Wirtschaftssenator Stephan Schwarz: "Die deutsche Energiepolitik der letzten 30 Jahre war ein Fehler, der uns jetzt teuer zu stehen kommt."
01.12.2022 - Lesezeit: 9 Minuten
Eigentlich ist Stephan Schwarz vor allem Unternehmer und führt das deutschlandweit aktive Familienunternehmen GRG – spezialisiert auf Gebäudereinigung – in dritter Generation. Ende 2021 hat der parteilose Berliner das Amt des Wirtschaftssenators angetreten. Stephan Schwarz findet: Berlin schöpft sein Potenzial noch längst nicht aus. Und hat einige Ideen, wie sich das ändern ließe.
Herr Schwarz, Sie haben bislang eine wechselreiche Karriere hinter sich. Konnten Sie sich früher schon vorstellen, eines Tages politisch aktiv zu werden?
Ja, schon als Jugendlicher habe ich leidenschaftlich gerne mit meinem Vater über Politik diskutiert. In meinem späteren Amt als Handwerkskammerpräsident hatte ich dann viel mit Politik zu tun.
Nach 16 Jahren als Präsident der Handwerkskammer, haben Sie Ende Dezember 2021 das politische Amt des Wirtschaftssenators übernommen. War das für Sie ein spannender Rollenwechsel?
Es war sehr überraschend und gleichzeitig eine große Ehre, als Parteiloser so ein Angebot zu bekommen.Als Unternehmen ist man immer stark von politischen Rahmenbedingungen abhängig. Und mit denen war ich als Unternehmer oder als Interessensvertreter nicht immer einverstanden. An dieser Stelle Verantwortung zu übernehmen, hat mich daher sehr gereizt.
Hätten Sie auch zugesagt, wenn jemand anderes als Frau Giffey Sie gefragt hätte? Was verbindet Sie mit der Regierenden Bürgermeisterin?
Frau Giffey hat sehr deutlich gemacht, wie wichtig ihr das Thema Wirtschaft ist. Menschlich hat mich ihr Mut überzeugt, einen Außenstehenden zu fragen. Mein Reflex darauf war, selbst auch mutig zu sein und die Herausforderung anzunehmen.
Sie sagten einmal, es wurme Sie, dass Berlin immer unter seinem Potenzial geblieben ist. Was meinen Sie damit?
In fast allen Ländern Europas und der ganzen Welt hat die jeweilige Hauptstadt eine besondere Wirtschaftskraft und höhere Durchschnittseinkommen. Da lag Berlin zu lange unter seinem Potenzial. An vielen Stellen haben wir inzwischen zum bundesweiten Durchschnitt aufgeholt, an einigen sind wir auch führend, sei es bei Start-ups, in der Gesundheitswirtschaft, oder Kreativbranche. Dennoch, es bleibt viel Luft nach oben. Als Hauptstadt des wirtschaftlich stärksten Landes Europas muss unser Anspruch sein, Berlin zur führenden Technologie- und Innovationsmetropole zu machen und auch bei Einkommen zur Spitze zu gehören.
Worin ist Berlin stark und wettbewerbsfähig?
In Berlin sitzen die Entscheider der größten Industrienation Europas. Die Stadt ist Deutschlands stärkster Wissenschaftsstandort mit drei Exzellenzuniversitäten und vielen Spitzeninstituten. Dieses »Reizklima« zieht hochqualifizierte Talente an. All das spielt bei Investitionen und Ansiedlungen eine zentrale Rolle. Dazu steht Berlin weltweit für das Gefühl von Freiheit und Toleranz. Gerade junge Menschen wollen in Berlin studieren, leben und arbeiten – so wie das früher schon für London, Paris, oder New York galt. Auch ausgebildete, internationale Fachkräfte genießen das Gefühl des Willkommen-Seins und der Entfaltungsmöglichkeiten.
Sind Sie optimistisch, dass vor allem die Verwaltung effizienter wird?
Natürlich müssen wir die Verwaltung weiter verbessern. Es ist nicht akzeptabel, Menschen wochenlang auf einen Termin beim Bürgeramt warten zu lassen. An vielen Stellen gibt es Bewegung. Gerade im Hinblick auf Wirtschaft, Talente und Fachkräfte sind wir im Laufe der letzten Jahre schon deutlich besser und schneller geworden. Etwa bei der Erteilung von Arbeitsgenehmigungen und Arbeitserlaubnissen, wofür wir mit »Berlin Partner« und dem Landesamt für Einwanderung einen sehr gut funktionierenden Business-Migration-Service etabliert haben.
Corona, Krieg, Klimawandel – es könnten ruhig etwas weniger Krisen sein, oder? Was sehen Sie als die größten Herausforderungen für unsere Gesellschaft?
Ich glaube, dass jede dieser Krisen einen ziemlichen Schub für die Transformation der Wirtschaft bringt. Das müssen wir als Wettbewerbsvorteil nutzen. Wir stecken bei der Digitalisierung noch immer mittendrin. Selbst die fortschrittlicheren Unternehmen haben noch Potenzial. Ich rede jetzt bewusst von KMUs (kleine und mittelständische Unternehmen, Anm. d. Red.), die Berlins Wirtschaft besonders prägen. Bei den Prozessen digitaler Transformation geht es teilweise um die Umstellung gesamter Geschäftsmodelle und Technologien. Ganze Geschäftsfelder, wie autonome Mobilität, entstehen durch künstliche Intelligenz.
Und abgesehen von der Digitalisierung?
Es gibt auch starke Entwicklungen im Bereich Werkstoffe. Leichtbau revolutioniert gerade die Industrie. In Adlershof sitzen zum Beispiel kleine Unternehmen, mit vielleicht 10 bis 20 Mitarbeitern, die aber Weltmarktführer sind. Wir profitieren extrem vom Zusammenspiel von Unternehmen, Hochschulen und Hochtechnologie. Die Charité etwa gehört zu den fünf besten Unikliniken der Welt. Bayer investiert in Berlin große Summen in ganz neue Gen- und Zell-Technologien. Gemeinsam mit der Charité und Bayer will der Senat einen Campus etablieren, der Spitzenforschung in medizinische Anwendung übersetzt.
Was bedeutet der Völkerrechtsbruch im Ukraine-Krieg für Berlin und die Wirtschaft der Stadt? Welche Auswirkungen hat der Krieg auf Berlins Wirtschaft?
Der Handel mit Russland spielte bereits vor den Sanktionen keine große Rolle mehr für die Berliner Wirtschaft. Andererseits spürt Berlin, wie andere Wirtschaftsregionen, die Effekte auf Lieferketten und die Energieversorgung. Es gibt natürlich auch bei uns Branchen, die besonders betroffen sind, etwa die Pharma-Unternehmen mit hohem Gasverbrauch. Und ausnahmslos allen Unternehmen machen die stark gestiegenen Energiekosten zu schaffen.
Wie schauen Sie als Energiesenator auf diesen Krieg?
Die deutsche Energiepolitik der letzten 30 Jahre war ein Fehler, der uns jetzt teuer zu stehen kommt. Die Wirtschaft in Deutschland hat mit billiger Fossilenergie auf Kosten künftiger Generationen prosperiert. Wir merken jetzt deutlich, was diese Abhängigkeit, zumal von russischen Lieferungen, bedeutet. Das muss sich ändern. Viele Unternehmen sind dabei, dauerhafte Alternativen auszuloten. Im Idealfall handelt es sich dabei um erneuerbare Energien, doch einige sehen sich gezwungen, zumindest vorübergehend, wieder von Gas zu Öl zu wechseln. Ich mache mir auch Sorgen, dass die Krise Unternehmen unverschuldet in die Knie zwingen kann. Wir sind uns einig, dass man hier unterstützen und damit auch Arbeitsplätze sichern muss. Der Bund ist hier in der Pflicht, Berlin wird auch seinen Teil erfüllen.
Da Sie gerade die erneuerbaren Energien ansprechen: Bis 2030 sollen die CO2 Emissionen in der Metropole um mindestens 70 Prozent reduziert sein, und bis 2045 sollen es 95 Prozent weniger sein als 1990. Welche Instrumente wenden Sie an und wie wollen Sie den Ausbau der erneuerbaren Energien fördern?
Ehrgeizige Ziele, aber Berlin ist heute schon bundesweit ganz vorne. Wir haben den geringsten CO2 Ausstoß pro Kopf, die höchste Energieproduktivität aller Bundesländer, sinkende Verbräuche bei stark wachsender Wirtschaft. Das zeigt, dass wir als Wirtschaftsstandort richtige Akzente gesetzt haben. Die Unternehmen sind heute schon aus Wettbewerbsgründen motiviert, nachhaltig zu wirtschaften. Wir unterstützen das gezielt durch Programme für den Solarausbau, für energieeffiziente Gebäude, oder durch die neue Koordinierungsstelle für Energieeffizienz und Klimaschutz, die gerade KMUs berät, die nicht so richtig wissen, wo sie anfangen sollen.
Was hat sich in Ihrem Leben durch den Eintritt in die Politik verändert?
Ich habe als Unternehmer immer viel gearbeitet. Was ich jedoch in den Monaten seit meinem Amtsantritt erlebt habe, stellt das noch in den Schatten.
Wann beginnt ihr Tag – wann endet er? Und wie verläuft er typischerweise?
Der Tag beginnt früh um sieben. Ich komme spät nach Hause, dann Aktenlektüre bis nach Mitternacht. Ich habe im Grunde genommen keine Freizeit mehr und bin deutlich fremdbestimmter als zuvor. Ich bin aber optimistisch, mir bald wieder etwas mehr Zeit nehmen zu können für Familie, für Freunde und auch mal für einen Theaterbesuch. Ich bin sicher, um als Politiker gute Entscheidungen treffen zu können, braucht man auch Zeiten ohne dauerhaften Terminstress.
Sie sind in Berlin geboren. Was lieben Sie an der Stadt? Was wünschen Sie ihr?
Es gibt so viel zu sagen über diese fantastische Stadt, in der ich mich seit 57 Jahren wohl fühle. Berlin war immer in Bewegung. Ich wünsche ihr, dass sie so beweglich bleibt.
Der Experte
Der gebürtige Berliner Stephan Schwarz studierte Philosophie und Geschichtswissenschaften an der FU Berlin und Sorbonne. Nach seiner Rückkehr aus Paris stieg er 1990 in das Familienunternehmen GRG KG (Großberliner Reinigungsgesellschaft) ein. 1996 übernahm er die Geschäftsführung. Neben dieser Tätigkeit bekleidete er mehrere Ehrenämter. So war er unter anderem Präsident der Berliner Handwerkskammer (2003 bis 2019) und Aufsichtsratsvorsitzender der Berliner Volksbank sowie der Michels Kliniken – um nur einige der vielen Mandate zu nennen. Im Dezember 2021 trat Stephan Schwarz als Parteiloser das Amt des Senators für Wirtschaft, Energie und Betriebe an.