Geschäftsführer, Haftung und Insolvenz

12.11.2020 - Lesezeit: 10 Minuten

Illustration Insolvenzrecht

Zehn Fragen an Dr. Daniel Mohr, Rechtsanwalt und Steuerberater.

Dr. Daniel Mohr
Dr. Daniel Mohr

Dr. Daniel Mohr ist Rechtsanwalt und Steuerberater.

Nach Stationen als Inhouseberater eines börsennotierten Berliner Unternehmens und bei PwC Hamburg leitet er heute den Bereich „Tax & Legal“ der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft BDO am Standort Berlin.

Herr Dr. Mohr, Sie haben schon oft eine Insolvenz begleitet. Wurden da alle Geschäftsführer in die Haftung genommen?

Nein, die Geschäftsführerhaftung knüpft an verschiedene Verpflichtungen an und eine wesentliche ist die Insolvenzantragspflicht. Wenn die verletzt wird, greift die Haftung. Die besteht zum einen gegenüber der Gesellschaft – also seinem Arbeitgeber – und wird durch den Insolvenzverwalter geltend gemacht, zum anderen aber auch gegenüber Gläubigern der Gesellschaft.

Man darf aber nicht vergessen, dass in etwa 30 % der Fälle gar keine Insolvenzeröffnung erfolgt. Mangels Masse wird die Firma einfach in aller Stille beerdigt. Vom Haken ist der Geschäftsführer damit aber noch nicht. Wenn ihn ein Gläubiger haftbar machen will und dafür einen Anhaltspunkt hat, muss er sich verantworten. Aber die Gefahr ist geringer – mit Ausnahme der Verantwortung gegenüber dem Finanzamt.

Unter welchen Umständen haftet denn der Geschäftsführer während eines Insolvenzverfahrens?

Jede Pflichtverletzung kann dazu führen, dass der Insolvenzverwalter beim Geschäftsführer vorstellig wird und Haftung erwartet. Der Geschäftsführer hat eine Prüfungspflicht und wenn er der nicht nachgekommen ist – wenn er die Schräglage seiner Firma zu lange ignoriert, die Insolvenz verzögert und damit anderen Schaden zugefügt hat – dann muss er dafür geradestehen. Insolvenz heißt, es liegt ein Insolvenzgrund vor, also Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung.

Zahlungsunfähigkeit lässt sich relativ einfach feststellen. Bei Überschuldung ist das schon schwieriger. In jedem Fall aber muss der Geschäftsführer dem nachgehen. Er muss über die finanzielle Lage en jour sein; eine Fortbestandsprognose anstellen, um zu sehen, ob das Unternehmen überhaupt eine Zukunft hat. Wenn das Problem Verbindlichkeiten sind, muss er herausfinden, welcher Art die sind. Kann man mit jemandem reden? Kann man Vereinbarungen treffen? Können die Schulden dauerhaft bedient werden?

Und im Zweifelsfall muss er die Insolvenz einleiten. Tut er nichts von all dem, hat er seinen Job nicht gemacht und ist dafür haftbar.

Wie häufig kommt es vor, dass Geschäftsführer gar nicht wissen, dass sie wegen einer Insolvenz in die Haftung genommen werden können?

Erstaunlich oft. Vor allem in kleinen Betrieben und im Mittelstand würde ich von 50 - 80 % ausgehen. Die erfahren erst durch die Forderungen des Insolvenzverwalters, dass sie in die Haftung genommen werden können.

Das ist oft auch der Struktur geschuldet. Geschäftsführer, die meinen nur eine Teilverantwortung zu haben - zum Beispiel über die Produktion - sind oft der irrigen Ansicht, dass sie diese Problematik nicht trifft. Aber jeder Geschäftsführer hat dieselbe Verantwortung. Auch ein „Art Director“ unterliegt der Prüfungspflicht, wenn er Geschäftsführer ist. Der kann hinterher nicht sagen: „Zahlen sind nicht meine Welt. Ich bin hier für die bunten Ideen zuständig.“ Selbst wenn er sich in dem durch seine Jobbeschreibung abgesteckten Rahmen bewegt, kann es sein, dass er rein rechtlich seinen Job nicht gemacht hat und dadurch haftbar ist. Da sind auch Details interessant: Sitzen alle Geschäftsführer an einem Ort? Kann der Geschäftsführer in Köln die Vorgänge in Berlin gekannt haben?

Zusammenfassend kann man sagen, dass Geschäftsführer den Umfang ihrer Verantwortung im Allgemeinen unterschätzen.

Passiert es häufig, dass ein Geschäftsführer als Folge Privatinsolvenz anmelden muss?

Mir selbst ist kein Fall bekannt, in dem ein angestellter Geschäftsführer Privatinsolvenz anmelden musste, weil er im Zuge eines Insolvenzverfahrens haftbar gemacht wurde. Anders sieht es allerdings bei anderen Pflichtverletzungen aus, wie beispielsweise bei Steuerzahlungen. Aber da ist der Insolvenzverwalter raus.

Können angestellte Geschäftsführer, die nicht Inhaber eines Unternehmens sind, ihre Haftung ausschließen?

Nein, das können sie nicht. Mit der Geschäftsführer-Position ist unweigerlich die Haftung verbunden. Ein Geschäftsführer hat Berichtspflichten. Nach 50 % Aufbrauchens des Stammkapitals muss der Geschäftsführer zum Beispiel berichten. Dann kann der Eigentümer entscheiden: Schießen wir da noch Geld rein oder machen wir zu?

Der Haftung bei Insolvenz kann nur entgehen, wer seiner Verpflichtung, zur rechten Zeit Insolvenz anzumelden, nachgekommen ist. Übrigens hilft es auch nicht, das sinkende Schiff einfach zu verlassen. Die Verjährung tritt frühestens drei Jahre nach Austritt aus dem Unternehmen ein.

Größere Unternehmen schließen häufig sogenannte „Director Officers“-Versicherungen ab, die bei Pflichtverletzungen greifen und damit dem Geschäftsführer weitestgehend von Forderungen freistellen. Die Prämien hierfür sind hoch. Aber die gute Nachricht ist: Die Kosten trägt das Unternehmen.

Und wenn der Geschäftsführer nur Anweisungen ausgeführt hat?

Von einem Geschäftsführer wird erwartet, dass er unter allen Umständen seine Pflichten wahrnimmt. Geschäftsführung ist im Kern ja ein Treuhandverhältnis. Das ist der Grund, warum man einen Geschäftsführer auch jederzeit abberufen kann. Auf einen Geschäftsführer muss man sich verlassen können, der muss zum eigenständigen Denken und Handeln in der Lage sein und deswegen wird ja letztlich auch eine gewisse Persönlichkeit erwartet. Umgekehrt kann sich aber auch der Geschäftsführer jederzeit von seinen Aufgaben entbinden lassen, wenn er sich durch weisungsberechtigte Vorgesetzte dazu gezwungen sieht, sich in einer Weise zu verhalten, die er nicht mehr verantworten kann. Und genau das müsste er, um seiner Haftungsverpflichtung zu entgehen.

Wie soll sich ein Geschäftsführer verhalten, wenn er Weisungen erhält, die ihn in die Haftung bei einer Insolvenz bringen könnten?

Vor allem sollte er alles schriftlich machen! Denn am Ende des Tages muss der Geschäftsführer nachweisen können, dass er seiner Pflicht nachgekommen ist. Dass er also wirklich alles versucht hat, sich aber kein Gehör verschaffen konnte. Das funktioniert nur schriftlich.

Übrigens hilft es auch nicht, das sinkende Schiff einfach zu verlassen: Die Verjährung tritt frühestens drei Jahre nach Austritt aus dem Unternehmen ein.

Dr. Daniel Mohr

Es klingt so, als wenn einem Geschäftsführer vor allem die Verzögerung der Insolvenz gefährlich werden könnte. Wo verläuft denn die Grenze zwischen Hoffnung und Insolvenzverschleppung?

Hoffen gehört ganz generell nicht zu den Aufgaben eines Geschäftsführers. Handeln schon.

Nehmen wir mal den Grundfall Zahlungsunfähigkeit. Der ist nicht schwer festzustellen: Wenn fällige Zahlungen nicht mehr bedient werden können. Da gibt das Gesetz die Handlungsverpflichtung klar vor. Ab dem Zeitpunkt der Fälligkeit längstens drei Wochen. Wenn das Problem dann nicht gelöst ist, muss der Geschäftsführer tätig werden.

Er muss nicht nur prüfen, sondern auch Prognosen erstellen. Ergeben diese, dass die Verbindlichkeiten auch in den nächsten drei Wochen nicht erfüllt werden können, wird es eng. Wenn die Deckungslücke weniger als zehn Prozent der Gesamtverbindlichkeiten beträgt, ist das noch in Ordnung. Ist sie aber größer, dann ist eine Liquiditäts- und Fortbestehensprognose für drei Monate erforderlich, die er durchgehend nachprüfen muss.  

Gibt es aus Ihrer Sicht den typischen Fehler, der eine Firma in die Insolvenz führt? Etwas, das sich auffällig häufig wiederholt? Worst Practice sozusagen...

Ja, den gibt es wirklich: Mangelnde Flexibilität, das Festhalten an vermeintlichen Lebenswerken und vor allem auch das Nicht-Hinterfragen von lange gelebten Konzepten. Alle sieben Jahre definiert sich das Leben neu, sagt man. Und in solchen Zyklen sollte man auch Unternehmen beleuchten. Stimmt die Ausrichtung noch? Haben wir noch einen Sinn? Werden wir noch gebraucht?

Wichtig ist: Man muss das nüchtern analysieren. Keine Emotionen. Wenn man merkt, dass man dazu selbst nicht in der Lage ist, holt man sich besser jemanden von außen. Einen Wirtschaftsprüfer zum Beispiel. Es wird generell zu wenig kontrolliert. In Krisensituationen sehe ich selten Fortbestehensprognosen: Klare nüchterne Analysen. Wie lange ist das Unternehmen gesichert? Je länger es dümpelt, desto mehr Schaden wird es anrichten.

Auch das Prinzip Hoffnung ist typisch. Es wird viel zu lange gerudert. Es ist menschlich aber auch traurig zu sehen, was sich Menschen oft über Jahre antun, um ein Unternehmen zu retten, das nicht mehr zu retten ist.

Und wenn wir schon beim nüchternen Überprüfen sind: Das gilt natürlich auch für die eigenen Fähigkeiten. Nicht jeder Erbe ist ein natürlicher Firmenlenker, auch wenn man das Handwerkliche lernen kann. Und zum Thema Haftung bietet die IHK Schulungen an. Diese regelmäßig zu besuchen, erscheint schon sinnvoll.

Die klassischen Fehler: Mangelnde Flexibilität, das Festhalten an vermeintlichen Lebenswerken und das Nicht-Hinterfragen von lange gelebten Konzepten.

Dr. Daniel Mohr

Wenn Sie Geschäftsführern einen einzigen Satz zum Thema Insolvenz auf ihr Kissen sticken dürften, was wäre das?

WER SCHREIBT, DER BLEIBT.

Immer alles schriftlich machen. Vor allem im Konfliktfall. Und so archivieren, dass man selbst unter allen Umständen Zugang dazu hat. Also nicht im Firmen-Email-Account auf dem Firmenrechner. Der wird sofort gesperrt, nachdem die Security einen nach draußen begleitet hat.