Wie der ambulante Intensivpflegedienst GIP ein selbstbestimmtes Leben ermöglicht
15.09.2022 - Lesezeit: 8 Minuten
Zurück ins Leben – das will jeder Intensivpatient. In ein Leben, das weitergeht, auch wenn fast alles im Körper stillsteht. Doch wer leistet die Pflege außerhalb des Pflegeheims, 24 Stunden lang? Dann sind wir da, sagen Abris Lelbach und Marcus Mann. Sie sind Geschäftsführer des ambulanten Intensivpflegedienstes GIP und wollen schwerstkranken Patienten einen selbstbestimmten Alltag ermöglichen. Zu Hause oder in einer Wohngemeinschaft.
Ein schwerer Unfall – und ein Mensch wird unerwartet intensivpflegebedürftig. Wie können Sie als GIP helfen, Herr Mann?
Marcus Mann:
Die meisten schwerstkranken Patienten wollen nicht ins Pflegeheim, sondern in ihrer Familie bleiben und ein selbstbestimmtes Leben führen. Diese Intensivpatienten können wir pflegen, entweder im eigenen Zuhause oder in einer Wohngemeinschaft – bundesweit. Wir beraten, klären die Kostenübernahme und begleiten in Abstimmung mit den behandelnden Ärzten die Überleitung vom Krankenhaus ins Zuhause. Dort übernimmt dann ein festes Pflegeteam aus der Region die Grund- und Behandlungspflege. Die GIP beschäftigt ausschließlich examiniertes Kranken- und Pflegepersonal, das wir in unserer eigenen Akademie für die Intensivpflege weiterbilden.
Wann ist ein Patient intensivpflege-bedürftig?
Abris Lelbach:
Immer dann, wenn permanent eine Pflegekraft anwesend sein muss. Es sind beispielsweise Patienten im Wachkoma, mit Multipler Sklerose, Querschnittslähmung oder Schädel-Hirn-Verletzungen. Bei Kindern sind es häufig Folgen von Sauerstoffmangel unter der Geburt oder genetische Erkrankungen.
Wie leben Intensivpatienten in betreuten Wohngemeinschaften zusammen?
Marcus Mann:
Im Prinzip wie in anderen WGs auch. Jeder Patient hat ein eigenes Zimmer, und es gibt ein Gemeinschaftsleben – so wie es jedem möglich ist. Gemeinsam mit den Pflegenden feiern sie Geburtstage und Weihnachten – und wachsen zu einer Zweitfamilie zusammen. Vielen tut das gut! Manche WG-Patienten machen in wenigen Wochen mehr Pflegefortschritte als nach vielen Monaten auf Station oder in einer Rehaklinik. Nur bei Kindern stehen wir auf dem Standpunkt: Sie sollten in keine Wohngemeinschaft, sondern in die Familie. In ein Umfeld, in dem sie sich altersgerecht entwickeln können.
Manche Intensivpatienten können sogar in Begleitung eines Pflegers außer Haus ihren Beruf ausüben. Haben Sie dafür ein Beispiel?
Marcus Mann:
Ja, manche Patienten sind berufstätig, obwohl sie beispielsweise querschnittgelähmt sind und beatmet werden müssen. Ein Patient von uns war Finanzbeamter. Er fuhr jeden Tag mit seinem Pfleger zur Arbeit und hat mit Hilfsmitteln 20 Jahre lang normal gearbeitet. Manche Patienten fahren auch mit dem Pfleger in den Urlaub. Ein Wachkomapatient kann das natürlich nicht. Wir versorgen immer bedarfsorientiert.
Sie waren der erste außerklinische Intensivpflegedienst in Deutschland und mussten vieles neu konzipieren, etwa das Qualitätsmanagement nach DIN EN ISO 9001, das eher aus der Industrie bekannt ist. Wie kamen Sie darauf?
Abris Lelbach:
Die GIP-Verwaltung in Berlin ist zugleich Sitz der Elpro, der ehemaligen AEG Ost. Wir fanden dort viele systematische Prozesse vorbildlich, auch wenn Elektroanlagenbau eine völlig andere Branche ist. Da wir bei der GIP in allen Prozessen Qualität und Transparenz schaffen wollten, haben wir die internationale Norm DIN EN ISO 9001 auf ein Qualitätssystem adaptiert, wie es zur Pflege passt. Das war bis dahin nicht üblich und wurde vielfach nachgeahmt. Heute werden wir natürlich in den WGs von der Heimaufsicht und zudem regelmäßig vom MDK geprüft.
Ambulant vor stationär – was spricht dafür?
Marcus Mann:
Mit der ambulanten Versorgung schaffen wir etwas, das sowohl Patienten als auch Pflegebedienstete wollen: Patienten wollen persönliche Zuwendung, Lebensqualität und familiäre Kontinuität. Pflegende wollen sie darin unterstützen. Deshalb haben sie diesen Beruf gewählt.
Abris Lelbach:
Früher lagen Patienten manchmal zehn Jahre auf einer Intensivstation. Das ist aber kein Ort zum Leben. Eine gute ambulante Intensivpflege kann dazu führen, dass Patienten lange stabil bleiben. 20 bis 25 Prozent scheiden sogar aus der Intensivversorgung aus.
Wechseln Pflegekräfte zu Ihnen, weil Sie den Stress im stationären Alltag nicht mehr aushalten?
Marcus Mann:
Der Pflegeberuf ist Beziehungsberuf. Es gibt Pflegekräfte, die es nicht mehr ertragen, nur Minuten für einen sterbenden Patienten Zeit zu haben. Die das nicht mehr mittragen wollen, selbst für doppeltes Geld nicht. An den Schwächen des Systems brennen sie aus. Mit unserem Konzept schaffen wir es, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter länger in der Pflege zu halten, weil sie wieder nach ihren Idealen arbeiten können. Deshalb arbeiten manche sogar noch in der Rente für uns.
Das Gesundheitssystem steht vor zwei demografisch schwierigen Dekaden. Laut Ärzteblatt werden 2030 etwa 500.000 Pflegekräfte fehlen. Ihre Ideen dazu?
Marcus Mann:
Erstens müssen wir mit Menschen aus dem Ausland arbeiten, die nach deutschem Standard qualifiziert sind und sehr gute mündliche und schriftliche Sprachkenntnisse haben. Das zweite Thema ist die Verakademisierung der Pflege. Wir müssen dafür sorgen, dass es genügend Menschen für die Pflege am Bett gibt – und sie einen höheren Nettolohn bekommen.
Wie finden wir den Weg aus dem Pflegenotstand?
Abris Lelbach:
Der Notstand ist bekannt, doch wo sind eigentlich die staatlich organisierten Notstandspläne? Eklatanten Personalmangel haben wir in den 1960er Jahren doch schon einmal mit Gastarbeitern in der Industrie bewältigt. Wir haben heute in Deutschland 1,6 Millionen demenziell Erkrankte. Bis 2050 wird sich die Zahl auf 2,8 Millionen erhöhen. Dafür gibt es in Deutschland kein Konzept, obwohl die Menschen, die es betreffen wird, bereits schon sind. Sehr viel Pflege wird auch über die Familie geleistet, die vom Staat nicht ausreichend finanziell und konzeptionell unterstützt wird. Hier sollte es eine Entbürokratisierung geben. Der administrative Aufwand für Familienangehörige, aber auch Pflegekräfte, ist enorm.
Muss die Frage lauter gestellt werden, wie sich unsere Gesellschaft zu schwachen, kranken Menschen stellt?
Abris Lelbach:
Wir alle können vom einen zum anderen Moment zum Pflegefall werden, egal wie alt wir sind. Wenn ein Kind von Geburt an oder durch einen Unfall schwer geschädigt ist und 60 Jahre lang lebt, ist das rechnerisch gesehen zwar eine Kostenfrage. Doch kenne ich niemanden, dem es das Geld nicht wert ist. Und ja, die Intensivpflege ist in der Häuslichkeit teuer, da examinierte Pflegekräfte monatlich bis zu 730 Stunden Pflege erbringen. Dennoch ist sie deutlich günstiger als eine Versorgung der Betroffenen auf einer Intensivstation oder beispielsweise die Versorgung eines Patienten im Rahmen einer Krebstherapie. Wer will da die Grenze ziehen?
Marcus Mann:
Die außerklinische Intensivpflege ist die einzige Versorgungsform, die ein relativ selbstbestimmtes Leben ermöglicht. Ich würde mich sofort von uns versorgen lassen. Das Konzept der Intensivpflege in der Häuslichkeit – etwas Besseres gibt es aktuell nicht.
Die GIP Intensivpflege ist seit 2001 auf die außerklinische Langzeitpflege von intensivpflegebedürftigen Patienten spezialisiert. In ganz Deutschland sowie in Österreich versorgen Pflegeteams erwachsene Intensivpflegebedürftige und Kinder mit einem breiten Spektrum an Krankheitsbildern – wenn nötig rund um die Uhr und an 365 Tagen im Jahr. Stand 2022 betreuen die GIP und die GIP Bayern etwa 430 bis 500 Patienten mit knapp 2.000 Mitarbeitern. Die GIP Akademie ist das eigene Bildungsinstitut der GIP. Die Ziele des Unternehmens sind die Förderung eines selbstbestimmten Lebens von schwerstkranken Menschen, ihre Integration in die Gesellschaft und höchstmögliche Lebensqualität in einem häuslichen und familiären Umfeld.