„Heute sind es die Unternehmen, die sich bewerben müssen“
05.05.2023 - Lesezeit: 4 Minuten
Wie komme ich an Fachkräfte? Das ist die drängendste Frage des Mittelstands. Um Antworten zu finden, hat das Berliner Tech-Unternehmen Civey online Beschäftigte und Führungskräfte befragt. Im Rahmen der exklusiven Firmenkundenveranstaltung „Chefsache“ von Carsten Jung, Vorstandsvorsitzender der Berliner Volksbank, haben wir Civey-Geschäftsführerin Janina Mütze gefragt, wo Unternehmen ansetzen können, um Fachkräfte zu finden – und zu binden.
Überall in Deutschland klagen Unternehmen, dass sie keine Fachkräfte finden. Was machen die falsch?
Nichts. Es hat ja seinen Grund, warum Unternehmen in Umfragen den Fachkräftemangel als gravierendstes Problem nennen: Die Suche nach Fachkräften ist eine flächendeckende Herausforderung. Die Politik kann dabei sicherlich helfen – wie 60 Prozent der Deutschen auch fordern –, doch so lange kann niemand warten. Die Unternehmen müssen selbst aktiv werden.
Wo können die Unternehmen ansetzen, um Fachkräfte zu finden?
Unsere Umfragen zeigen, dass für die Mitarbeitenden das Gehalt nach wie vor der wichtigste Punkt ist, um sich für einen Arbeitgeber zu entscheiden. Durch die aktuelle Inflation ziehen die Preise an, also werden Lohnerhöhungen gefordert. Daher wird es für die Unternehmen, vorsichtig gesagt: sportlich, den Forderungen ihrer Mitarbeitenden gerecht zu werden.
Ist das Gehalt wirklich noch der allein entscheidende Punkt?
Nein, diese Zeiten sind vorbei. Unsere Umfragen zeigen, dass jeder dritte Mitarbeitende sich mehr Wertschätzung wünscht. Ebenso wichtig ist mehr Flexibilität, um Work und Life besser ausbalancieren zu können. Und für jeden Vierten ist und bleibt die Sicherheit des Arbeitsplatzes das Argument schlechthin.
Das ist verblüffend: Wenn überall Fachkräfte gesucht werden, finde ich doch sofort einen neuen Job bei einem anderen Arbeitgeber.
Das stimmt zwar, aber so schauen Menschen grundsätzlich nicht auf ihre Arbeit. Ihre Leistung soll sich lohnen und zum Erfolg des Arbeitgebers beitragen. Dieser Einsatz wird entwertet, wenn der Arbeitgeber einer Insolvenz entgegen taumelt.
Was man als Arbeitgeber der Belegschaft allerdings nicht unbedingt auf die Nase bindet …
Was tatsächlich ebenfalls ein Problem ist. Jeder sechste Mitarbeitende bemängelt die unzureichende interne Kommunikation seines Arbeitgebers. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kommen tagtäglich zusammen und reden miteinander. So entstehen Gerüchte, wenn nicht transparent kommuniziert wird, was im Unternehmen gerade los ist und wie die Pläne für die nächsten Monate und Jahre aussehen. Diese Aufgabe haben viele Unternehmen in den vergangenen Krisenjahren, als viel auf Sicht gefahren wurde, vernachlässigt. Jetzt allerdings sollten sie wieder intensiver kommunizieren.
Lässt sich mangelnde Kommunikation als mangelnde Wertschätzung verstehen?
Durchaus. Wie gesagt: Jeder dritte Mitarbeiter und jede dritte Mitarbeiterin wünscht sich laut unseren Umfragen mehr Wertschätzung. Das Gute für die Arbeitgeber: Das kostet sie ja nichts!
Wenn es schon nichts kostet: Wie zeigt man Wertschätzung als Arbeitgeber?
Ein indirekter, aber meines Erachtens sehr sinnvoller Weg sind Karrierepläne. Ich spreche mit jeder Mitarbeiterin und mit jedem Mitarbeiter und entwickle gemeinsam Pläne, wohin die Reise geht. Das muss nicht unbedingt der Weg nach oben auf der Karriereleiter sein. Manche Menschen wollen lieber in kollaborativen Strukturen eingebunden sein, andere möchten gern mal ein eigenes Projekt angehen. Wenn Menschen gesehen werden und das tun können, worin sie gut sind, das ist gelebte Wertschätzung. Zum Glück ist diese Erkenntnis bei den meisten Unternehmen angekommen.
Wie können Unternehmen diese Erkenntnis fürs Recruiting nutzen?
Wenn Unternehmen heute noch auf Bewerbungen warten, werden sie lange warten – und vergeblich. Sie müssen selbst aktiv werden. Es sind die Unternehmen, die sich bewerben müssen.
Und wie bewirbt man sich als Unternehmen bei den allseits gesuchten Fachkräften?
Es beginnt damit, sich klar zu werden über die Wünsche der Fachkräfte. Das Gehalt ist wichtig, die Sicherheit des Arbeitsplatzes, Wertschätzung und nicht zuletzt Flexibilität. Wie wir aus Umfragen wissen, verzichten gerade junge Leute gern auf Geld, wenn sie dafür mehr Freizeit bekommen. Unternehmen sollten sich daher Gedanken machen, ob Angebote wie eine Vier-Tage-Woche bei ihnen umsetzbar sind.
Ein letzter Punkt: Was nicht unterschätzt werden sollte, ist die Frage nach dem Sinn der Arbeit. Gerade die jungen Leute fragen weniger nach dem „Was machen wir?“ als nach dem „Warum machen wir?“ Auf diese Frage sollten Unternehmen eine Antwort wissen.
Haben die Unternehmen eine Antwort auf die Sinn-Frage?
Längst noch nicht alle Unternehmen haben begriffen, dass sie sich umfassend Gedanken machen müssen, was sie ihren aktuellen und künftigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern anbieten wollen. Und weil einige aufzuholen haben, sind die Arbeitgeber im Vorteil, die schon heute überzeugende Antworten anbieten.
Allerdings werden Unternehmen kaum überzeugende Antworten liefern können, wenn die über Jahrzehnte gewachsenen Strukturen und die Unternehmenskultur wenig kompatibel sind mit den Anforderungen der wählerischen Fachkräfte. Was tun?
Ein „Weiter so!“ reicht nicht, das ist klar. So schwierig es auch sein mag: Unternehmen müssen sich hinterfragen und von Selbstverständlichkeiten verabschieden. Künftig Erfolg haben werden nur Unternehmen mit einer Kultur, die bereit ist, sich zu ändern. Dafür braucht es Mut – den Mut loszulegen, statt weiter wie gelähmt auf das Fachkräfteproblem zu schauen.