Explodierende Holzpreise und der ewige Kampf zwischen Gleichgewicht und Ungleichgewicht
10.06.2021 - Lesezeit: 11 Minuten
Die Holzpreise explodieren, es herrscht Kritik an deutschen Exportmaßnahmen und die Zukunft der deutschen Baubranche wird mit Argusaugen beobachtet. Firmenkundenberater Riccardo Reetz erfährt im Gespräch mit den Holz-Experten Carsten Kullik und Burkhardt Schröder, warum die Schwankungen keine Überraschung sind und sich der Markt bis Ende des Jahres erholen wird.
Herr Kullik, die Holzpreise explodieren momentan. Wie neu ist die Situation für Sie?
Carsten Kullik: Marktwirtschaft funktioniert immer und wir haben es in der Vergangenheit schon mehrmals erlebt, dass der Holzpreis aus dem Gleichgewicht gerät, denn die Gleichgewichtssituation scheint auf dem Holzmarkt relativ eng zu sein. Derzeit ist die Situation jedoch anscheinend aus dem Gleichgewicht gekommen.
Das klingt nicht so, als würde Sie die jetzige Situation überraschen. Kommt Ihnen das momentane Ungleichgewicht bekannt vor, Herr Kullik?
Carsten Kullik: Bis ins Jahr 2008 sind die Holzpreise immer wieder angestiegen, sie waren stabil und, ja, sie waren auch damals schon hoch, vor allem, weil ein Großteil der Ware bereits 2008 in die USA exportiert wurde. Mit der Finanzkrise 2008 brach jedoch der komplette amerikanische Markt weg. Damals exportierte Deutschland in die USA ca. 4 Millionen Kubikmeter von einer Gesamtmenge von ca. 22 Millionen Kubikmetern. Das war eine riesige Menge, die plötzlich nicht mehr abgenommen wurde.
Welchen Einfluss hatte die Finanzkrise demnach auf die deutsche Holzwirtschaft?
Carsten Kullik: Kaum ein Sägewerk konnte zwischen 2008 und 2016 wirklich einen Gewinn verzeichnen. Die meisten Unternehmen haben es damals gerade so geschafft, von ihren Beständen gelebt und im Zweifelsfall die Produktionen optimiert.
Und wie hat sich der Holzmarkt von 2016 bis heute entwickelt?
Carsten Kullik: Ab 2016 hat sich der Holzmarkt dann stetig erholt. Das erste Quartal 2020 war für uns sogar das erfolgreichste, das wir jemals hatten. Kein Wunder, dass wir davon ausgegangen sind, dass 2020 das beste Jahr in der Geschichte des deutschen Holzmarktes werden würde. Und dann ging ab März 2020 gar nichts mehr. Großhändlerinnen und Großhändler verzeichneten von einem Tag auf den anderen nur noch halbe Umsätze, Sägewerke konnten ihre meist nicht aus Deutschland stammenden technischen Fachleute nicht mehr beschäftigen, weil die Grenzen geschlossen wurden. Die Engländer, die Deutschen, die Amerikaner, die Chinesen – alle waren in Schockstarre.
Was hat zu der heutigen Situation geführt?
Carsten Kullik: Während die Sägewerke kaum noch Personal hatten, wurden die Baustellen teilweise weiterhin bewirtschaftet, trotz Covid-19. Und das führte zu einer Situation, die wir zuletzt 1990 kurz nach der Wende hatten, als plötzlich riesige Mengen an Dachlatten von der ehemaligen DDR nachgefragt wurden. Die Nachfrage war für den recht kleinen Markt von knapp 16 Millionen Einwohnern viel zu hoch, was dazu führte, dass die Preise anstiegen. Kurz danach fingen im letzten Jahr plötzlich alle an, zu bauen. Die Briten haben ihre Gärten verschönert, die Amerikaner haben Zimmer an ihre Garagen gebaut, um aus dem Home-Office arbeiten zu können und die Deutschen haben sich Großprojekten gewidmet, wie dem Ausbau des eigenen Dachgeschosses. Die Nachfrage nach Holz ist einfach extrem angestiegen.
Carsten Kullik ist Geschäftsführer der Kullik & Rullmann AG und leitet damit einen der führenden deutschen Nadelschnittholz-Exporteure, der seit 1895 als Familienunternehmen besteht. Bereits nach der Wende haben sich die Verkaufszahlen des Unternehmens vor allem in Ostdeutschland gesteigert und so die Basis für den Export nach Japan, China, Großbritannien, in die USA und nach Nahost gelegt. Heute hat die Kullik & Rullmann AG Büros in vielen großen Märkten.
Und mit steigender Nachfrage haben sich natürlich auch die Preise erhöht, richtig?
Carsten Kullik: Ja, genau das ist passiert. Die Marktwirtschaft funktioniert, es wird weiterhin viel Holz produziert und deswegen glaube ich, dass es zum Jahresende ein Gleichgewicht geben wird – aber auf deutlich höherem Niveau im Vergleich zum letzten Jahr. Warum auch sollte eine Dachlatte oder ein Kantholz so günstig verkauft werden? Warum sollte ein CO2-neutraler, nachhaltiger, nachwachsender Baustoff nicht auch etwas wert sein? Wir müssen einfach in Zukunft mit höheren Preisen leben. Und auch die Verfügbarkeit wird wieder besser werden – in einem halben Jahr vielleicht, vorher nicht.
Burkhardt Schröder: Ich gehe auch davon aus, dass die Preise frühestens zum Jahresende rückläufig sein werden. Das Vorjahresniveau werden wir auch in Zukunft nicht mehr erreichen. Normal wäre aus meiner Sicht, wenn wir ein Preisniveau sehen, dass sich gegenüber der Zeit vor dem Preisanstieg bei maximal dem Doppelten befindet.
Herr Schröder, gäbe es Maßnahmen, die bereits im Voraus hätten getroffen werden können, um die momentane Situation zu lindern?
Burkhardt Schröder: Das Problem war vor allem in der Tragweite nicht vorhersehbar. Die Erhöhung der Lagerbestände verstärkt das Ganze nur. Als Verarbeitende können wir nur durch vorausschauende Materialplanung und ständigen Kontakt mit der Industrie und dem Handel die Situation verbessern.
Werden sich die steigenden Holz- und Rohstoffpreise auch auf die Bauwirtschaft auswirken?
Carsten Kullik: Bauunternehmen werden den Anstieg der Holzpreise natürlich spüren und das wird vor allem in Verhandlungen mit Kundinnen und Kunden zu Problemen führen. Viele sind momentan an Verträge gebunden, die vor der Pandemie verhandelt wurden. Gleichzeitig wird es auch schwierig sein für alle Holzhändlerinnen und Holzhändler, die nicht auf die Qualitätsware gesetzt, sondern Holz eher aus Russland oder dem Baltikum importiert haben. Denn diese liefern jetzt nicht mehr nach Deutschland, sondern in die USA. Das wird einen großen Einfluss auf viele deutsche Bauunternehmen haben.
Burkhardt Schröder: Ich sehe auch bei der Materialverfügbarkeit und den Materialkosten ein Problem. Das Gleiche gilt für den Fachkräftemangel und die Finanzierung der Bauvorhaben.
Herr Schröder, sehen Sie demnach auch einen Einfluss der Energiewende und des Trends zu grünen Technologien auf die Holz- und Rohstoffpreise?
Burkhardt Schröder: Ja, da Holzbau eine der besten Alternativen im Bausektor zur Verbesserung der Klimabilanz ist, wird die Nachfrage durch private und öffentliche Bauherren allein in Deutschland verstärkt. Auch die Verschiebung des Anteils der Bauvorhaben in Richtung Holzbau geht einher mit dem Einsatz grüner Technologien. Geringerer Heizwärmebedarf und verbesserter sommerlicher Hitzeschutz stehen in enger Verbindung mit dem Einsatz moderner Heiz- und Anlagentechnik.
Burkhardt Schröder baute bereits 1995 ein Bauunternehmen auf, bevor er 2003 die MAX-Haus GmbH gründete. Inzwischen produziert das Unternehmen am Standort in Ruhlsdorf (LK Barnim) jährlich 20 bis 25 individuelle Einfamilienhäuser und am zweiten Produktionsstandort in Breydin-Trampe Elemente für den Bau von Mehrfamilienhäusern, Gewerbeobjekten und öffentlichen Gebäuden. Die Unternehmensgruppe beschäftigt aktuell 80 Mitarbeiter. Seit 2017 besteht die MAX-Technik GmbH & Co. KG und erweitert das Leistungsspektrum der Gruppe um die Planung und Ausführung der gesamten Haustechnik.
Sind Exportbeschränkungen eine Möglichkeit, um weitere Schwankungen und Ungleichgewichte auf dem Holzmarkt zu verhindern?
Carsten Kullik: Nein. Es wird in den Medien immer davon gesprochen, dass wir zu viel exportieren. Schaut man sich jedoch die Statistik an, dann sieht man, dass wir von einer Gesamtmasse von knapp 24 Millionen Kubikmeter pro Jahr momentan vielleicht 60.000 bis 80.000 Kubikmeter pro Monat mehr exportieren als zuvor. Und das ist wirklich nicht viel. Gleichzeitig werden Exportbeschränkungen auch auf uns als deutsche Unternehmerinnen und Unternehmer einen Einfluss haben. Wenn wir weniger exportieren, werden wir auch aus gewissen Ländern weniger importieren können. Dies ist ein Kreislauf, der sich auch auf das Gleichgewicht des Holzmarktes auswirken wird.
Burkhardt Schröder: Exportbeschränkungen sind sicherlich keine Entscheidung mit positiver Außenwirkung. Die Beteiligten müssen gemeinsam mit der Politik ins Gespräch kommen und nach langfristigen Lösungen suchen. Es darf nicht sein, dass Meistbietende bevorzugt behandelt und beliefert werden und somit der Spekulation Raum gegeben wird. Für den deutschen Markt müssen wir die Materialverfügbarkeit zu kalkulierbaren Kosten sichern und für uns als Holzverarbeitende bleibt nur der enge Kontakt zur Industrie, zum Handel und die Tatsache, dass man einfach ständig miteinander spricht und versucht, aufeinander zuzugehen.
Wer profitiert denn von der Holz- und Rohstoffkrise?
Burkhardt Schröder: Im Holzhandel herrscht eine große Kluft zwischen der eigentlichen Forstwirtschaft und der Holzindustrie. Dabei ist die Forstwirtschaft weder der Auslöser des Problems noch Verursacher der Preissteigerung und das muss man auch berücksichtigen. Die Waldbesitzerinnen und Waldbesitzer bekommen nach wie vor nicht wesentlich mehr Geld für ihr Holz als vorher. Momentan sind vor allem die Sägewerke und die Holzindustrie, die aus dem Holz das Baumaterial herstellen, die Nutznießer.
Wo sehen Sie die größte Herausforderung für Holzhändlerinnen und Holzhändler?
Carsten Kullik: Für das kleine Holzunternehmen ist der Einkauf die größte Herausforderung. Wer bisher immer bei den großen und vor allem seriösen Sägewerken gekauft hat, der wird auch jetzt beliefert. Wer im Holzhandel allerdings immer bei den günstigeren Sägewerken gekauft und die Preise gedrückt hat, der wird jetzt Probleme haben. Die Holzhändlerinnen und Holzhändler müssen jetzt ihre guten Lieferantenbeziehungen spielen lassen. Die zweite Herausforderung ist das Gespräch mit Kundinnen und Kunden. Denn diese erfahren nun, dass sie mittlerweile knapp das Dreifache von den normalen Holzpreisen bezahlen müssen. Aber eigentlich sollten die meisten Kundinnen und Kunden bereits Bescheid wissen und sich auf steigende Preise eingestellt haben.
Kann man sich als Holzhändlerin und Holzhändler bzw. Holzverarbeiterin und Holzverarbeiter vor solchen Preisschwankungen absichern?
Burkhardt Schröder: Die einfachste Methode für Holzverarbeiterinnen und Holzverarbeiter ist, dass man sich bevorratet, also über das normale Maß hinaus. Das würde aber die Verknappung nur noch steigern. Ansonsten sollte man vor allem langfristiger planen und berücksichtigen, dass die Lieferzeiten länger sind als normal. Und wir versuchen außerdem, innerhalb unserer Verbände mit der Politik ins Gespräch zu kommen und darauf hinzuweisen, dass es jetzt für die gesamte Bauwirtschaft ein Problem gibt. Das ist mittlerweile auch angekommen.
Carsten Kullik: In den USA kann man sich außerdem mit Holz-Futures absichern. Wer also baut, kann diese Futures verkaufen und den Gewinn nutzen, um auch höhere Holzpreise zahlen zu können. Sollte der Holzpreis sinken, verliert man wiederum die Investition in die Futures, muss jedoch weniger für das Holz zahlen. Allerdings hängen der deutsche und der amerikanische Holzmarkt nicht zwingend zusammen. Wer also einen Dachstuhl oder Holzhaus in Deutschland bauen möchte, dem werden amerikanische Futures nicht wirklich helfen. Eine Absicherung ist in der Tat schwierig, weil Holzhändlerinnen und Holzhändler heute keinen Vertrag für eine Lieferung im November machen können. Ganz im Gegenteil. Meistens läuft es in Deutschland so, dass man sich auf einen Liefertermin und eine Liefermenge einigt, der Preis dafür aber erst kurz vorher festgelegt wird. So war es schon immer im deutschen Holzmarkt – auch vor, während und nach Krisen wie die momentane Pandemie und die Finanzkrise 2008.