GRAL: Eine grüne Zukunft für die Lausitz
15.02.2024 - Lesezeit: 5 Minuten
Wie sehen die Gewerbegebiete von morgen aus? Beispielsweise so: Aus dem ehemaligen Militärflugplatz Cottbus-Drewitz entsteht im Braunkohlerevier Lausitz der erste CO2-neutrale Industriepark Brandenburgs, das „Green Areal Lausitz“, kurz GRAL.
Jochem Schöppler räumt auf. Blöcke, Stifte und ein paar Gläser stehen noch von der Besprechung auf dem langen Tisch des ehemaligen Flughafenbistros. Ständig hat er hier Investoren, Kommunalpolitiker und Fachplaner zu Gast. Das Bistro ist die Schaltzentrale eines Projekts, das Signalwirkung hat für den Strukturwandel in der Lausitz: Der stillgelegte Flugplatz Drewitz soll zum CO2-neutralen Gewerbe- und Industriegebiet werden. Die treibende Kraft dahinter ist Jochem Schöppler. „Das Projekt hat das Potenzial, die gesamte Region voranzubringen“, sagt der Geschäftsführer des Berliner Unternehmens Euromovement und schaut durch die Fensterfront auf das Flugfeld. In Sichtweite dampft das Kraftwerk Jänschwalde Ost, betrieben mit Braunkohle aus dem benachbarten Tagebau.
Ausgerechnet hier im Braunkohlerevier Lausitz, wo sich der Hunger nach fossiler Energie tief durch die Landschaft gepflügt hat, setzt der Projektentwickler den Hebel an. Geht es nach ihm, werden sich hier in einigen Jahren Produktionsgebäude, Büros und Labors aneinanderreihen, umgeben von vielen Grünflächen. Techniken zur klimaneutralen Energieversorgung wie Windenergie, Photovoltaik und Erdwärme, dazu begrünte Dächer und wiederverwendete Prozessenergie, sollen das Gewerbegebiet CO2-neutral betreiben.
Investoren planen Kreislaufwirtschaft
Erste Investoren haben sich ihren Standort auf der 209 Hektar großen Fläche gesichert, etwa energy4future. Das sächsische Unternehmen wendet ein Verfahren an, mit dem Kohlendioxid, das Pflanzen zuvor aus der Luft aufgenommen haben, langfristig in Kohle gebunden wird. Mit einem Investment von etwa 500 Millionen Euro ist außerdem Hy2gen am Start. Das hessische Unternehmen will grünes Flugzeugkerosin und Wasserstoff herstellen und dazu beitragen, die Luftfahrt zu dekarbonisieren. Beide Unternehmen arbeiten an einem gemeinsamen Wasserkreislaufkonzept: Energy4future will das aus seinen Trocknungsprozessen entzogene Wasser auffangen, destillieren und Hy2gen für die Wasserstoffproduktion zur Verfügung stellen. „Das folgt unserer Idee, Energie und Wasser auf dem Grundstück zu halten und in den Prozess zurückzuführen“, ist Schöppler begeistert.
Attraktiv für Investoren ist die Möglichkeit, auf dem Gelände an sieben Tagen in der Woche 24 Stunden lang zu produzieren. Wer sich ansiedeln möchte, kann über die Investitionsbank des Landes Brandenburg (ILB) Mittel aus dem Fördertopf für den Strukturwandel beantragen.
„Ein konsequent ökologischer Ansatz“
Jochem Schöppler lenkt seinen Wagen über die Betonpisten des Flugplatzes. Bis zur Wende stationierte die NVA hier ihre Jagdflieger. „Wenn diese große Fläche belegt ist, kann man von zwei- bis dreitausend Arbeitsplätzen ausgehen“, sagt er und stoppt an der ehemaligen Startbahn. Schöppler, von Haus aus Kaufmann, löste früher Insolvenzverfahren. Statt abzuwickeln kann er jetzt etwas aufbauen. Er gibt sich optimistisch: „Wenn es schwierig wird, werde ich warm.“
Es wurde schnell schwierig. Vor Ort gab es anfangs Widerstände gegen die Idee eines CO2-neutralen Industrieparks. Nachvollziehbar, sagt Schöppler: „Jänschwalde stand als Name für fossile Energieversorgung. Und jetzt soll plötzlich alles falsch sein – die Geschichte, Kultur und Arbeit, von der die Menschen leben.“ Für seine Vision ist Schöppler durch die anliegenden Orte getourt, hat Bürgerberatungstermine abgehalten und bei den Sitzungen zum Planungsrecht zäh verhandelt – über Fassaden- und Dachflächenbegrünung, Solarflächen und CO2-Neutralität. Am Ende liefen alle planungsrechtlichen Beschlüsse einstimmig durch. „Ich wollte, dass das alles Grundlage des Bebauungsplans ist, damit keiner ausweichen kann. Heute kommen die Firmen genau deswegen und sagen: endlich mal ein konsequent ökologischer Ansatz.“
Batteriespeicher sichert Stromversorgung
Für Jänschwalde ist das Green Areal Lausitz eine Chance für den Strukturwandel. „Der heilende GRAL“ titeln regionale Medien, und entgegen der Klischees erlebt der Projektentwickler eine lösungsorientierte Zusammenarbeit auf kommunaler Ebene, vom Jänschwalder Bürgermeister bis zur Peitzer Amtsdirektorin. Auch das Bundesumweltamt war schon vor Ort und hat sich für einen Forschungsauftrag über die Auswirkungen des Kohleausstiegs in der Lausitz umgesehen. „Als die Verantwortlichen vom Bundesumweltamt sagten, sie könnten hier viel mitnehmen und noch etwas lernen – also, da war ich schon ein bisschen stolz“, sagt Schöppler.
Für die CO2-freie Energieversorgung ist neben Windrädern und Solarflächen ein großer Batteriespeicher in Planung, um für die Industrie eine kontinuierliche Last zu sichern. Die Rahmenverträge mit den Grundstückseigentümern stehen bereits, so dass im Umkreis von bis zu zehn Kilometern Wind- und Solaranlagen installiert werden können. „Weil die Direktstromleitung nur auf unseren GRAL führt“, erklärt Schöppler, „zahlen wir nicht die teuren Netzentgelte und können günstigeren grünen Strom zur Verfügung stellen.“
Ein CO2-neutrales Industriegebiet braucht die Bahn
Ebenso wichtig: eine Anbindung an das Bahnnetz der Bahn. Der Gleisanschluss wird mit fast 3 Millionen Euro von der ILB gefördert und soll in spätestens fünf Jahren gebaut sein. „Ohne einen Güterbahnhof, der die Transporte von Rohstoffen und Produkten von den Straßen runterholt“, sagt Projektentwickler Schöppler, „hätte es kein CO2-neutrales Industriegebiet gegeben.“
Logistik, Energie, Wasser, Wohnraum – die Aufgaben scheinen endlos. Jochem Schöppler arbeitet sie seit drei Jahren ab. Für die umliegenden Kommunen ist es eine Chance, der Industrie in der Lausitz ein neues Gesicht zu geben – von braun zu grün, von endlichen zu erneuerbaren Energien. Er steht auf der Startbahn, zeigt mit großer Geste über das Gelände: „2020 habe ich gesagt, es dauert sieben bis zehn Jahre. Da bleibe ich bei. Ich sehe hier begrünte Industriegebäude, sehe kleine elektrische Fahrzeuge herumfahren und im Zentrum zwei große Teiche mit viel Grün. Und ich sehe viele junge Menschen.“ Die der Lausitz eine Zukunft geben.