Geschäftsmodelle in Zeiten der „Coronomics“

19.02.2020 - Lesezeit: 9 Minuten

Geschäftsmodelle in Zeiten der „Coronomics“

Warum die Überprüfung des eigenen Geschäftsmodells und zukunftsorientiertes Handeln jetzt wichtiger sind denn je.

Im späten Frühjahr 2020 teilten wir mehrheitlich die vage Hoffnung, dass wir bald zur „alten Normalität“ zurückkehren können. Doch jetzt bleibt alles anders. Viele bisherige Spielregeln und Gesetzmäßigkeiten des Marktes haben ihre Wirkung und Gültigkeit verloren. Die Hoffnung auf eine schnelle wirtschaftliche Erholung schwindet zusehends. Willkommen in den Zeiten der „Coronomics“!

Insbesondere die Dienstleistungsbranche und der Einzelhandel werden am längsten und am intensivsten betroffen bleiben. Und dennoch: Diejenigen, die sich schnell angepasst haben, sich weiter anpassen und jetzt staatliche Fördermittel nutzen, werden auch diese Herausforderungen meistern. Doch auf was muss ich dabei achten? Wie erkenne ich die für mich relevanten Faktoren und wie gelingt es mir, mich dem anzupassen?

Die richtigen Fragen

Der erste Covid-19 Lockdown veränderte für alle Branchen die Marktspielregeln. Wer sich schnell anpasste, überlebte bisher wirtschaftlich und wird auch in der „Post Covid-19 Phase“ Erfolg haben. Doch was sind die größten Fehler, die viele der mittelständischen Unternehmer aktuell begehen? Was sind derzeit die größten Vertriebshebel für Mittelständler? Und was sind die möglichen Kostenhebel, die das Unternehmen auch anschließend, also in der Post-Corona-Phase, wieder hochfahren lassen? Wie wird das optimale mittelständische Unternehmen je nach Branche in Zukunft gestaltet sein? Um eine Lösung für die derzeitigen Herausforderungen zu finden, ist es ratsam, zunächst die richtigen Fragen zu stellen und zu unterscheiden, was wir aktuell gesichert wissen und was wir uns aufgrund von Experten- oder Mehrheitsmeinungen erschliessen können.

1. Ist die Pandemie und der erste Covid-19 Lockdown die Ursache oder nur der Auslöser der derzeitigen wirtschaftlichen Probleme?

Es ist erkennbar, dass der erste Lockdown die seit langem schwelenden Strukturprobleme von Branchen und ganzen Volkswirtschaften ungeschönt zum Vorschein gebracht hat. Wir hatten bereits in den letzten Jahren ein geringes Wirtschaftswachstum, global 2019 : 0,6 %.  In vielen Branchen exisitiert schon lange eine Strategiekrise. Vor dem ersten Covid-19-Lockdown ließ sich einiges noch kaschieren, doch durch sinkende Renditen und angespannte Liquiditätslagen werden die strategischen Versäumnisse nun deutlich.

Notwendige Strukturveränderungen wurden durch die Überversorgung durch die Zentralbanken mit „billigem Geld“ verdeckt und sogar stellenweise verhindert.

Als Beispiele seien genannt: Der Einzelhandel mit stationären Kaufhausketten, die Produktion von Bekleidung unter menschenunwürdigen Bedingen mit bis zu acht saisonalen Warenlieferungen, die Automobilindustrie mit fossiler Antriebstechnik, die Tourismusbranche mit immer exotischeren Urlaubszielen und größeren Kreuzfahrtschiffen für den Massentourismus oder die Baubranche, die durch „billiges Geld“ seit über 10 Jahren eine Sonderkonjunktur erlebt und trotzdem am langfristigen und nachhaltigem Bedarf vorbei plant.

All diese Branchen sind früh-, mittel- oder langfristig oder auch jetzt auf einen Schlag von den wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie betroffen.

Nun ist es eine alte Krisenweisheit, dass Unternehmenskrisen aus drei Phasen bestehen:

  1. Strategiekrise: Warum existiert dieses Unternehmen überhaupt?
  2. Renditekrise: Leistet das Geschäftsmodell einen wesentlichen und nachhaltigen Beitrag, der zumeist (noch) in Geld bemessen wird?
  3. Liquiditätskrise: Können jederzeit alle Forderungen unter Beachtung der vereinbarten Zahlungsziele bedient werden?

Es ist erkennbar, dass sich die derzeitige Krise zuerst noch in der angespannten Liquidität widerspiegelt; gleichwohl liegen die Ursachen tiefer. Die derzeitigen staatlichen Kreditprogramme (“Bazooka“) sind vergleichbar mit dem Bemühen, einen antiquierten und  liegengebliebenem PKW mit Motorschaden zum Laufen zu bringen.

Den Tank auf Staatskosten zu füllen kann hier zwar helfen, löst aber das eigentliche Problem nicht. Wenn der Fahrer zudem keinen Führerschein hat und den PKW nicht richtig steuern kann, dann helfen auch ein voller Tank auf Staatskosten und ein von den Kreditgebern reparierter Motor nicht weiter, das Ziel zu erreichen.

Und Covid-19 ist wahrlich nicht das einzige Problem, was aktuell zu lösen ist:

  • Wir haben ein Strukturproblem: Bisher nur Lösungsansätze mit Geld in „alter Systemdenke“.
  • Staatsverschuldung steigt so hoch, dass diese in vielen Ländern untragbar wird: Gefahr von Staatsinsolvenzen.
  • Einkommensverluste von Privathaushalten und Verschuldung von Unternehmen führt zu Zahlungsausfällen und Insolvenzen.
  • Die EZB wird die Nullzinsen bzw. Negativzinsen versteigen, um Staatverschuldungen zu reduzieren.
  • Demografie: Die steigende Gesundheitskosten einer alternden Gesellschaft können durch jüngere Generationen nicht mehr erwirtschaftet werden.
  • Deflation: Flaute auf den Warenmärkten, wg ungenutzter Maschinekapazitäten und Preiseinbruch bei Rohstoffen und Industriemetallen und seltenen Erden.
  • Hohe Arbeitslosigkeit wird zu einem deutlichen Nachfragerückgang und Nachfrageverschiebungen führen.
  • Re-Globalisierung: Um zukünftige Lieferketten zu stabilisieren, werden ausgelagerte Produktionen ins hochpreisige Inland zurückverlagert, was den Trend zur Automatisierung und zum Abbau von Arbeitsplätzen in der Produktion im Inland beschleunigen wird.
  • Protektionismus wird steigen - das trifft eine Volkswirtschaft, die vom Export abhängig ist, besonders.
  • Die Klimakrise ist nach wie vor existent und erfordert Lösungsanstrengungen.
  • Massenarbeitslosigkeit und Inflation haben in der Vergangenheit zu politischen Systemumstürzen geführt.

Vor dem Hintergrund mehren sich Stimmen, die einen konsequenten Umbau der Wirtschaft und Gesellschaft in Richtung von Nachhaltigkeit, Gerechtigkeit und Umweltverträglichkeit fordern. Doch wie sieht der Bauplan dazu aus? Wir wissen es aktuell noch nicht!

2. Wird es „nach der Corona-Pandemie“ so weiter gehen wie „vor Corona“?

The day after Covid-19?

„The day after tomorrow?“ - wie werden diese Tage aussehen? Die derzeitige Krise hat sich bereits tief in das kollektive Gedächtnis von Generationen weltweit eingebrannt.

„The day after Covid-19?“ - wie werden diese Tage aussehen? Bereits heute sind auf Basis von Expertenmeinungen und Meinungsforschern erste Trends für die Post-Covid-19-Phase erkennbar.

Wir werden zukünftig von 3 Phasen sprechen:

  • Vor-Corona
  • Während-Corona
  • Nach-Corona

Zudem ist bereits heute erkennbar, dass viele Entwicklungen und Entscheidungen, die in der aktuellen Krisen schnell und ohne große Strategie umgesetzt werden mussten, hilfreich und nützlich sind.

  • Das Homeoffice geht nie wieder weg.
    Es lässt sich von zu Hause aus nicht nur effektiv arbeiten, sondern auch effektiv führen.
  • Leben und arbeiten im ländlichen Raum wird organisierbarer und lebenswerter.
  • Chancengleichheit der Geschlechter könnte umgesetzt werden.
    Wenn alle von zu Hause arbeiten, wird die Kombination Kinder und Karriere sehr viel beherrschbarer und deutlich normaler.
  • Facilitymanagement muss überdacht werden.
    Wozu brauchen wir dann noch Bürotürme und massive Unternehmenssitze?
  • Geschäftsreisen werden weniger.
    Videokonferenzen boomen und allmählich ist auch der letzte Skeptiker überzeugt.
  • Firmenwagen werden weniger bzw. abgeschafft.
    Die Jungen achten heute bewusst auf den eigenen CO2-Fußabdruck - und auf den ihres Arbeitgebers.
  • Die Digitalisierung legt weiter an Tempo zu.
    Der stationäre-analoge  Handel wird sich weiter verändern. Das Sterben der Niederlassungen oder Filialen wird längst nicht nur die Regionalbanken treffen; Schlüsseltechnologien wie z. B. 3D-Druck werden massenfähig.
  • Digitale Kompetenz wird Basis-Wissen, wie Schreiben, Lesen, Rechnen.
  • Die Innenstädte verändern sich.
    Bürotürme werden zu Wohnraum umgewidmet, der Individualverkehr nimmt ab. Parkplätze können zu Grünflächen und Spielplätzen umgestaltet werden.
  • Das verfügbare Einkommen wird im Durchschnitt geringer.
    Die Nachfrage nach elementare Basisprodukten wird konstant bleiben bzw. zunehmen. Die Nachfrage nach „Spezialitäten“ und Luxus- und Nischenprodukten wird in Summe abnehmen.
  • Öffentliche Mittel.
    Die öffentlichen Mittel werden knapper, denn die Möglichkeiten für Steuererhöhungen sind eng begrenzt, will man die Wirtschaft nicht gänzlich abwürgen. Die öffentliche Hand wird allen Beteuerungen zum Trotz die Nachfrage deutlich herunterfahren. Das werden insbesondere kleinere Kultureinrichtungen und auch die Baubranche mittel- und langfristig spüren.

3. Welche Anforderungen müssen zukünftige Geschäftsmodelle erfüllen?

Geschäftsmodelle für die „Nach-Corona-Phase“ müssen die geänderten Rahmenbedigungen und neuen Marktspielregeln berücksichtigen. Manager dürfen beweisen, ob Sie auch unter den geänderten Rahmenbedingungen „ihr bisheriges“ Geschäftsmodell anpassen können oder besser neu aufsetzen. Die Grundausbildung zukünftiger Manager Generationen wird auf zwei Säulen basieren:

  • betriebswirtschaftliches Verständnis sowie
  • digitales Verständnis.

Wer ein zukünftiges Geschäftsmodell entwickeln möchte bzw. wissen will ob sein Modell zukunftsfähig ist, sollte folgende Fragen berücksichtigen:

  • Zukunftstrends laufen für oder gegen das bisherige Geschäftsmodell?
  • Direkt systemrelevant / Indirekt systemrelevant?
  • Unverwechselbare Positionierung im relevanten Markt?
  • Nutzung der Wirkung der Digitalisierung?
  • Konsequente Nutzung der drei Digitalisierungsgrade?

Wer wird diese Anforderungen erfüllen? Auch da hilft eine alte Krisenweisheit: Diejenigen Unternehmen werden überleben, die konsequent und am schnellsten die Veränderungen umsetzen! Glauben Sie nicht?
Fragen Sie doch mal ehemalige Manager von Katalogversand-Händlern, analog-stationären Kaufhäusern, Reisebüros, Autohändlern, Hoteliers…

Über die Autoren

Dr. Peter Lender
Dr. Peter Lender

Dr. Peter Lender

Peter Lender ist Ökonom und seit 25 Jahren im B2B-Vertrieb und der Umsetzung von Digitalisierungs-Strategien tätig. Er ist Autor des Buches „Digitalisierung Klargemacht" und Herausgeber des Transformationsmagazins. Er ist Experte für Digitalisierungs-Audits und Geschäftsführer der DIGUM GmbH; Mitbegründer der Geschäftsmodell-Werkstatt und der Digitalisierungsakademie.

Matthias Achim Teichert
Matthias Achim Teichert

Matthias Achim Teichert

Neben Seefahrt, Rugby und Studium besitzt er eine vielseitige Vita. Er blickt auf Stationen in der Politik, dem Öffentlichen Sektor, Mittelstand, Beratung und eigenen Start-Ups zurück. Seine akademischen Kompetenzen in VWL, Politik und Verwaltungswissenschaften hat er an der Uni Heidelberg, Uni Oslo und der WWU Münster erworben. Er ist Dozent und Lehrbuchautor und Gründer und Geschäftsführer der #FORTSCHRITT GmbH, Experte für Geschäftsmodelle und Mitbegründer der Geschäftsmodell-Werkstatt.com.