „falschem“ Outfit entweder gar nicht bedient, belehrt oder belächelt. Sie erinnert sich an einen heißen Sommertag. Sie trug ein Sommerkleid und wollte sich ein langes Stück Holz an der Längsseite zusägen lassen. „So geht das nicht“, war die Reaktion. „Ich kam im Blaumann wieder und plötzlich ging es“, sagt sie. Auch Männer würden oft genug zu spüren bekommen, dass sie keine Ahnung haben, sagt Machin, nur weil sie einen Ringschlüssel nicht von einem Maulschlüssel unterscheiden können.

Dürfen auch heterosexuelle Männer eine Driller Queen werden? „Die meisten denken, wir würden nur mit Frauen und für Frauen arbeiten, dabei geht es uns um Inklusion und Diversität“, sagt Charly Machin. Unter den inzwischen 18 Queens sind auch zwei Männer, „und die sind großartig”. „Wir wollen nicht nur ein Safe Space für Frauen sein, sondern die gesamte Branche verändern und neue Standards etablieren“, sagt sie. Heute seien die meisten Kunden doch schon zufrieden, wenn ein Handwerker einfach nur pünktlich sei. „Wir wollen keine Alternative sein, sondern das neue Normal.“

In diesem Jahr will Charly Machin mit den Driller Queens in andere deutsche Städte expandieren, vielleicht Hamburg, Stuttgart und Leipzig. „Köln wird wohl die erste Stadt sein“, sagt sie. Franchise-Partner sind willkommen – der Erfolg ist nach den Erfahrungen in Berlin fast schon garantiert.

Förderungen für Startups im Handwerk in Berlin und Brandenburg

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