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Chris Boos steht vor einem großen Monitor und zeigt auf diesen
Chris Boos beim Unternehmer Club Brandenburg der Berliner Volksbank.

11.12.2025 | Lesezeit: 9 Minuten

Chris Boos: „Innovation muss vom Unternehmer kommen, nicht von der Maschine“

Wie können Unternehmen künstliche Intelligenz sinnvoll nutzen – und wo liegen ihre Grenzen? Darüber spricht KI-Unternehmer Hans-Christian Boos und räumt dabei mit verbreiteten Missverständnissen über die Technologie auf. Er erklärt, warum Innovation immer vom Menschen ausgehen muss und welche Chancen gerade kleine Betriebe durch ihr individuelles Erfahrungswissen haben.

Firmenkunden - Digitalisierung - Interview

Das Wichtigste in Kürze

  • KI ist kein selbstständiges Denkwerkzeug: Sie erkennt Muster. Ihr Nutzen hängt von klaren Aufgaben und präzisen Daten ab. 
  • Chancen für kleine und mittlere Betriebe: Individuelles Erfahrungswissen lässt sich mit KI systematisch nutzen und skalieren. 
  • Der Mensch bleibt unverzichtbar: Vision, Verantwortung und Entscheidungen können nicht von Maschinen übernommen werden.

Herr Boos, wenn Sie mit Unternehmerinnen und Unternehmern über künstliche Intelligenz (KI) sprechen – was ist für Sie der wichtigste Punkt?

Dass KI weder eine Zaubermaschine noch ein selbstständiges Denkwerkzeug ist. Viele Menschen gehen davon aus, die Maschine würde verstehen, was wir meinen. Aber KI versteht nichts. Sie erkennt Muster. Und diese Muster sind nur so gut wie das, was wir ihr geben. Wenn ich einem Large Language Model wie ChatGPT eine Frage stelle, bekomme ich eine Antwort – aber die Hälfte davon ist schlicht falsch oder zumindest unvollständig. Das ist kein Fehler der Technologie, sondern ein Missverständnis darüber, wie man sie einsetzen kann und wie nicht.

Dennoch sprechen Sie viel darüber, wie KI Menschen entlasten kann. Wo sehen Sie diese Potenziale?

Indem wir KI wie ChatGPT als das verstehen, was sie sind: ein Interface, eine Schnittstelle zwischen Maschine und Mensch. Früher haben wir Menschen uns an die Software anpassen müssen – wir mussten lernen, wie man SAP-Software bedient, wie Kommandozeilen funktionieren, wie man durch komplexe Interfaces navigiert. 

Heute ist es umgekehrt: Die Maschine soll sich an uns anpassen. Wir schreiben in natürlicher Sprache, was wir wollen und die Maschine übersetzt es. Statt selbst zu lernen, wie man ein Bild bearbeitet, kann ich der KI sagen, dass der Himmel blau sein soll und sie setzt es für mich um. Aber Sprachinterfaces wie ChatGPT sind nur dann wirklich eine Entlastung, wenn im Hintergrund klar definiert ist, welche Aufgabe die KI eigentlich lösen soll. Wenn ich ihr unpräzise oder unvollständige Informationen gebe, kommt etwas Zufälliges heraus, das nur oberflächlich zu meiner Aufgabe passt. 

Viele kleine und mittlere Unternehmen sind der Überzeugung, KI sei eher ein Thema für große Konzerne. Teilen Sie diese Einschätzung?

Überhaupt nicht. Selbst große Konzerne können sich keine „eigene KI“ bauen, auch wenn das oft suggeriert wird. Sie nutzen im Kern dieselben Modelle wie alle anderen. Der eigentliche Unterschied ist: Große Unternehmen haben historisch stärker auf Standardisierung gesetzt – also darauf, Prozesse in klaren, sich wiederholenden Abläufen zu organisieren. Das war früher ein Vorteil, heute kann es ein Hindernis sein. Denn wenn alles standardisiert ist, dann macht jeder dasselbe. Niemand hat mehr einen Differenzierungspunkt.

Gerade kleine Unternehmen haben hier einen strukturellen Vorteil: Sie unterscheiden sich durch individuelle Erfahrungswerte und Entscheidungen. Und genau diese Individualität lässt sich heute erstmals mit KI nicht nur abbilden, sondern auch multiplizieren. KI ermöglicht es, komplexe, nicht standardisierbare Arbeit in einer Form zu unterstützen, die früher unmöglich war.

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Wie sieht das konkret aus?

Nehmen wir Handwerksbetriebe, Bäckereien, Bauunternehmen. Dort basiert sehr viel auf Erfahrungswissen. Ein guter Bäcker weiß, warum ein Teig an einem bestimmten Tag anders reagiert als sonst. Ein Bauunternehmer weiß, warum er auf einer Baustelle eine bestimmte Reihenfolge einhält. Ein Weinbauer erkennt, wie Boden, Wetter, Rebschnitt und Gärung zusammenwirken. Dieses Wissen wurde nie wirklich dokumentiert, auch weil es so vielseitig ist. 

Das Spannende ist: KI kann „individuelles Wissen“ dann nutzen, wenn wir es in nachvollziehbare Informationsbausteine übersetzen. Das bedeutet nicht, dass wir alles perfekt strukturieren müssen. Aber wir müssen fragen: Was hast du getan? Warum hast du das getan? Und was ist passiert? Schon diese drei Fragen erzeugen eine Datenbasis, die KI nutzen kann.

Wie können Unternehmer und Unternehmerinnen damit sinnvoll starten?

Zuerst müssen sie die richtige Frage stellen. Viele warten darauf, dass ein Anbieter ihnen sagt: „Das ist die KI, die Sie brauchen. Und das können Sie damit erreichen“ Das ist ein Fehler. Innovation muss vom Unternehmer kommen, nicht von Anbieter oder gar von der Maschine. 

Wer KI sinnvoll einsetzen will, muss sich zuerst überlegen: „Was würde ich tun, wenn ich keine Restriktionen hätte? Weder Zeit- noch Geld- noch Personalgrenzen?“ Diese Frage befreit den Blick. Danach lässt sich sehr klar erkennen, wo KI unterstützen kann, wie ich als Unternehmer meine Visionen umsetzen kann. Mit dieser Erkenntnis kann ein Unternehmer dann selbstsicher zum Anbieter gehen und fragen „Kann Deine KI genau das hier für mich umsetzen?“

Können Sie ein Beispiel nennen? 

Nehmen wir den Bäcker. Er könnte seine erfahrenen Mitarbeiter zu ihrer Arbeit interviewen und dann die KI mit diesem Expertenwissen füttern. Und danach kann er die KI fragen, wie er etwas völlig Neues backen kann, zum Beispiel ein hohles Brot. 

Woher weiß denn der Bäcker, welches KI-Werkzeug hier das richtige ist? 

Indem er sich selbst schlau macht und recherchiert. Erst sollte er sich fragen, was seine Vision ist. Erst die Vision, dann das Werkzeug. Nicht umgekehrt. Und dann: klein anfangen. Eine konkrete Aufgabe definieren und ein Tool suchen, das diese Aufgabe unterstützt. Das reicht völlig.

Und wie verhindert man, dass KI zu Fehlentscheidungen führt?

Indem man akzeptiert, dass KI kein Ersatz für Denken ist. Ein gutes KI-System ist wie eine Kopie deiner besten Leute. Aber ob etwas sinnvoll ist und überhaupt umgesetzt werden soll, entscheidet der Mensch. Die Maschine kann nicht erkennen, was „wichtig“ ist, was „innovativ“ und was „verrückt“ ist. Das ist die Aufgabe des Menschen, und sie bleibt unverzichtbar.

Das Entscheidende ist: KI kann helfen, komplexe Situationen zu sortieren. Sie kann Muster sichtbar machen, die wir übersehen. Sie kann auch konsequent neue Lösungen aus unserem bestehenden Wissen erzeugen und autonom umsetzen. Aber sie kann nicht die Verantwortung für das wirklich Neue übernehmen. Dafür fehlt ihr der Kontext, die Erfahrung, die Weisheit, die Leidenschaft und der eigene freie Wille – all das, was wir im menschlichen Leben lernen.


Profilbild Chris Boos
Chris Boos

Ihr Experte

Chris Boos

Hans-Christian Boos ist ein deutscher Unternehmer, Informatiker und Geschäftsführer der Almato AG. Er gilt als eine der prägenden Stimmen für künstliche Intelligenz und digitale Automatisierung in Deutschland. 

Profilbild Dr. Caroline Toffel

Ihre Autorin

Dr. Caroline Toffel | Vorständin der Berliner Volksbank

Dr. Caroline Toffel ist seit 2019 Vorstandsmitglied der Berliner Volksbank und verantwortet die Ressorts Beteiligungsmanagement, Firmenkunden, Geld- und Kapitalmarkt, Immobilien und Erneuerbare Energien. Zuvor war sie im Vorstand der Kieler Volksbank tätig. Nach Ausbildung, Studium und Promotion bringt sie langjährige Erfahrung und strategische Expertise in die genossenschaftliche Beratung ein.

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