Auf dem Weg zur Klimaneutralität: Was müssen Unternehmen beachten?
10.06.2022 - Lesezeit: 6 Minuten
Im nächsten Jahr wird eine ISO Norm international einheitliche Standards für die Zertifizierung zum klimaneutralen Unternehmen bieten. Daher sollten sich auch kleine und mittlere Unternehmen bereits jetzt mit ihrer Klimabilanz auseinandersetzen.
Immer mehr Unternehmen tragen inzwischen das Label „klimaneutral“. Sie schränken die Entstehung von CO2 in der Herstellung, Lagerung, Verwaltung und Lieferung soweit wie möglich ein und kompensieren das entstandene CO2. Der Prozess verläuft in drei Schritten. Zuerst erfassen die Unternehmen ihren gesamten Energieverbrauch und die Emissionen, die durch verwendete Energieträger entstehen. Dabei wird jeder Bereich analysiert – von der Produktion bis zur Mobilität der Mitarbeiter für berufliche Zwecke. Danach wird im Rahmen einer Energieberatung die CO2-Bilanz des Betriebes ermittelt. Als Grundlage gilt bisher das Treibhausgasprotokoll Unternehmensstandards (Greenhouse Gas Protocol Corporate Standards). Der dritte und letzte Schritt ist der Ausgleich der Bilanz über den Kauf von Klimazertifikaten. Unternehmen unterstützen zum Beispiel Klimaschutzprojekte finanziell und gleichen damit den eigenen CO2-Fußabdruck aus.
Neue Standards
Bisher ist der Begriff „klimaneutral“ weder auf deutscher noch auf europäischer Ebene geschützt oder über Normen definiert. Das wird sich in wenigen Monaten ändern. Aktuell arbeitet die EU an einer Norm, um das Etikett der Klimaneutralität zu vereinheitlichen. Voraussichtlich ab 2023 wird die internationale ISO Norm (ISO 14068) einheitliche Standards für eine Zertifizierung zum klimaneutralen Unternehmen bieten. Sich damit auseinanderzusetzen, wird laut der Deutsche Unternehmensinitiative Energieeffizienz (DENEFF) also immer wichtiger für Unternehmen jeder Größe und jeder Branche. Gemeinsam mit GUTcert, einer Zertifizierungsgesellschaft mit der Unternehmen ihre Berechnung der Treibhausgasemissionen überprüfen lassen, und Ökotec hat die DENEFF einen Leitfaden für Unternehmen erstellt. „Deutschlands Wirtschaftssektor soll – wie die anderen Sektoren auch – bis 2045 klimaneutral sein. Im Umkehrschluss bedeutet dies: Jedes einzelne Unternehmen muss klimaneutral werden“, sagt Tatjana Ruhl, Leiterin Dekarbonisierung bei der Industrie bei der DENEFF.
Die Expertin
Dr. Tatjana Ruhl verantwortet bei der DENEFF den Themenbereich Dekarbonisierung in der Industrie. Mit Unterstützung der Deutschen Bundesstiftung Umwelt hat sie an der Freien Universität Berlin zum Thema Energieeffizienzpolitik promoviert. Energieeffizienz begleitet sie schon ihre gesamte berufliche Laufbahn – zunächst im Wirtschafts- und Umweltministerium des Landes Sachsen-Anhalt, später bei einem Energiedienstleister.
Geld sparen und die Umwelt schonen
Der politische Wandel ist aber nicht der einzige Grund für Unternehmen, klimaneutral zu werden. Es liefert ihnen auch handfeste betriebswirtschaftliche Vorteile. Für Unternehmen spielt es heute schon eine wichtige Rolle, Anforderungen zu klimaneutralen Produkten zu erfüllen und diese auch innerhalb von Lieferketten zu belegen. Beides wird zunehmend Voraussetzung für Auftragsvergaben. Daneben senken eingesparte Treibhausgase den Energie- und Ressourcenverbrauch. Und das wirkt sich gerade in Zeiten hoher Preise für Öl und Gas direkt auf den Geldbeutel aus. Auch gesellschaftlich hat sich laut Tatjana Ruhl der Stellenwert der Klimaneutralität erhöht. „Schließlich geht es bei der Begrenzung der Folgen des Klimawandels um nichts weniger als den Erhalt von Frieden, Gesundheit und Wohlstand auf unserem Planeten. Dazu sollten auch Unternehmen ihren Beitrag leisten.“ Aus all diesen Gründen ist es für alle Unternehmen eine gute Idee, jetzt und nicht erst in ein paar Jahren die Reduktion ihres CO2-Fußabdrucks anzugehen.
Voneinander lernen
Die Rahmenbedingungen dazu sind heute schon klar. Auf EU- Ebene wird derzeit das so genannte Fit-for-55-Paket verhandelt, das auf vielen Ebenen Verschärfungen und zusätzliche Pflichten mit sich bringen wird. „Es ist abzusehen, dass sich Regelungen zur Klimaneutralität eher am tatsächlichen Energieverbrauch oder dem Treibhausgasausstoß als an der Unternehmensgröße orientieren werden. Auch verpflichtende Nachhaltigkeits-Reportings werden voraussichtlich immer mehr Unternehmen betreffen“, so Tatjana Ruhl. Wichtig sei, dass sich Unternehmer.innen nicht nur theoretisch damit beschäftigen, sondern ganz praktisch ins Machen kommen. Dafür tun sie sich am besten zum Beispiel über das Netzwerk der DENEFF mit anderen zusammen, die schon Erfahrungen gesammelt haben.
80.000 Euro Förderung
Dabei können Unternehmer:innen mit finanzieller Unterstützung aus verschiedenen Töpfen rechnen. Über das Gesetz zur Energie- und Ressourceneffizienz in der Wirtschaft (EEW) können sie zum Beispiel bis zu 80.000 Euro Förderung erhalten, wenn sie sich von Berater:innen unterstützen lassen. Im Zusammenhang mit Ressourceneffizienz sind neuerdings auch Wechsel und Einsparungen beim Material förderfähig. Wirklich lohnenswert wird es, wenn Unternehmen mittelfristig ihren Verbrauch kontrollieren und senken. Mindestens alle zwei Jahre sollten sie laut Experten ihren Fußabdruck aktualisieren. So lassen sich auch die Ergebnisse umgesetzter Maßnahmen gut nachvollziehen. Zudem können Unternehmer:innen damit rechnen, dass Kosten und Aufwand für das Kompensieren mit den Jahren immer weniger werden.