Das tote Pferd auf dem Porsche
05.10.2023 - Lesezeit: 8 Minuten
Wie sinnvoll ist der Einsatz von Venture Capital bei Gründungen? Wie nachhaltig orientiert dürfen Startups sein? Darüber diskutiert Tobias Ahrens, Leiter des Kompetenzcenters Gründungs- und Nachfolgefinanzierung der Berliner Volksbank, mit Günter Faltin, emeritierter Professor für Entrepreneurship an der FU Berlin.
„Kulturen blühen auf, wenn sie auf die Fragen von heute Antworten von morgen geben. Werden Antworten von gestern gegeben, verblühen sie.“ Falls der Geschichtsphilosoph Arnold Toynbee recht hat mit dem Aufblühen und Verblühen: Ist die Menschheit bald ein Fall für die Biotonne?
Günter Faltin: Wenn ich mir das Tempo anschaue, mit dem wir auf aktuelle Herausforderungen reagieren, muss ich sagen: Wir fahren gegen die Wand. Um das zu verhindern, müssen wir schnell Lösungen finden, die möglichst viele Menschen einbinden – statt sie gegeneinander aufzubringen.
Werden die etablierten Unternehmen diese Lösungen finden oder braucht es dazu Startups mit neuen Ideen?
Faltin: Ich traue eher – aber da bin ich Partei – den Startups und Entrepreneuren zu, die Herausforderungen wie Klimawandel, Artenvielfalt oder Ressourcenverbrauch in ihrer Massivität zu sehen und dafür Lösungen zu finden. Dabei reicht es nicht aus, Produkte ökologisch verantwortungsvoller herzustellen. Wir müssen viel radikaler herangehen. Wir müssen den Verbrauch an Ressourcen drastisch senken.
Radikal denken, um die auf die Probleme von heute die Antworten von morgen zu geben: Finden Sie diese Geisteshaltung bei den Startups, mit denen die Volksbank Berlin zu tun hat?
Tobias Ahrens: Definitiv. Was mich bei den Gründerinnen und Gründern fasziniert: mit welcher Selbstverständlichkeit sie das Thema „Nachhaltigkeit“ mit all seinen Facetten verinnerlicht haben. Die fragen sich beispielsweise: Wie sieht eine nachhaltige Lieferkette aus? Was macht heute einen attraktiven Arbeitgeber aus?
Woraus nicht automatisch ein erfolgreiches Geschäftsmodell entspringt. Wie lässt sich beides verbinden, Nachhaltigkeit und Profitabilität?
Ahrens: Es gibt keinen Widerspruch zwischen Profitabilität und Nachhaltigkeit, beides geht Hand in Hand. Die Menschen sind sensibilisiert, das heißt, sie achten auf Nachhaltigkeit – und das ist verbunden mit einer gewissen Zahlungsbereitschaft. Was erkennbar nachhaltig ist, darf auch etwas teurer sein. Es gibt noch einen zweiten Grund, warum sich Nachhaltigkeit und Profitabilität ergänzen: Ressourcen. Wenn ich energie- und ressourcenschonender produziere, habe ich dadurch einen betriebswirtschaftlichen Vorteil. Einen letzten Grund will ich nicht unerwähnt lassen: Image. Bei der jetzigen Situation auf dem Arbeitsmarkt fragen sich viele Menschen, ob ihr Arbeitgeber die Welt zu einem besseren Ort macht – oder eben nicht.
Faltin: Was die Bereitschaft angeht, für nachhaltigere Produkte mehr Geld auszugeben, da bin ich weniger optimistisch als Sie, Herr Ahrens. Untersuchungen zeigen: Der gute Wille ist zwar da, doch wenn der Preisunterschied etwa bei Bio-Lebensmitteln mehr als 10 Prozent ausmacht, wird das billigere Produkt gewählt. Das Ziel muss also darin bestehen, dass nachhaltige Produkte nicht spürbar teurer sind.
Create your Future
Das ist das Motto des diesjährigen Entrepreneurship Summits, der am 21. und 22. Oktober Im Henry-Ford-Bau der FU Berlin stattfindet. Zu erwarten sind Beiträge von Werner Sobek, Tania Singer, Gerald Hüther, Harald Welzer und vor allem jede Menge Workshops, Impulsgruppen und Diskussionsrunden mit insgesamt mehr als 1000 Teilnehmer*innen.
Wie lässt sich erreichen, dass „nachhaltig“ eben nicht „teurer“ ist?
Faltin: Wenn wir beim Beispiel der Bio-Lebensmittel bleiben: Die Herstellungskosten sind höher, daran lässt sich nichts ändern. Doch Herstellungskosten machen einen kleinen, immer geringeren Teil des Preises aus. Das Gros der Kosten entfällt auf Vertrieb und Werbung – dort lässt sich sparen. Beispielsweise indem ich mir überlege, ob ich den teuren stationären Einzelhandel brauche als Vertriebskanal. Grünen Salat muss ich weiterhin im Laden oder auf dem Markt anbieten, aber Produkte, die lange haltbar sind, kann ich direkt übers Internet verkaufen. Schon dadurch kann ich den Preis senken – und da haben wir über die Kosten für Werbung noch gar nicht gesprochen.
Ahrens: Wer heute gründet, macht sich Gedanken über solche Kosten, sonst kann eine Gründung gar nicht mehr erfolgreich sein. Startups müssen sich mit den Wettbewerbern messen. Deshalb versuchen sie das für sie bestmögliche Modell zu entwickeln, was für effiziente und zugleich nachhaltige Prozesse sorgt. Sie starten also mit gesenkten Kosten in einem wachsenden Markt – und profitieren zusätzlich noch von einer guten Reputation. Das klingt für mich wie ein Erfolgsrezept.
Wie erarbeitete ich mir eine gute Reputation, wenn ich zugleich meine Kosten für Werbung reduziere?
Ahrens: Wir achten bei jeder Gründung auf eine überzeugende „Go to market“-Strategie. Was nützt das beste Produkt, wenn niemand davon erfährt? Die Herausforderung besteht darin, genau die Menschen anzusprechen, die an meinem Produkt interessiert sein könnten. Dazu muss klar sein: Wer ist meine Zielgruppe? Wo ist meine Zielgruppe unterwegs, beispielsweise auf sozialen Medien? Wie adressiere ich diese Menschen clever und kostenschonend?
So erfreulich es ist, seine kleine Zielgruppe zu erreichen: Sollte die Herausforderung nicht darin bestehen, mit nachhaltigen Produkten aus der Nische herauszukommen?
Faltin: Auf jeden Fall. Und wir kommen heraus aus der Nische, wenn die Preise für nachhaltige Produkte nicht wesentlich höher sind – dann schlägt das bessere das konventionelle Produkt. Dann haben wir den Durchbruch. Dafür braucht es Unternehmen, die gesellschaftliche Verantwortung übernehmen und neue Wege suchen und beschreiten. Diese Unternehmen sind zukunftsfähig; Konzerne bleiben oft viel zu lange an ihren alten Produkten und Strukturen hängen.
Sind die Gründerinnen und Gründer denn per definitionem verantwortungsbewusster?
Faltin: Leider nicht. Wenn ich mir angucke, dass in Berlin diverse Lieferdienste wetteifern, wie schnell sie Bestellungen ausliefern und dafür mit Millionensummen finanziert werden – da kann ich nur den Kopf schütteln. So viel Geld, nur um die Lieferzeiten zu verkürzen? Brauchen wir so etwas? Setzt das vernünftige Prioritäten? Solche Startups können mit meiner Sympathie jedenfalls nicht rechnen.
Dafür mit der Sympathie der Wagnisfinanziers. Aber geht die Gleichung „mehr Geld = mehr Fortschritt“ überhaupt auf?
Faltin: Wenn ich lese, dass hohe Millionensummen an Venture Capital in Startups fließen und dies bereits als Erfolg verkauft wird, ärgere ich mich jedes Mal. Was ist denn daran Erfolg? Entrepreneure sollten kontinuierlich an der Verbesserung ihres Geschäftsmodells arbeiten statt ihre Zeit damit zu verbringen, in Finanzierungsrunden herumzulaufen. Natürlich brauchen Startups auch Kapital. Aber der erste Schritt kann doch nicht sein, einen schönen Businessplan mit fantasievollen Zahlen und bunten Grafiken zu schreiben und dann Kapitalgeber zu suchen. Ein Businessplan ist zunächst nicht mehr als ein Bündel von Annahmen. Es sind Annahmen darüber, ob das Produkt überhaupt nachgefragt wird, ob der Preis akzeptiert wird, ob das Design und der Vertriebsweg überzeugen und noch einiges mehr. Jetzt heißt es testen, testen, testen. Mit potenziellen, oder noch besser: echten Kunden. Und das Geschäftsmodell immer wieder den Ergebnissen anpassen. Ein iterativer, aber solider, aus Erfahrungen schöpfender Prozess. Das schafft die Grundlage für späteren Erfolg. Statt hohe Wetten einzugehen, ob meine Annahmen wohl der Realität entsprechen oder nicht. Klar, mit genügend hohem Kapitalaufwand kann man auch ein Produkt in den Markt drücken, das sonst scheitern würde. Auch ein totes Pferd kann man bewegen. Aber macht das Sinn? Natürlich kann man starke Männer bezahlen, die das tote Pferd bewegen. Und wenn Sie noch mehr Kapital einsetzen, können Sie das tote Pferd auf einen Porsche schnallen. Dann wirkt es tierisch schnell, aber lebendig wird es davon nicht.
Schnallen Sie im Gründerzentrum der Berliner Volksbank, um im Bild zu bleiben, tote Pferde auf einen Porsche?
Ahrens: Nein, und ich möchte Venture Capital auch nicht per se dämonisieren. Es gibt Modelle etwa bei Software, in denen es absolut Sinn macht. Allerdings muss klar sein: Wenn ich auf Venture Capital setze, habe ich eine Pfadabhängigkeit. Die Fonds investieren in diverse Startups gleichzeitig und davon muss mindestens jedes Zehnte fliegen, damit die Geldgeber ihr Kapital plus Gewinn zurückerhalten. Dass die meisten anderen Gründungen scheitern, ist in dem Modell eingepreist. Dieser Metrik – skalierbares Wachstum – muss sich ein Venture Capital finanziertes Unternehmen bewusst sein.
Aber kein Startup muss sich auf Venture Capital einlassen?
Ahrens: Parallel zu diesem Hyperwachstum entsteht etwas, was ich – solange es keinen besseren Begriff gibt – „New Mittelstand“ nennen möchte. Hier reden wir nicht von Investoren, die einen möglichst schnellen Exit wollen, sondern von einem langfristigen Engagement über auch mal 15 oder 20 Jahre.
Faltin: Ihre Einschätzung von Venture Capital finde ich verharmlosend. Aus der Interessenssicht von Venture Capital rechnen sich ein bis zwei Treffer aus zehn Einsätzen. Aus der Sicht von zehn Gründern stellt sich eine solche Wette mehr wie Kanonenfutter dar. In der öffentlichen Diskussion wird viel zu wenig von den zahlreichen kleinen Startups gesprochen, die ihr eigenes Startkapital bestmöglich nutzen und dabei organisch wachsen. Von Richard Branson stammt der Satz „Wir hatten kein Geld, also mussten wir kreativ sein“. Trotzdem ist seine erste kleine Firma rasch gewachsen. Heute dagegen dominieren und imponieren die großen Zahlen: Welches Startup erhält das meiste Kapital? In Zeiten der Nachhaltigkeit – sprich: des sparsamen Umgangs mit unseren begrenzten vorhandenen Ressourcen – finde ich den testbasierten, tastenden Umgang mit finanziellen Mitteln angemessener als große Wetten einzugehen.
Was wäre denn aus Ihrer Sicht sinnvoller, als auf Venture Capital zu setzen?
Faltin: Wir brauchen eine neue Kultur des Unternehmerischen. Wir müssen viel mehr Menschen für Entrepreneurship begeistern. Es ist wie beim Leistungssport: Um dauerhaft Höchstleistungen zu erzielen, braucht es eine möglichst breite Basis, aus der heraus sich Talente zeigen und gefördert werden können. Ein paar schnelle Jungs mit schnellem Exit im Blick reichen da nicht. Entrepreneurship als Volkssport! Damit kommen wir einen deutlichen Schritt nach vorne.
Ahrens: Ein substanzielles Wachstum ist aus Bankenperspektive der Weg, den wir gern begleiten. Als regional verankertes Genossenschaftsinstitut nehmen wir uns als Berliner Volksbank gern in die Pflicht, diesen neuen Mittelstand zu finanzieren und ihm so zu ermöglichen, Mehrwerte für kommende Generationen zu schaffen.
Prof. Dr. Günter Faltin, Jahrgang 1944, baute den Arbeitsbereich Entrepreneurship an der Freien Universität Berlin auf. Vor 30 Jahren gründete er die Teekampagne – eine Erfolgsgeschichte – und begleitet heute als Business Angel Unternehmensgünder.
2001 errichtete er die Stiftung Entrepreneurship, die den jährlichen Entrepreneurship Summit in Berlin veranstaltet. 2010 verlieh der Bundespräsident ihm als Pionier des Entrepreneurship-Gedankens den Bundesverdienstorden. Sein Buch „Kopf schlägt Kapital" ist ein Bestseller, der in acht Sprachen übersetzt wurde. Faltin lebt und arbeitet in Berlin und Chiang Mai.
Tobias Ahrens leitet seit 2019 das Kompetenzzentrum der Berliner Volksbank für Gründungs- und Nachfolgefinanzierung. Der erfahrene Banker ist damit verantwortlich für strategische Planung, Umsetzung und Weiterentwicklung der Geschäftsbereiche Gründungs- und Nachfolgefinanzierung sowie Startups.