Netzwerken als Erfolgsfaktor im Entrepreneurship
21.04.2022 - Lesezeit: 7 Minuten
Im Gründungszentrum der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin in Spandau entwickeln Studierende am Innovationsstandort "Siemensstadt2" Start-up-Ideen, die eng vernetzt mit der Wirtschaft sind. Das hat System. Für Dr. Sven Ripsas, Professor für Entrepreneurship an der HWR Berlin, ist Netzwerken Bestandteil der Ausbildung.
Herr Professor Ripsas, Unternehmertum und Netzwerken sind seit jeher eng miteinander verknüpft. Erst recht bei Start-ups. Kann man Netzwerken lehren?
Gründungsausbildung lebt vom Netzwerken! Wenn ich den Studierenden Entrepreneurship nahebringen will, funktioniert das immer über Rollenvorbilder. In meine Lehrveranstaltungen lade ich daher erfolgreiche Gründer ein, oft sind das Absolventen der HWR Berlin. Aktuell haben zwei sehr erfolgreiche Social Entrepreneurinnen bei uns über ihre Gründungserfahrungen gesprochen: Stefanie Frost von der sozialen Vermittlungsagentur Vostel und Seneit Debese, die eine Audiodeskriptions-App für das barrierefreie Kino an den Start gebracht hat. Mit unseren akademischen Lehrkonzepten können wir helfen, Ideen zu Geschäftsmodellen zu entwickeln.
Entstehen daraus auch neue Verbindungen die Gründerinnen und Gründer nutzen können?
Das passiert immer wieder. Um ein Beispiel zu nennen: Ein Absolvent aus unserem MBA-Studiengang Entrepreneurship und Innovation hat zusammen mit seiner Tochter eine Firma gegründet. Ich habe ihn mit Social-Media-Experten aus meinem Netzwerk zusammengebracht, und diese wiederum haben in das Start-up investiert. Start-up-Entrepreneurship-Ausbildung lebt von der Kombination aus praktischen Erfahrungen und theoretischen Konzepten.
Im Vergleich zu früher – hat sich Netzwerken für Unternehmen verändert?
Früher hieß es immer, du musst als Unternehmer auf Abendveranstaltungen gehen. Das gilt sicherlich auch heute noch. Darüber hinaus braucht man aber ein Netzwerk von Experten, die man inzwischen vor allem online erreicht. Das betrifft insbesondere die Bereiche Social Media und neue Technologien. Man kann Netzwerke heute viel größer und schneller stricken als früher.
Im Gründerzentrum der HWR Berlin, dem Startup Incubator Berlin (SIB), bringen Sie Unternehmen mit Start-ups gezielt zusammen.
Genau. Wir haben unser Gründungszentrum bewusst auf dem Gelände des Standorts Siemensstadt2 in Spandau angesiedelt. Es ging uns darum, für die Studierenden eine Atmosphäre zu schaffen, in der sie mit der Realität eines großen Industrieunternehmens zusammenkommen. Dabei war es von Anfang an unser Ansatz, dass beide Seiten davon profitieren: die Start-ups dadurch, dass sie Zugang zu größeren Abnehmern erhalten; die etablierten Unternehmen, indem sie etwas über schnelle Entscheidungswege und Flexibilität in der Organisations- und Führungsstruktur lernen.
Ein Beispiel für eine solche Win-win-Verbindung?
Einer unserer Absolventen, Johannes Darrmann, hat IMANOX gegründet. Das Unternehmen bietet Augmented-Reality-Fotoboxen an, die Firmen zum Beispiel auf Messen nutzen können. Johannes Darrmann kam am SIB mit Siemens-Mitarbeitern ins Gespräch und adaptierte seine Idee auf das Unternehmen. Siemens wurde sein erster Kunde.
Netzwerken mal andersrum: Tragen Unternehmen auch Ideen von außen an die Studierenden heran?
Ja, die Mitarbeiter des SIB und wir Dozenten sprechen Unternehmen gezielt über unsere Netzwerke an. Ich mache das beispielsweise über persönliche Kontakte zu mittelständischen Unternehmen in der IHK Berlin oder zum Bundesverband Deutsche Startups. Deren Challenges bringen wir dann in die Lehrveranstaltungen mit ein, etwa zu den Themen Geschäftsmodelle, Marketing oder IT-Prozesse.
Kundinnen und Kunden von Unternehmen oder Start-ups können heute ja über digitale Wege ganz anders in die Entwicklung von Produkten und Lösungen einbezogen werden.
Das ist ein Riesenthema. Digitale Produkte, Plattformen oder Apps bieten die Möglichkeit, frühzeitig viele Kunden in den Prozess mit einzubeziehen und Feedback einzuholen, da Anpassungen quasi über Nacht eingearbeitet werden können. Im Rahmen unseres Lean-Start-up-Prozesses arbeiten wir mit dem Build-Measure-Learn-Prinzip: Finde heraus, was Kunden für einen Bedarf haben, baue Prototypen, miss in kleinen Schritten, was der Kunde dir als Feedback gibt, lerne daraus und entwickle weiter. Anders ausgedrückt: Mache nicht das scheinbar perfekte Produkt fertig, sondern optimiere es in kleinen Schritten. Microsoft beispielsweise wurde so im Laufe der Jahre sehr erfolgreich. Die haben nicht im stillen Kämmerlein das perfekte Softwareprodukt kreiert, sondern ihr Betriebssystem Schritt für Schritt verbessert. Es war immer genau so, wie es die breite Masse der Nutzer benötigte.
Netzwerken und Netzwerke definieren sich auch über Standorte. Berlin gilt ja nach wie vor als Start-up-City.
Das stimmt. Aber auch hier findet ein lokaler Wandel statt. In Tel Aviv geht die Anzahl der Start-ups bereits dramatisch zurück. Sie normalisiert sich. Während der vergangenen zehn Jahre konnten wir einen Boom beobachten, der auf die Entwicklung neuer Technologien und deren Anwendbarkeit über das Internet zurückzuführen war. Aus der Venture-Capital-Forschung wissen wir allerdings, dass 80 Prozent der Unternehmen, die aus einem solchen Boom hervorgehen, am Ende im Markt nicht mehr mitspielen werden, weil sie aus irgendwelchen Gründen falsch gelegen haben. Das gilt natürlich auch für Berlin. Trotzdem liegt Berlin im europäischen Ranking immer noch unter den Top 5.
Für Gründerinnen und Gründer ist Berlin also nach wie vor ein guter Ort?
Absolut. Die Berliner Start-up-Szene hat von den erfolgreichen Gründungen rund um die Samwer-Brüder profitiert. Erfolgreiche Exits wie die von Zalando haben viel Geld kreiert, das durch Business Angels in den Standort reinvestiert wurde. Das Berliner Netzwerk hat daher innerhalb der letzten zehn Jahre einen Riesenschritt gemacht.
Inwiefern nutzen Sie über die Hochschule auch weltweite Netzwerke?
Das Start-up-Netzwerk der HWR Berlin umfasst Hochschulen in den USA, Israel und Europa. Unsere Partnerhochschulen in Tel Aviv sind weltweit anerkannte Innovatoren. Unseren Gründern vermitteln wir Top-Studenten des IDC Herzliya für Praktika, und an der Bar Ilan University fungiert der Campus als Living Lab für das Thema Smart City. Vor Kurzem habe ich das Konzept im Berliner Smart-City-Beirat vorgestellt, dessen Mitglied ich bin. Durch Beispiele wie diese verknüpfen wir unser Hochschulnetzwerk mit Politik und Gesellschaft.
Gibt es eine ideale Konstellation für Start-ups?
Wenn es die gäbe, wären alle erfolgreich. Das theoretisch bestaufgestellte Team, das ich kenne, ist grandios gescheitert. Entrepreneurship-Erfolgsforschung ist ein sehr komplexes Thema mit vielen Einflussvariablen. Eine sehr ungewöhnliche Finanzierungsvariante war beispielsweise die
Grundlage für den Erfolg von The Body Shop. Kein Professor und kein Berater hätte der Gründerin Anita Roddick zugeraten, und doch realisierte sie einen Welterfolg mit Milliardenbewertung. Unsere Aufgabe in der Entrepreneurship-Lehre ist es, verschiedene Alternativen zu vermitteln. Der wichtigste Satz in diesem Zusammenhang lautet: Every entrepreneur is unique. Was bei dem einen funktioniert, muss nicht für andere passen. Aber je mehr Erfolgsfaktoren man kennt, desto höher sind die Erfolgsaussichten. Deswegen ist unsere Arbeit mit Vorbildern aus unserem Netzwerk so wichtig. Wir zeigen Gründern Strategien auf, die woanders funktioniert haben, damit sie ihren eigenen Weg ausloten können.