Revitalisierung: Neues Leben in alten Gebäuden
13.08.2024 - Lesezeit: 8 Minuten
Büros zu Wohnungen? Fabriken zu Lofts? Bauernhöfe zu Kulturzentren? Revitalisierung verwandelt triste Bürokomplexe in lebendige Quartiere, stillgelegte Fabriken zu Freizeitstätten und macht darbende Dörfer wieder attraktiv.
Revitalisierung bringt das Leben zurück. Mit einer Vielzahl von Maßnahmen werden vernachlässigte oder ungenutzte Flächen und Gebäude in urbanen, ländlichen oder industriellen Gebieten wieder in einen aktiven und nutzbaren Zustand versetzt. Von einer urbanen Revitalisierung spricht man, wenn Stadtviertel modernisiert und neu gestaltet werden, um die Lebensqualität zu verbessern und die Attraktivität für Bewohner und Unternehmen zu steigern. Dabei werden umweltfreundliche Technologien und Praktiken wie Grünflächen und energieeffizientes Bauen integriert, um nachhaltig zu wirken. Zugleich werden soziale Integration und Gemeinschaftsprojekte gefördert, um die Lebensqualität und das Zusammenleben in städtischen Gebieten zu verbessern.
Wenn möglich, werden dabei alte Industrieanlagen in der Stadt revitalisiert: Stillgelegte Fabriken, Bergwerke und Lagerhäuser werden anders genutzt: zum Wohnen, als Büros, für kulturelle Einrichtungen oder Freizeitstätten. So lassen sich historisch bedeutende Industrieanlagen als kulturelles Erbe im Sinne des Denkmalschutzes bewahren und restaurieren.
Unser Dorf soll lebendiger werden: Revitalisierung auf dem Lande
Revitalisierung geht allerdings über die Stadt hinaus: Um der Landflucht entgegenzuwirken, werden Projekte unterstützt, die Dörfer und Gemeinden wiederbeleben – etwa durch Tourismus oder durch Unterstützung der lokalen Landwirtschaft. Auch auf dem Lande soll die traditionelle Architektur erhalten bleiben. Es gilt, historische Bauernhäuser und Gehöfte zu restaurieren und neu zu nutzen, um die kulturelle Identität der Region zu bewahren. Einher damit geht die Wiederherstellung natürlicher Lebensräume, beispielsweise durch die Renaturierung von Flüssen und Feuchtgebieten, um die Biodiversität zu fördern und ökologische Funktionen wiederherzustellen. Die ökologische Revitalisierung reicht wiederum in die Städte hinein: durch städtische Grünflächen, Parks und Gärten, um das Mikroklima zu verbessern und Erholungsräume für die Menschen zu bieten.
Überall in Deutschland gibt es Revitalisierungsprojekte, einige davon werden landesweit beachtet. Dazu zählt der Emscher Park im Ruhrgebiet, bei dem ehemalige Industrieflächen in Parks, Wohngebiete und Kulturstätten umgewandelt wurden. Für die Hafencity Hamburg wurde ein ehemaliges Hafengebiet in ein modernes Stadtviertel mit Wohnungen, Büros, Geschäften und Kulturstätten transformiert. Und die Zeche Zollverein in Essen, ein ehemaliges Kohlebergwerk, wurde verwandelt in ein UNESCO-Weltkulturerbe und Kulturzentrum.
Leere Büros zu Wohnungen? Warum nicht!
Allerdings denken die meisten Menschen derzeit, wenn sie an Revitalisierung denken, zuerst an leere Büros und deren mögliche neuen Aufgaben. Der Grund: Der Markt für Büroimmobilien wird derzeit neu sortiert. Das liegt an verschiedenen Faktoren. Insbesondere ist das Homeoffice in den Vordergrund gerückt. Das Arbeiten am heimischen Schreibtisch, vielerorts erst während der Corona-Pandemie möglich, wird von den Angestellten als Errungenschaft verteidigt. 24 Prozent von ihnen nutzen zumindest gelegentlich das Homeoffice. Als Folge wird der Bedarf an Büros in den deutschen Metropolen bis 2030 um rund 12 Prozent sinken, prognostiziert eine Studie des Ifo-Instituts und des Immobilienberaters Colliers. Die ersten Unternehmen arrangieren sich mit der neuen Realität und reduzieren schon heute ihre Büroflächen. Das spiegelt sich in steigenden Leerstandsquoten wider, gerade an B- und C-Standorten und bietet Chancen: Zu Wohnungen umgebaute Büroimmobilien könnten die Wohnungsnot lindern.
Der Gedanke ist keinesfalls abwegig. Der Immobiliendienstleister JLL hat errechnet, dass durch entsprechende Umwandlungen allein in den sieben größten Städten Deutschlands mindestens 20.000 Wohnungen entstehen könnten. Haben Gebäude einen einfachen Grundriss, kann der Umbau laut JLL innerhalb von sechs Monaten und der Hälfte der Neubaukosten abgeschlossen sein. „Zumindest theoretisch stimmt das“, sagt Ingo Weiss, Managing Partner des Berliner Bauprojektentwicklers Driven Investment. „In der Realität stehen häufig Planungs- und Baurecht im Weg.“ Deshalb ist Driven-Chef Weiss skeptisch: „Wir werden mit der Revitalisierung leerer Büros die Wohnungsnot nicht beseitigen können.“
Zumal wir ja auch, es ist eine komplizierte Welt, mehr Büros brauchen. Während Büroimmobilien an weniger attraktiven Standorten mit Leerständen kämpfen, steigt parallel die Nachfrage nach Büros in Top-Lagen. Dienstleister JLL sieht allein für Berlin einen Bedarf von 1,2 Millionen Quadratmetern an Büroflächen bis 2030, davon zwei Drittel für top ausgestattete Büros in zentralen oder gut angebundenen Zweitlagen. Laut JLL müsse „die steigende Nachfrage nach modernen und grünen Flächen in der richtigen Lage durch Neubauten und Sanierungen befriedigt werden“.
Paradome: Wie Revitalisierung funktionieren kann
Eine gelungene Revitalisierung braucht mehr als guten Willen: Sie braucht Geld – und Ideen. „Eine Revitalisierung ist nur möglich, wenn es Nutzer mit einem Interesse gibt“, erklärt Drivens Managing Partner Ingo Weiss. Fabrikhallen werden zu großzügigen Lofts umgebaut, weil jemand so wohnen möchte. Aus Kraftwerken werden Museen. In den früheren Kinos am Kurfürstendamm sind Einzelhändler eingezogen, die sich dort in bester Lage präsentieren können. In die Galeries Lafayette in der Friedrichstraße, die im Juli geschlossen wurde, soll die Zentral- und Landesbibliothek einziehen.
Für den Paradome in Babelsberg gibt es bereits einen Nutzer. Im Vorzeigeobjekt von Driven Investment, einer sechseckigen Halle mit einem 48 Meter breiten und 20 Meter hohen Schwedtler-Kuppeldach wurden von 1899 bis 1976 Lokomotiven gebaut. „Heute baut keiner mehr Lokomotiven, und schon gar nicht mitten in Potsdam“, sagt Ingo Weiss. Nun soll im Herbst das Hauptzollamt einziehen, deren Beschäftigte sich bislang auf sechs Standorte verteilen.
Driven revitalisiert den denkmalgeschützten Paradome für eine Investorengemeinschaft. Der Rohbau ist fast fertig, derzeit wird an der Kuppel gearbeitet – da ist handwerkliches Geschick gefragt. Bei der Revitalisierung werden modernste technische Standards umgesetzt und eingebaut, um beispielsweise mit Energie verantwortungsvoll umzugehen.
Der Paradome, gar nicht so weit vom nächsten Wohngebiet entfernt, ist damit zugleich ein Beispiel dafür, wie Arbeiten und Leben wieder näher zueinanderfinden. Die Logik, beides zu trennen, hat sich weitgehend überholt. Die gefragten Büros in Top-Lagen sind deshalb „top“, weil sie umgeben sind von einer lebendigen Nachbarschaft und leicht zu erreichen sind – auch ohne Auto. „Büros und Wohnungen zusammenzudenken – das passt“, sagt auch Ingo Weiss. Ein Durchmischen der Quartiere hält er für wichtig.
Gesucht: Die Nutzer von morgen
Das gilt zumindest grundsätzlich auch für die Büros in B- und C-Lagen. Warum nicht Bürohochhäuser zu Apartments für Studierende oder Sozialwohnungen umwandeln? Es sei nicht immer das Baurecht, das vielversprechende Pläne vereitelt, sagt Weiss. Man müsse sich in jedem einzelnen Fall auch das Tragwerk anschauen, um entscheiden zu können, ob solch ein Umbau technisch überhaupt sinnvoll umzusetzen wäre. Und das Ganze anschließend mit spitzem Stift durchrechnen.
Warum also werden so wenige Büros in Wohnungen umgewandelt? Ingo Weiss zählt die Gründe auf: die gestiegenen Baukosten, die hohen Energiepreise, die gestiegenen Zinsen und das übermäßig komplizierte Baurecht. Nicht zuletzt braucht es die Nutzer von morgen, die sich diese Wohnungen auch leisten können. Erst dann wird trotzdem investiert, um Wohnungen zu schaffen und Quartiere zu revitalisieren.