Lieferkettengesetz: Was kommt auf die Unternehmen zu?
03.11.2022 - Lesezeit: 6 Minuten

Unternehmen sind eingebunden in ein Netzwerk von Zulieferern, Partnern und Vorlieferanten. Wie die ihr Geschäft verstehen und betreiben, musste sie nicht interessieren. Das ändert sich zum 1. Januar 2023 durch das Lieferkettengesetz. Wir zeigen, wie Sie in sechs Schritten das dafür nötige Risikomanagement aufbauen.
Keine Kinder- oder Sklavenarbeit. Keine Ausbeutung. Keine Folter. Muss man gar nicht drüber reden, ist doch selbstverständlich. Oder doch nicht? In der global vernetzten Welt sitzen die Geschäftspartner deutscher Unternehmen häufig in weit entfernten Regionen dieser Erde. Und wer weiß schon, wie der Zulieferer eines Zulieferers seine Arbeiter behandelt? Unter welchen Bedingungen benötigte Rohstoffe abgebaut werden? Wie jung die Frauen in der Textilfabrik sind?
So genau will das kaum jemand wissen. Das ändert zum Jahreswechsel das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, wie es offiziell heißt. Es nimmt die Unternehmen in die Pflicht: Achtet darauf, was eure Geschäftspartner machen! Und werdet aktiv, sobald euch etwas auffällt! Die Verantwortung der Unternehmen endet nicht länger am eigenen Werkstor.
Um nicht Unmögliches zu fordern, müssen Unternehmen im Umgang mit mittelbaren Zulieferern nur anlassbezogen aktiv werden – also wenn sie Kenntnis von einem möglichen Verstoß erhalten. Bei Fehlverhalten die Geschäftsbeziehung zu beenden, ist nicht das Ziel des Gesetzes. Das betont das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit. „Vielmehr geht es darum, Verbesserungen beim Menschenrechtsschutz im Rahmen der unternehmerischen Möglichkeiten in den Zulieferbetrieben dauerhaft zu verankern.“
Wie das Lieferkettengesetz umsetzen?

All das ist unbestreitbar gut gemeint. Doch in vielen Unternehmen stellen sich die Manager die Frage: Wie sollen wir das umsetzen? Wie sollen wir kontrollieren, woher der Zulieferer eines Zulieferers seine Rohstoffe bezieht? Und ob dabei alles mit rechten Dingen zugeht? Denn dieser indirekte Geschäftspartner sitzt selten um die Ecke, sondern eher in Bangladesh oder Bolivien, in Nicaragua oder Nigeria.
Was zu tun ist, das formuliert das Lieferkettengesetz (LkSG) klar. Unternehmen müssen intern ein System aufbauen, mit dem sie mögliche oder existierende Menschenrechtsverletzungen und Schädigungen der Umwelt identifizieren, vermeiden oder minimieren. Das Gesetz gibt vor, was für Prävention und Abhilfe getan werden muss. Jährlich muss Bericht erstattet werden, wo Risiken stecken und was (wie erfolgreich) dagegen getan wurde. Außerdem müssen Unternehmen ein sogenanntes Beschwerdeverfahren einrichten. Wer Kenntnis von potenziellen oder tatsächlichen Verfehlungen hat, kann sich hier melden.
Worauf Unternehmen künftig achten müssen
Die im Lieferkettengesetz festgelegten Sorgfaltspflichten betreffen beispielsweise:
- Unversehrtheit von Leben und Gesundheit
- Schutz von Kindern
- Vereinigungsfreiheit
- Schutz vor Folter
- Missachtung der jeweils national geltenden Pflichten des Arbeitsschutzes
- Einhaltung von Mindestlohnregelungen
- Verbot der Ungleichbehandlung und Diskriminierung der Beschäftigten
- Umweltbezogene Pflichten zum Schutz der menschlichen Gesundheit
Das Gesetz verpflichtet kein Unternehmen, beim Kampf um Menschenrechte erfolgreich zu sein – das wäre unrealistisch. Aber die Unternehmen müssen nachweisen, dass sie ernsthaft sich bemühen, Verbesserungen zu erreichen.
Verstöße gegen das Lieferkettengesetz werden teuer. Bußgelder betragen bis zu 8 Millionen Euro oder 2 Prozent des weltweiten Umsatzes. Zum Start betrifft das neue Gesetz nur Unternehmen, die mehr als 3000 Menschen innerhalb Deutschlands beschäftigen. Zum 1. Januar 2024 sinkt diese Grenze auf 1000 Beschäftigte. Viele kleinere Mittelständler sind trotzdem vom Gesetz betroffen. Sobald sie Zulieferer von größeren Unternehmen sind, geraten sie automatisch in deren Fokus und müssen Risiken und Gefahren offenlegen. Halten sie die gesetzlichen Vorgaben nicht ein, riskieren sie, ihre Kunden zu verlieren.
Um die Vorgaben des Gesetzes zu erfüllen, müssen Unternehmen ein entsprechendes Risikomanagement aufbauen. Das beginnt mit einer Risikoanalyse: Wie stehen wir selbst da, was Umwelt und Menschenrechte angeht? Wo lauern Risiken? Wie gehen unsere Zulieferer und deren Geschäftspartner mit diesen Fragen um, wo stecken bei denen potenzielle Risiken? Das ist aufwändig. Deshalb sollten Unternehmen – ob direkt oder „nur“ indirekt betroffen – schnellstmöglich damit anfangen, das entsprechende Risikomanagement aufzubauen.
In sechs Schritten zum Lieferkettengesetz-Management
1. Schritt: Ein interdisziplinäres Projektteam arbeitet aus, wie die Anforderungen des LkSG umgesetzt werden. Einkauf und Compliance sollten auf alle Fälle vertreten sein, außerdem IT- und Personalabteilung sowie der Betriebsrat. Das Team entwickelt die notwendigen Prozesse für Risikoanalyse, Präventions- und Abhilfemaßnahmen.
2. Schritt: Ein:e Beauftragte:r für Menschenrechte wird benannt. Bei ihm oder ihr laufen alle Fäden zusammen. Bei größeren Unternehmen kann ein kleines Team diese Aufgaben übernehmen.
3. und wichtigster Schritt: die Risikoanalyse. Bei der Risikoanalyse werden menschenrechtliche und umweltbezogene Risiken ermittelt, gewichtet und priorisiert. Die Ergebnisse werden intern an die maßgeblichen Entscheidungsträger kommuniziert.
- Übersicht über die wichtigsten Geschäftsbeziehungen und -partner gewinnen
- Anhaltspunkte für mögliche Risiken nach Geschäftsfeldern, Standorten oder Produkten ermitteln und sammeln
- Recherche über Internet und durch Gespräche zum Hinterfragen der möglichen Risikofelder
- Einteilung der Ergebnisse in niedriges, mittleres oder hohes Risiko, etwa in eine entsprechende Risikotabelle.
- Auf dieser Grundlage wird entschieden, welche Risiken zuerst angegangen werden
- Für die konkrete Umsetzung werden Zuständigkeiten festgelegt und konkrete Ziele definiert. Diese werden mit den Stakeholdern und den Betroffenen besprochen
- Bei Abhilfemaßnahmen müssen Erfolge erzielt werden (im eigenen Unternehmen) oder es muss zumindest einen Plan geben, wie die Situation verbessert werden kann
Alle Maßnahmen werden anlassbezogen, mindestens aber einmal pro Jahr, auf ihre Wirksamkeit hin überprüft.
4. Schritt: das Beschwerdemanagement. Jedes Unternehmen muss ein Beschwerdeverfahren einrichten. Es steht jedem Menschen offen, der Menschenrechtsverletzungen bei mittelbaren oder unmittelbaren Zulieferern beobachtet hat – oder direkt davon betroffen ist.
5. Schritt: die Grundsatzerklärung: Die Geschäftsleitung muss eine Grundsatzerklärung über ihre Menschenrechtsstrategie veröffentlichen, aktuell halten und dem BAFA (Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle) zukommen lassen.
6. Schritt: die Berichtspflicht. Einmal im Jahr ist ein Bericht über sämtliche Tätigkeiten im Rahmen des Lieferkettengesetzes an das BAFA als Aufsichtsbehörde zu schicken.
Die Zeit bis zum Start des LkSG läuft rasant ab. Größere Unternehmen haben zumeist längst mit der Umsetzung begonnen. Kleinere hoffen, dieser Kelch möge an ihnen vorbei gehen. Diese Hoffnung ist meist unbegründet: Sobald ein Unternehmen Teil einer Lieferkette ist, wird es früher oder später mit den neuen Pflichten in Kontakt kommen. Die größeren Unternehmen werden ihre Pflichten entlang der Lieferkette weiterreichen.
Übrigens: Vorerst gilt das Gesetz nur in Deutschland, bald allerdings soll es vergleichbare Regelungen auf europäischer Ebene geben. Die EU-Kommission hat im Februar 2022 einen entsprechenden Entwurf vorgelegt. Schon von 2025 an soll ein EU-weit geltendes Lieferkettengesetz greifen.