Negativzinsen als neues Normal?
05.10.2021 - Lesezeit: 9 Minuten

Über die Ursachen, die Folgen und den Umgang mit dem ungeliebten Thema
Als die europäische Zentralbank den Leitzins im März 2016 ein letztes Mal nach unten anpasste, traf sie die historische Entscheidung zu einer bis heute anhaltenden Phase der Nullzinspolitik.
Mit fortlaufender Dauer dieser geldpolitischen Ausrichtung rückte nicht nur für die Banken und Sparkassen, sondern auch für ihre Kundinnen und Kunden, ein neues Phänomen zunehmend in den Mittelpunkt: Das Verwahrentgelt, umgangssprachlich besser bekannt als Negativzins oder Strafzins.
Wir möchten Ihnen in diesem Beitrag zeigen, was es mit dem Negativzins auf sich hat und wie Sie den Auswirkungen der anhaltenden Niedrigzinsphase begegnen können. Im Gespräch mit Heiko Franzke, Marktgebietsleiter Firmenkunden Brandenburg und Experte Research Negative Zinsen, klären wir dabei die wichtigsten Fragen.
Negativzins-FAQ: Die 3 häufigsten Fragen zum Thema Negativzins
Wie hilft mir die Berliner Volksbank, mit dem Negativzins umzugehen?

Dieser Fragestellung wollen wir uns im anschließenden Interview widmen.
Wir sprachen mit Heiko Franzke, Marktgebietsleiter Firmenkunden Brandenburg bei der Berliner Volksbank, und klärten die wichtigsten Fragen in Bezug auf das Verwahrentgelt, Veränderungen auf dem Girokonto und die Zukunft von Geldanlagen.
Herr Franzke, welche Möglichkeiten bleiben jetzt den Kundinnen und Kunden der Berliner Volksbank?
Heiko Franzke: Als regionale Genossenschaftsbank ist uns sehr wichtig, die Unternehmerinnen und Unternehmer mit dieser Frage nicht allein zu lassen. Viele reagierten beim ersten Auftreten der Negativzinsen zunächst mit Verdrängung oder Vermeidungsstrategien, wie der (kurzfristigen) Umdisposition zwischen verschiedenen Banken. Wer die Bank wechselt, schiebt das Problem jedoch nur vor sich her und sieht im schlimmsten Fall dabei zu, wie geeignete Alternativen zunehmend unattraktiver werden.
Für uns steht daher im Vordergrund, über die Ursachen und die weitreichenden Folgen der Niedrigzinsphase aufzuklären. Wir wollen bei unseren Kundinnen und Kunden ein Bewusstsein für die neue Situation schaffen und sie in die Lage versetzen, die Herausforderungen gemeinsam mit uns unternehmerisch anzugehen.
Bei der Suche nach geeigneten Lösungen spielt jedoch nicht nur die Liquiditätsplanung des Unternehmens eine wesentliche Rolle. Vielmehr betrachten wir mit unseren Kundinnen und Kunden die langfristigen Auswirkungen auf sämtliche Vermögensebenen und führen dabei auch die gegenseitigen Wechselwirkungen zwischen privater und betrieblicher Vermögenssphäre vor Augen. Nur so ergibt sich ein optimales individuelles Gesamtkonzept.
Unsere institutionellen Kundinnen und Kunden unterstützen wir darüber hinaus bei der Schaffung geeigneter Anlagerichtlinien. Aufgrund der zumeist gremiengebundenen Entscheidungsstruktur bewegen sich die handelnden Personen oft in einem Spannungsfeld, welches sie vor der Anpassung der zumeist veralteten Anlagestrategie zurückscheuen lässt. Eine klar formulierte interne Anlagerichtlinie gibt hier die notwendige Sicherheit.
Wie sieht denn die Zukunft der Zinsen aus?
Heiko Franzke: Die Situation am Zinsmarkt ist in ihrer Entstehung einmalig. Viele der zur Bekämpfung der Banken- und anschließenden Staatsschuldenkrise ergriffenen Maßnahmen stellten Neuerungen dar, deren langfristige Auswirkungen noch nicht alle absehbar sind. Die Pandemie führte zudem zu weiteren Verwerfungen und hat die Liquiditätsmaßnahmen weiter verstärkt. Auch wenn wir großes Vertrauen in die weitere Erholung der globalen Wirtschaft haben, halten wir eine länger anhaltende Niedrigzinsphase in Europa für ein realistisches Szenario.
Kann man sagen, dass die Altersvorsorge grundsätzlich in Gefahr ist?
Heiko Franzke: Das kommt darauf an, wie die Altersvorsorge aufgebaut wurde. Der reale Zins auf Basis zweijähriger deutscher Staatsanleihen liegt in der Zwischenzeit bei unter minus 4 % p.a. (Quelle Union Investment per 31.08.2021). Aktien, Immobilien oder auch alternative Investments hingegen eilen seit Jahren von Rekordhoch zu Rekordhoch. Wir erleben eine Vermögenswertinflation, die mit einer klassischen Zins- oder Sparstrategie nicht aufzufangen ist.
Wie wirkt sich der Negativzins auf Unternehmerinnen und Unternehmer aus?
Heiko Franzke: Neben den anfallenden Negativzinsen für vorhandene Liquidität, hinterlässt die anhaltende Niedrigzinsphase auch zunehmend Spuren in den Bilanzen. Als eines von vielen Beispielen seien hier die Pensionsrückstellungen genannt, die aufgrund der ausbleibenden Zinserträge zunehmend mit Kapital unterlegt werden müssen, welches sonst für Investitionen zur Verfügung stünde. Auch beim Kauf oder Bau einer Betriebsimmobilie oder der Beschaffung von Rohstoffen sind die Folgen deutlich spürbar. Das derzeitige Marktumfeld beschleunigt zudem die Bildung stiller Reserven, was Kundinnen und Kunden im Zuge einer Neubewertung des Unternehmens, z.B. beim Verkauf oder im Erbfall, mit erhöhten Liquiditätsanforderungen konfrontiert. Zudem unterschätzen viele die Folgen für das private Vermögen auf dem Girokonto, Tagesgeldkonto oder an anderen Stellen.
Hand aufs Herz: Immobilie, Aktie oder Gold?
Heiko Franzke: Diese Frage ist pauschal nicht zu beantworten, denn die geeignete Lösung hängt von den individuellen Rahmenbedingungen unserer Kundinnen und Kunden und dem persönlichen Risikoempfinden ab. Wollen Sie der Belastung von Negativzinsen oder der Vermögenswertinflation aber langfristig erfolgreich begegnen, kommen Sie an den genannten Anlageklassen oder anderen alternativen Investments nur schwer vorbei.
Einige unserer Kundinnen und Kunden scheuen jedoch im ersten Schritt das Risiko einer direkten Investition. Die Gründe dafür sind vielfältig. Einer der wichtigsten Aspekte unserer Anlageberatung liegt daher in der Aufklärung, welche Möglichkeiten ihnen trotz individueller Vorgaben zur Verfügung stehen, um an der Entwicklung der jeweiligen Anlageklassen zu partizipieren. Die Finanzbranche hat in den letzten Jahren deutlich auf die veränderten Bedarfe am Markt reagiert und eine Vielzahl von Produkten geschaffen, um auch risikoscheueren Kundinnen und Kunden geeignete Lösungen anbieten zu können.