Von der Straße in die Galerie
24.10.2019

Ist es Street Art, Urban Art oder Pop Art? Im Culture Pop Studio hat Kunst keine Vornamen. Die neue Galerie in den Potsdamer Platz Arkaden zeigt wechselnde Ausstellungen und gibt der Agentur „Street Art Berlin“ ein temporäres Zuhause.
Berlin in den 1990ern. Während ihre Freunde Comics lesen, ist Diana Marossek in den Straßen Berlins unterwegs. Schon als 13-Jährige entdeckt sie ihre Leidenschaft für Gaffitis, zieht zuerst mit Spraydosen los, dann mit einer Kamera in der Hand. Jeden Tag findet sie ein neues Wandbild, eine Collage oder ein geklebtes Poster in einem Hinterhof. Sie dokumentiert alles und legt damit, ohne es zu wissen, die Basis ihres Berufes.
Zunächst aber biegt die gebürtige Ostberlinerin zu den Betriebswissenschaften ab, schreibt später eine Doktorarbeit in Soziolinguistik und macht dann doch Kunst zum Hauptberuf: 2008 gründet sie gemeinsam mit einem Freund die Plattform Street Art Berlin und stellt ihre gesammelten Fotos online. Die Resonanz allein auf die Facebook-Seite ist überragend: Mit rund 140.000 Followern gehört sie heute zu den größten Foren dieser Art in Europa. Ihr Blog verzeichnet nach eigenen Angaben mehr als eine Million Seitenaufrufe pro Monat.
Netzwerk für Künstler

Heute ist Street Art Berlin eine Agentur, die Künstler für Auftragsarbeiten vermittelt, Veranstaltungen organisiert und ein großes Netzwerk unterhält.
Das Büro in Prenzlauer Berg ist zu klein geworden, erzählt Diana Marossek, die im Frühjahr 2019 mit ihrem Team das Culture Pop Studio in den Potsdamer Platz Arkaden eröffnet hat – „erstmal temporär“, wie sie sagt. Es ist eine Mischung aus Galerie, Büro und Eventlocation. Als wir kommen, wuselt die 35-Jährige zwischen Bürotresen und Leinwänden herum, begrüßt Gäste und bespricht sich mit Künstlern, die vorbeischauen. Und klar, sie nimmt sich Zeit, uns Werke von Künstlern zu zeigen, die sie besonders schätzt.
Es war an der Zeit, die Arbeit von Street Art Berlin sichtbar zu machen und den Künstler unseres Netzwerks Raum zu geben
Diana Marossek

Der erste Eindruck: ein Farb- und Formenrausch, eine große Stil-Vielfalt, angefangen bei Bildern des Street Artists Sam Crew über grellbunte Trabi-Motorhauben von Base 23. Daneben surreale Malerei von Vidam oder detailstarke Wimmelbilder von Rabea Senftenberg, die sich als eine von wenigen Frauen in der Street Art einen Namen gemacht hat. Prominent vertreten ist El Bocho, der als berühmtester Street Artist Berlins gilt. Sein Bild "Mädchen mit Hoodie" hängt im Culture Pop Studio an einer breiten, grau getünchten Wand, vor der auch Lesungen und Events stattfinden. Ein Hingucker für Passanten, die beim Shoppen in den Portsdamer Platz Arkaden nun auch Kunstwerke erwerben können.
Ist das Street Art?
Nicht nur bei El Bocho wird das Klischee von Street Art umgestülpt wie ein Handschuh. Das Culture Pop Studio zeigt Arbeiten von Künstlern, die auf der Straße arbeiten – aber nicht nur. „Viele sind Illustratoren, Maler, Bildhauer, sie sind im Atelier und auch auf der Straße tätig. Aber sie nehmen nicht die Dose und machen mal eben eine Wand. Es ist Tiefe darin“, erklärt Diana Marossek.
So wie bei Christian Rothenhagen, einem Berliner Künstler, Illustrator und Designer, der gerade in die Galerie gekommen ist. Seine Wandbilder und Installationen enthalten die bauliche Essenz von Stadt – Häuser, Laternen, Ampeln und zahllose Leitungen, die sich als Lebensadern durch menschenleere Straßen ziehen. Mit präzisen, filigranen Strichen zeichnet er Momentaufnahmen seiner zwei Lebensorte Berlin und San Francisco. „Beide Städte verändern sich schnell. Ich möchte die Zeit anhalten, will, dass Architekturen nicht in Vergessenheit geraten“, erzählt er. Einige der Brandmauern in seinen Berlin-Bildern existieren schon nicht mehr, weil an ihnen heute Luxusappartement-Komplexe hängen.
Obwohl oder weil er sich wie kaum ein anderer Künstler mit Stadt und Architektur auseinandersetzt, möchte Christian Rothenhagen nicht Street Artist genannt werden. „Das ist ein Begriff, der in meinen Augen die Kunst und die Künstler eher reduziert“, sagt er. Warum? – Weil sich jeder Street Artist nennt, der mal eben einen Sticker an eine Wand geklebt hat. Anders als das setzt sich der 47-Jährige mit dem Urbanen konzeptionell und professionell auseinander. Unter dem Namen deerBLN stellt er in Galerien und Museen aus und arbeitet für Unternehmen, Hotels oder öffentliche Auftraggeber.

Foto 1+3: Die Eröffnungsausstellung zeigt unter anderem Werke von XooooX, Christian Rothenhagen, Sokar, Uno, Vidam und Base 23 | Foto 2: Arbeit des Urban-Art-Trios Ron Miller im Culture Pop Studio
Unternehmen lassen ihre Gebäude verschönern

Die Vermittlung von Künstlern an gewerbliche und private Auftraggeber ist für Street Art Berlin eine Haupteinnahmequelle. So buchen etwa Botschaften Berliner Künstler zur Wandgestaltung in ihrem Herkunftsland. Und auch Unternehmen suchen die Nähe zu Street Artists. Diana Marossek bildet die Schnittstelle, denn sie spricht beide Sprachen: „Wir vermitteln Künstlern gute Aufträge und garantieren andererseits den Unternehmen, dass sie gute Kunst erhalten.“ Dies könne ein Wandbild sein, die Fassadengestaltung oder die Ausstattung ganzer Etagen, inklusive Interior Design.
Galerie und Agentur – ein Geschäft, das komplett volatil ist. „Dass ich mal mehr Bilder verkaufe, dann wieder weniger und dafür Quietscheentchen an Wände montiere oder Science Slams mache, ist für einige schwer zu verstehen“, hat Diana Marossek schon oft erfahren. Die neue Galerie in den Potsdamer Platz Arkaden jedenfalls scheint zu laufen. Es schauen viele Besucher rein, und manchmal kaufen sie auch. Den Vertrag für die Galerie hat Street Art Berlin erstmal bis zum Herbst abgeschlossen. Es ist ein Experiment, das demnächst vielleicht an anderer Stelle fortgesetzt wird.
Denn Planen ist im Kunstgeschäft nicht einfach, weiß Diana Marossek. Macht ihr aber nichts, solange die Passion bleibt, Dinge zu realisieren und an Grenzen zu gehen. Immer noch geht sie durch die Stadt und fotografiert: „Ich muss ja mein Instagram füllen. Es gibt jeden Tag ein Bild aus Berlin.“
Street Art Berlin auf Instagram: _street_art_berlin_