Was tun, wenn der Leitzins steigt?
23.06.2022 - Lesezeit: 6 Minuten
In den nächsten Wochen wird die Europäische Zentralbank voraussichtlich den Leitzins erhöhen – zum ersten Mal seit elf Jahren. Zwei Experten der Berliner Volksbank erklären, wie sich das auf Unternehmen auswirkt und geben Tipps für eine optimale Finanzierungsstrategie.
Die Europäische Zentralbank (EZB) hat angekündigt im Juli den Leitzins um mindesten 0,25 Prozent zu erhöhen. Mit welchem Ziel?
Daniel Tilsch: Die wichtigste Aufgabe der EZB lautet: Preisstabilität im Euro-Raum gewährleisten. Dieses Ziel hat sie erreicht, wenn die mittelfristige Teuerungsrate bei 2 Prozent liegt. Gleichzeitig hat sich die EZB dazu verpflichtet, die Konjunktur im Euroraum zu unterstützen. Aktuell ist die Zentralbank in einer misslichen Lage: In den letzten Monaten hat die Inflation fast alle Marktteilnehmer:innen überrannt. Das merkt jede:r beim Einkaufen im Supermarkt. Auf der anderen Seite reduziert sich im Zuge der aktuellen Krisen das Wirtschaftswachstum. Die Festlegung des Leitzinses ist nur eines von mehreren Steuerungsinstrumenten, um Preisstabilität zu erreichen bzw. Wirtschaftswachstum zu stimulieren. Hier kommt es also auf das richtige Maß an. Bei einer Erhöhung verteuern sich die Refinanzierungsbasis für die Banken und letztlich die Kredite für Kundinnen und Kunden.
Der Experte
Daniel Tilsch verantwortet seit knapp 3 Jahren das Geld- und Kapitalmarktgeschäft der Berliner Volksbank eG. Schwerpunktthemen des Bereichs sind neben den kapitalmarktorientierten Eigenanlagen auch das Liquiditätsmanagement sowie die Steuerung des Zinsänderungsrisikos der Bank. Zuvor war er unter anderem mehrere Jahre für das Personal-, Finanz- und Teile des Risikocontrollings verantwortlich. Daniel Tilsch hat einen MBA in St. Gallen sowie ein Diplom-Betriebswirtschaftsstudium in Berlin absolviert.
Werden dadurch die Kredite teurer?
Daniel Tilsch: Der Effekt der Leitzinserhöhung sollte nicht überbewertet werden, denn seit Jahresbeginn sind die Zinsen für langfristige Kredite bereits deutlich gestiegen. Wir haben in den letzten sechs Monaten einen so starken Zinsanstieg erlebt wie seit über 20 Jahren nicht mehr. Aktuell kommen verschiedene Krisenherde zusammen, u.a. belasten Corona und der Krieg in der Ukraine nach wie vor Lieferketten, Rohstoffversorgung und Energiepreise. Dazu kommt immer spürbarer der Fachkräftemangel. Das hat zu einer angebotsseitigen Inflation geführt, also die Preise für Produkte und Dienstleistungen sind deutlich gestiegen. Das führte zu dem Anstieg der mittel- bis langfristigen Zinsen. Dadurch wurden bereits langfristige Kredite teurer, wobei die ganz kurzfristigen Zinsen immer noch negativ sind. Ein deutliches Sinken der Zinsen in den nächsten Monaten erwartet kaum eine Marktteilnehmer:in.
Thomas Killius: Im Endeffekt treibt die Zinswende die Kosten für Fremdkapital in die Höhe. Die Zinsen über fünf Jahre sind zum Beispiel in den letzten Monaten über 2 Prozent gestiegen. Das ist aber längst nicht das Ende der Entwicklung. Im Gegenteil, wir befinden uns vermutlich erst am Anfang eines klassischen Zyklus steigender Zinsen, der in der Regel zwischen drei und vier Jahre dauert.
Was ändert sich bei einer Erhöhung des Leitzinses für Guthaben?
Daniel Tilsch: Ein Großteil der Kundeneinlagen ist täglich fällig, die Kund:innen können also täglich über diese Guthaben verfügen. Daher orientiert sich deren Verzinsung an kurzfristigen Zinssätzen. Diese sind bis heute noch negativ. Sollte die EZB allerdings den Leitzins wie geplant erhöhen und den Banken wieder etwas Spielraum geben, wird die Berliner Volksbank die Verzinsung von Einlagen selbstverständlich anpassen. Das ist ein wichtiges Zeichen.
Wie können Unternehmer:innen bei Finanzierungen auf steigende Zinsen reagieren?
Thomas Killius: Unternehmer:innen benötigen für ihr Zinsmanagement, also für die Kosten für Fremdkapitel, heute besondere Wachsamkeit. Das gilt für Working Capital und für langfristige Finanzierungen.
Was meinen Sie damit?
Thomas Killius: Die Zeiten sind so unsicher wie selten zuvor. Daher ist Sicherheit ein entscheidender Faktor bei Krediten. Unternehmer:innen sollten ein aktives Zinsmanagement betreiben und zum Beispiel Fremdfinanzierungen, die vielleicht in zwei oder drei Jahren fällig werden, bereits heute mit Bankberater:innen auf den Prüfstand stellen. Zusammen können sie ein bestimmtes Darlehen entwickeln, das dem Unternehmen mittelfristig Sicherheit gibt. Wer von in Zukunft steigenden Zinsen ausgeht, und davon gehen alle Expert:innen aus, kann sich heute einen guten Zins sichern. Mit einem kleinen Aufschlag, der den steigenden Zinssatz absichert.
Der Experte
Thomas R. Killius verantwortet seit 2013 den Bereich Firmenkunden der Berliner Volksbank mit rund 250 Mitarbeitenden. Täglich begeistert er sein Umfeld für die Kreativmetropole und die Dynamik der Wirtschaftsstandorte Berlin und Brandenburg. Er ist ein anerkannter Führungs- und Vertriebsexperte. Thomas Killius hat neben einem Generalmanagementstudium an der St. Galler Business School in Harvard das AMP Programm absolviert.
Welche Faktoren sind bei der Entscheidung für Investitionen wichtig?
Thomas Killius: Unternehmer:innen sind bei Investitionen aktuell in einer schwierigen Lage. Sie müssen sich mit Währungskrisen beschäftigen, Lieferketten im Auge behalten und dann noch Corona-Effekte berücksichtigen. Viele zögern und fragen sich: Soll ich lieber darauf warten, dass sich die Krisenlage verbessert und in Kauf nehmen, dass mir die Zinsen davon laufen? In der aktuellen Lage gibt es keine einfachen Lösungen, sondern man muss mit innovativen Finanzinstrumenten arbeiten. Daher sollten Unternehmer:innen die für sie passenden Sicherungsinstrumente am Kapitalmarkt nutzen. Zum Beispiel können sie zusammen mit Bankberater:innen ihre Kredite mit variablen Verzinsungen absichern. Zinsmanagement ist heute für Unternehmer:innen eine entscheidende Disziplin.
Daniel Tilsch: Gerade was Preisabsicherung angeht, kann die Berliner Volksbank mit den Partnern der Genossenschaftlichen Finanzgruppe viele Möglichkeiten anbieten. Zusammen mit der DZ Bank Gruppe können wir umfassende und ganzheitliche Finanzierungsangebote darstellen und gleichzeitig mit unseren zahlreichen Berater:innen direkt vor Ort bei Entscheidungen zur Seite stehen. Natürlich kostet eine Absicherung von Risiken.
Was heißt das konkret?
Thomas Killius: Wir analysieren mit den Kund:innen bestimmte Risiken von Zinspositionen und entwickeln gemeinsam Sicherungsstrategien für Fremdkapitalkosten. Wir optimieren Zinspositionen, präsentieren passende Finanzinstrumente wie Derivate und stellen den Zugang zu öffentlichen Förderprogrammen her.
Wie hat sich die Beziehung zwischen Kund:innen und Kreditinstitut verändert?
Thomas Killius: Unter den aktuellen Bedingungen ist die Aufnahme eines Kredits keine kurzfristige Zweckgemeinschaft zwischen Kund:innen und Kreditinstitut. Wir bieten unseren Kund:innen weitere Beratungskomplexe. Es geht um eine Strategie, bei der Zinsen nur ein Teil eines großen Puzzles sind. Bei einer strategischen Beratung geht es um die entscheidende Frage: Wie stelle ich mich langfristig als Unternehmer:in auf?