Die Welt im Jahr 2023: Drei Szenarien für die deutsche Wirtschaft
24.03.2022 - Lesezeit: 3 Minuten
Alle Staaten sind durch Handel verbundene Partner und am Ende wird die Demokratie sich durchsetzen? Dieses optimistische Weltverständnis ist gescheitert, spätestens durch den Einmarsch der russischen Armee in die Ukraine. Er markiert das Comeback von Geostrategie und -politik. Derzeit entstehen überall Szenarien, wie die Welt in einem Jahr aussehen könnte. Wir greifen einen Aspekt aus den drei wahrscheinlichsten Szenarien heraus und fragen: Was kommt auf die deutsche Wirtschaft, auf die deutschen Unternehmen zu?
Szenario 1: Russland zieht sich aus der Ukraine zurück
Die russische Regierung vermeidet Worte wie „Krieg“ oder „Invasion“. Verständlich, denn der offizielle Sinn der Militäroperation besteht ja darin, angebliche Neonazis aus der Ukraine zu vertreiben. Die eigene Propaganda kann der russische Präsident Wladimir Putin nutzen, um einzulenken und das Militär aus der Ukraine zurückzurufen. Die Botschaft ans russische Volk lautet dann: Mission erfüllt! Damit hätte Putin sein Gesicht gewahrt.
Für das russische Volk mag das stimmen, für den Rest der Welt hat Putin seine Maske fallen lassen. Europa hat erkannt, dass Putin sich im Geiste schon bis zum Ärmelkanal vormarschieren sieht. Für Deutschland heißt das: Indem wir Gas, Erdöl und andere Rohstoffe aus Russland kaufen, finanzieren wir einen möglichen Angriff auf uns selbst. Diese unhaltbare Situation wird dazu führen, dass Deutschland sich unabhängiger machen wird von russischen Rohstoffen. Die unvermeidbaren Lieferengpässe werden der deutschen Wirtschaft (und Bevölkerung) zusetzen. Da sich Russland und Europäische Union als Gegner sehen, werden protektionistische Hürden auf beiden Seiten immer höher. Der russische Markt wird deutschen Unternehmen weitgehend verschlossen bleiben.
Szenario 2: Die Ukraine wird russisch, die Sanktionen werden aufgehoben
Die Ukraine kann der militärischen Übermacht Russlands wenig entgegensetzen. Putin lässt sich als Befreier des ukrainischen Volkes feiern. Der Westen erkennt die Annexion an und stellt seine Sanktionen ein. Auf dieses Szenario mit einem hasenherzigen und bequemen Westen setzt Putin. Selbst wenn er recht behält: Die europäischen Staaten haben begriffen, dass mit der Ukraine nicht Schluss sein wird. Welches Land wird danach angegriffen? Moldawien? Das Baltikum? Und dann Polen? Werden die Sanktionen eingestellt, signalisiert der Westen „Ist uns egal!“ Und darf sich nicht wundern, wenn Putins Truppen am Ufer der Oder stehen.
Dieses Szenario ist der geopolitische Offenbarungseid der Europäischen Union. Er bedeutet, dass die Abhängigkeit von russischer Energie und von anderen russischen Rohstoffen so essenziell für die Wirtschaft ist, dass dafür der politische Kotau in Kauf genommen wird. Für die deutschen Unternehmen bedeutet das: Die Rohstoffe kommen weiter, aber ob und wie sie Russland als Markt werden nutzen dürfen, das bestimmt Russland.
Szenario 3: Die Sanktionen bleiben in Kraft, solange die Ukraine annektiert wird
Wirtschaftliche Sanktionen sollen Russland zum Einlenken bewegen. Dieses Druckmittel wirkt, allerdings nur bedingt. Denn zugleich ist die Europäische Union, insbesondere Deutschland, abhängig von russischen Rohstoffen. Verschärft der Westen seine Sanktionen trotzdem weiter, steht China bereit, um Russland zu unterstützen. Die Führungen beider Staaten sind sich darin einig, dass der demokratische Westen dekadent, kraft- und zahnlos ist. Das 21. Jahrhundert gehört, davon ist Peking überzeugt, den Chinesen. Dafür braucht es nicht einmal Kriege: Einfluss lässt sich auch kaufen. Das wird auch Putin merken: In den Szenarien, bei denen China ihn unterstützt, endet Russland als wirtschaftlicher Vasall Chinas.
In der deutschen Öffentlichkeit werden China und seine geostrategischen Absichten oft unterschätzt. Der Anspruch: Weltmacht. Das Wissen darum verdrängen deutsche Unternehmen gern, schließlich bietet China einen riesigen, wachsenden Markt. Die Zeit für diese Mischung aus Naivität und Scheinheiligkeit ist abgelaufen. Die chinesische Unterstützung Putins zeigt: Hier agiert ein Staat ebenso strategisch wie moralbefreit, um sich zur dominierenden Weltmacht aufzuschwingen. „China ist ein lukrativer Markt” greift künftig zu kurz, um die Geschäftsbeziehungen zum Reich der Mitte zu rechtfertigen. Hier ist die Politik gefordert, Leitplanken zu setzen: Wie wollen wir künftig mit der Wirtschaftsmacht China umgehen?
Was bedeutet das für die deutschen Unternehmen?
So unterschiedlich die Szenarien, so einheitlich die Aussage für die deutsche Wirtschaft und für die deutschen Unternehmen: Russland als Markt ist weitgehend verloren. Als Lieferant von Rohstoffen ist und bleibt Russland unverzichtbar, allerdings sind deutsche Unternehmen gut beraten, Alternativen zu finden. Das allerdings wird nicht einfach sein und vielerorts zu Problemen führen.
Gleichzeitig kommt der blauäugige Umgang mit dem chinesischem Machtstreben zu einem Ende. China will technologisch unabhängig vom Westen werden und schafft dies auch zusehends. Damit fällt China mittelfristig als Markt aus für deutsche Unternehmen.
Das Narrativ „Handel durch Wandel“ ist gescheitert. Die Politik wird verstärkt sagen, was möglich und was erlaubt ist – und was nicht. Die globalen Handelsströme werden nicht mehr so global fließen, Europa wird mehr auf sich zurückgeworfen werden. Politisch, aber auch ökonomisch. Schlechte Aussichten für den Exportweltmeister Deutschland.