Stark trotz Stress und Krise – Resilienz lässt sich lernen

24.04.2020

Stark trotz Stress und Krise – Resilienz lässt sich lernen
Illustration: Dirk Uhlenbrock

Resilienz ist die Fähigkeit, Herausforderungen trotz hohem Stress zu meistern. Diese Widerstandskraft wird in Corona-Zeiten enorm auf die Probe gestellt – beim Einzelnen, in der Gesellschaft und in Unternehmen. Wie können wir in Krisenzeiten unsere Resilienz stärken? Dazu gibt es viele Möglichkeiten, sagen Psychologen.

Manche Menschen scheinen unter einem unsichtbaren Schutzschirm durchs Leben zu gehen: Konflikte werfen sie nicht um, Stress perlt an ihnen ab, und nach Schicksalsschlägen kommen sie rasch wieder auf die Beine. Resilienz nennen Psychologen die Kraft, Krisen durchzustehen und eine Art seelisches Immunsystem aufzubauen.

Resilienz hilft, Stress und Konflikte zu meistern

Was zeichnet resiliente Menschen aus? Sie malen sich Gefahren nicht lange aus, neigen nicht zum „Katastrophisieren“. Das ist ein wirksamer Schutz, denn Angst führt zu starkem Stress und dieser belastet den gesamten Organismus. Wie robust die Psyche eines Menschen ist, zeigt sich meistens erst dann, wenn er in eine massive Krise gerät – und sie übersteht. Ein bekanntes Beispiel ist Samuel Koch, der sich in der TV-Sendung „Wetten dass…?“ so schwer verletzte, dass er seitdem querschnittsgelähmt ist. Dennoch arbeitet er als Schauspieler und engagiert sich für soziale Projekte. Sein Leben hat sich radikal verändert, aber er hat die Veränderung angenommen und sich auf seine Kraft fokussiert.

Das Wort Resilienz ist vom lateinischen Wort resiliare (abprallen, zurückspringen) abgeleitet und kommt eigentlich aus der Physik. Dort bezeichnet es in der Materialforschung hochelastische Werkstoffe, die nach jeder Verformung ihre ursprüngliche Form annehmen. Die Verhaltensforscher haben den Begriff adaptiert und auf den Menschen übertragen.
Demnach ist resilient, wer die „seelisch-emotionale Widerstandskraft aufbringt, sich von Stress, Krisen und Schicksalsschlägen nicht charakterlich verbiegen zu lassen, sondern das Beste aus einem Unglück macht, daraus lernt und durch die sogenannte Leiderfahrung über sich selbst hinauswächst.“

Was ich tue, bewirkt etwas

Wie gelingen Stressbewältigung und Stressabbau? Neben genetischen Komponenten entwickeln Kinder psychische Widerstandsfähigkeit idealerweise in der Familie. Doch auch Erwachsene können ihre Resilienz trainieren – vor allem mit Hilfe von Freunden, die Sicherheit und Zuverlässigkeit vermitteln. Ein starker Turbo ist die „Selbstwirksamkeitserwartung“: Mein Handeln hat Erfolg. Was ich tue, bewirkt etwas – mit diesem Denken wird das positive Ergebnis wahrscheinlicher. Es baut außerdem Selbstvertrauen auf, auch bei großen Problemen Lösungen zu finden.

Resilienz von Unternehmen – Konflikte nutzen

Die Fähigkeit zur Resilienz gilt als erlernbar – viele Organisationen profitieren davon. Das amerikanische Militär beispielsweise gibt jährlich 100 Millionen Dollar für das Resilienztraining seiner Soldaten aus, um posttraumatischen Belastungsstörungen entgegenzusteuern. Auch in der Wirtschaft gelten Widerstandskraft und Stressresistenz als Erfolgsfaktor. Resiliente Firmen überprüfen ständig ihr Produkt und den Markt. In Krisen bleiben sie beweglich. Sie verändern rasch ihre Strategie und nehmen dabei auch Fehler in Kauf. Ein Gegenbeispiel ist der Handy-Hersteller Nokia, der schnell vom Markt verschwand, nachdem Apple 2007 sein erstes Smartphone vorstellte.

Die Fähigkeit zur Resilienz kann Teil der Unternehmenskultur sein oder werden.

Resilienztrainerin Nicole Willnow

Resiliente Mitarbeiter mit gutem Stressmanagement

Forscher fanden heraus, dass sich resiliente Mitarbeiter dem Unternehmen verbundener fühlen. Sie werden auch seltener krank. Deuten sich Krisen an, verschaffen die Innovationskraft des Einzelnen und die kollektive „Schwarmintelligenz“ der Firma einen Zeitvorsprung. „Jeder einzelne Mitarbeiter verfügt über eine bestimmte Widerstandskraft, jedes Team und sogar das ganze Unternehmen in der Summe. Die Fähigkeit zur Resilienz kann Teil der Unternehmenskultur sein oder werden“, sagt die Resilienztrainerin Nicole Willnow in einem Interview in der ZEIT.

Keine Blaupause: Resilienz und Stressabbau in Coronazeiten

Die Welt erlebt Krisen und deren Auswirkungen zunehmend gemeinsam. Finanzkrise, Konflikte, Klimawandel – und jetzt Corona. Das Besondere an dieser Pandemie ist ihre plötzliche heftige Wirkung auf die Gesellschaft, die Wirtschaft, auf jeden Einzelnen. Und das weltweit. Interessanterweise hat bereits in den 1940-Jahren der Psychologe und Kybernetiker Ross Ashby das „Gesetz der erforderlichen Varietät“ entwickelt. Heißt: Nur Komplexität kann Komplexität kontrollieren. Nur Varietät schlägt die Varietät. Je unvorhersehbarer die Welt wird, desto variabler, elastischer müssen Menschen, Organisationen und Gesellschaftssysteme werden.

Perspektivwechsel macht neuen Blick auf Konflikte möglich

Das lernen wir alle gerade. Wir improvisieren im Homeoffice und in der Kinderbetreuung. Wir halten unsere Meetings im Videochat ab. Und wir sind gezwungen, unsere Arbeitsabläufe oder sogar Geschäftsmodelle in Frage zu stellen. Viele erleben dabei, dass Zusammengehörigkeitsgefühl und gegenseitige Unterstützung die Seele schützen und Stress abbauen. Und was für den Einzelnen so wesentlich ist – die Fähigkeit zur Selbstwirksamkeit und Handlungsfähigkeit – ist für die gesamte Welt gerade essenziell: das schnelle Entwickeln eines Impfstoffs, eines Medikaments oder auch die adäquate Ausstattung von Krankenhäusern. Dieser außergewöhnliche globale Stresstest kann eine Lernerfahrung sein, die unsere Stressresistenz erhöht und uns langfristig stabiler und resilienter macht – gegen die Herausforderungen, die noch kommen werden.

Buchtipp: Raffael Kalisch: Der resiliente Mensch. Wie wir Krisen erleben und bewältigen. Berlin Verlag, Berlin 2017, 236 S., 22,- Euro.

Expertentipps zum Stressabbau

Das Mainzer Leibnitz-Institut für Resilienzforschung leistet Hilfestellung und gibt Empfehlungen zum Umgang mit den Folgen der Corona-Krise.

Akzeptanz und Zuversicht

Die aktuelle Situation ist komplex und die Entwicklung der nächsten Zeit liegt nicht in unserer Hand. Akzeptanz zu entwickeln, kann einen Perspektivwechsel begünstigen, Energie für andere Bereiche freisetzen und es möglich machen, sich schrittweise von belastenden Gedanken zu lösen. Denken Sie daran, dass auch in der Vergangenheit Gesellschaften Krisen bewältigen konnten.

Information und Aufklärung können Gelassenheit fördern

Wichtig ist zu wissen, dass eine 100% Kontrolle über das Leben nicht existiert. Wir sind unserer Unsicherheit aber nicht ausgeliefert, sondern können Strategien nutzen, um Gefühle langfristig zu regulieren, eine positivere Sicht auf die aktuelle Situation zu erlangen. Nehmen Sie regelmäßig Informationspausen, um in Körper und Geist abzuschalten. Suchen Sie auch gezielt nach positiven Nachrichten, etwa der Anzahl genesener Personen. Suchen Sie nicht häufiger als zweimal am Tag nach neuen Informationen – die über vertrauenswürdige und wissenschaftlich fundierte Quellen wie das RKI, die WHO oder das Bundesministerium für Gesundheit stammen sollten.

Perspektivenwechsel

Versuchen Sie immer wieder einen neuen Blick auf die aktuelle Situation oder den aktuellen Konflikt zu werfen. Dabei kann es helfen, Ihre Aufmerksamkeit auf positive Aspekte zu richten. Wie können Sie die Situation positiv für sich nutzen? Vielleicht bietet diese Zeit Chancen, mehr Selbsterkenntnis zu erlangen. Möglicherweise stellt sich auch das Gefühl der Dankbarkeit ein, wie reich unser Leben hier in Deutschland ist und wie gut die medizinische Versorgung.

Routinen zum Stressabbau beibehalten oder aufnehmen

Treiben Sie Sport, schlafen Sie ausreichend, ernähren Sie sich gesund. Sorgen Sie für eine Tagesstruktur. Entspannungstechniken wie Progressive Muskelentspannung, Achtsamkeitstraining helfen bei der Stressbewältigung. Halten Sie Soziale Kontakte aufrecht. Kümmern Sie sich um die Menschen in Ihrem Umfeld. Bieten Sie Unterstützung an. Wenn Sie anderen helfen, werden Sie dafür etwas zurückbekommen. Versuchen Sie gemeinsam, der Krise den Beigeschmack einer Katastrophe zu nehmen.