Kreative Berliner Unternehmen in der Coronakrise
20.05.2020 - Lesezeit 5 Minuten
In der Coronakrise verkaufen Unternehmen rohen Teig statt Pizza, erschließen ungeahnte Quellen für Toilettenpapier und finden einen Weg, um zu Hause Schlange zu stehen.
„Was mache ich nur mit meinen Näherinnen?“, fragte sich Jan-Henrik Maria Scheper-Stuke, Geschäftsführer der 1912 gegründeten Manufaktur Auerbach für Krawatten, Hosenträger, Schleifen, Einstecktücher, Kummerbunde und Strümpfe. In der Coronakrise sanken die Umsätze. Nicht nur bei Auerbach – die Epidemie bremst bei zwei von drei Berliner Unternehmen die Geschäfte, meldet die IHK Berlin.
„Da war guter Rat teuer“, resümiert Scheper-Stuke. Ungefähr Mitte März ereilt ihn die rettende Idee: Statt Accessoires aus feinstem Zwirn und Tuch, fertigt seine Manufaktur nun Mund-Nase-Masken an. Die Stücke tragen Namen wie „Aviel“, „Arlo“ oder auch „Bordeaux Anakin“. Die ersten Masken waren gerade im Onlineshop platziert, da kamen auch schon Bestellungen.
Berliner Unternehmen sind innovativ: Auch Näherinnen können in der Krise im Homeoffice arbeiten
Wo Auerbach in der Zeit vor Corona vielleicht sieben bis zehn Pakete am Tag verschickt hatte, sind es auf dem Höhepunkt der Krise bis zu 700 Pakete am Tag. Die Nachfrage ist so hoch, dass Auerbach die Produktion verdreifacht und externe Nähstudios einbindet. „Das hat das Überleben der Manufaktur bedeutet“, sagt Scheper-Stuke. Über 10.000 Pakete mit Masken hat Auerbach schon verschickt. Alle wurden in Deutschland genäht, aus Stoffen, aus denen sonst Fliegen oder Einstecktücher entstehen. Und das im Homeoffice.
Doch nicht alle Beschäftigten können von zu Hause aus arbeiten. In Berlin gibt es aktuell rund 33.000 Arbeitslose mehr als im Vorjahreszeitraum. 250.000 Arbeitnehmer sind in Kurzarbeit – das ist Rekord. Die Nachfrage nach Arbeitskräften geht deutlich zurück. Jedes dritte Unternehmen plant Entlassungen.
Ein Epizentrum der Krise: Supermärkte. Hamsterkäufe. Leere Regale. Doch nicht bei Björn Fromm. Er ist Inhaber von zwei Edeka-Supermarktfilialen in Berlin. „Als das Robert Koch-Institut mit täglichen Veröffentlichungen anfing, ging das langsam mit den Hamsterkäufen los“, erinnert er sich, „da wurde mir schon zum Beginn der Krise klar, dass ich schnell Toilettenpapier bestellen muss.“
Die Bilder der leeren Toilettenpapier-Regale in Supermärkten gehen durch die Republik. Doch bei Fromm geht es während der gesamten Krise nicht aus. „Ich musste überlegen, wo vielleicht Papier ungenutzt herum liegt“, erinnert er sich, „und bin dann auf die Idee gekommen: Großhändler für Hotels!“ Die konnten liefern – nicht nur Toilettenpapier, sondern auch Nudeln, Zucker, Mehl. Und Eier. In 48-Stück-Kartons. Fromm: „Eigentlich eine simple Idee.“
Kreative Ideen helfen Unternehmen in der Krise
Ideen sind das, was Unternehmen in der Krise helfen kann. Das merkt auch das 25hours Hotel in Berlin. Als mehr und mehr Gäste ausblieben und das Ende des Lockdowns kaum abzusehen war, kam der General Managerin Francesca Schiano ein Einfall: „Zimmer als Büros vermieten. Das ist das erste Geld für uns, das wieder reinkommt. Wir sind sehr positiv überrascht.“
Denn im Lockdown fällt vielen Homeoffice-Arbeitern die Decke auf den Kopf. Manche brauchen einen Tapetenwechsel. Also buchen sie selbst oder ihre Arbeitgeber ein paar Tage im 25hours Hotel am Tiergarten mit Blick über das Affengelände – Affengeräusche inklusive. Über 80 Prozent hat das Hotel an Auslastung verloren, mit den Büro-Zimmern füllt sich das 25hours Berlin langsam wieder. „Preise mussten angepasst werden“, beschreibt Schiano, „es ist ein Anfang.“
Der Konjunktur-Einbruch in der Berliner Wirtschaft ist stärker als in der Zeit der Finanzkrise im Jahr 2009. Nur noch 23 Prozent der Unternehmen berichten von guten Geschäften, im Gastgewerbe bezeichnen gar 97 Prozent der Unternehmer die Lage als schlecht.
Zu Hause Schlange stehen: Unternehmen finden Lösung per App
Deshalb lassen sich vor allem die Gastronomen etwas einfallen. Mancher verkauft Boxen zum Selberkochen (wie das Kochu Karu), liefert Essen mit dem Fahrrad aus (wie das Klub Kitchen) oder verkauft fertigen Pizzateig zum Selberbacken. Diese Idee hatte die Pizzeria Standard Berlin. „In der Not müssen wir erfinderisch sein“, sagt Restaurantleiter Tobias Tress, „und sind trotzdem auf Hilfen angewiesen. Aber wir stecken den Kopf nicht in den Sand.“
Trotz aller Ideen bleibt die Gefahr einer Infektion. Der Kontakt zu anderen Menschen lässt sich nicht immer vermeiden, vor allem in Warteschlangen. Ein Team aus Programmierern arbeitet an der App „SafeMarket“, um dieses Risiko zu minimieren. „Es ist ein gemeinwohlorientiertes Projekt“, sagt Christian Hartmann, Sprecher der Initiative. Die App soll Menschen ermöglichen, zu Hause Schlange zu stehen – indem sie ein digitales Ticket ziehen. Sobald abzusehen ist, wann der Nutzer an der Reihe ist - zum Beispiel im Baumarkt - gibt die App ihm ein Signal.
Wenn alles nichts hilft, müssen Lieferdienste ran. Der Gemeinwohl-Bioladen in Charlottenburg liefert Bio-Lebensmittel seit Anfang der Krise vermehrt und kontaktlos an Menschen in Quarantäne, Selbstisolation oder Homeoffice. „Das Interesse an Bio-Produkten hat deutlich zugenommen“, sagt Grit Hallal, Vorstandsvorsitzende des Betreiber-Vereins, „die Leute schauen, woher die Ware kommt. Auch der Umsatz im Laden ist mehr geworden. In der Krise fangen die Menschen an, nachzudenken.“