„Gutes Design sollte nicht elitär sein“
06.08.2024 - Lesezeit: 7 Minuten
Es gibt wenig, was der Berliner Designer Michael Michalsky noch nicht mit Erfolg entworfen hat. Seine Vision: ein ganzes Kaufhaus mit Michalsky-Produkten. Ein Gespräch über Stil, gutes Leben und die Langeweile des Makellosen.
Was ist guter Stil, Michael Michalsky?
Michael Michalsky: Stil hat nicht nur mit dem Äußeren zu tun. Guter Stil bedeutet für mich, höflich zu sein. Wenn man ins Taxi steigt, „bitte“ zu sagen und hinterher „danke“. Guter Stil ist, wenn man kulturell gebildet ist und sich für andere Leute interessiert. Wenn man ein paar Basics drauf hat und mit Messer und Gabel essen kann. Es gibt Menschen, die von Kopf bis Fuß in teuren, hochwertigen Sachen angezogen sind – und keinen Stil haben. Und dann gibt es Leute, die tragen ein weißes T-Shirt, eine Jeans und schöne Sneakers, und die sind wirklich stylish, weil sie Persönlichkeit und Ausstrahlung haben.
Nebenan läuft das Fotoshooting deiner neuen Brillenkollektion, und gerade sitzen wir auf einem von dir designtes Sofa. Ist Mode nicht genug?
Michalsky ist eine Lifestyle-Marke, sie soll möglichst viele Menschen erreichen. Ich komme aus dem Fashion-Design, habe aber natürlich auch eine Meinung dazu, wie zum Beispiel eine Brille aussehen sollte. Als Modedesigner habe ich auch eine Haltung dazu, wie ein tolles Sofa aussehen sollte. Interior-Design ist eigentlich Kleidung für Lebensräume. Wäre ich nicht Designer geworden, hätte ich Architektur studiert, das ist eine Passion.
Wann wusstest du, dass du Designer werden möchtest?
Ich war schon als Kind an Mode interessiert. Mit 13 Jahren las ich im „Stern“ eine Reportage über Karl Lagerfeld und seine Arbeit für Chloé. Von da an wusste ich, dass Mode ein Beruf sein kann. Direkt nach dem Abitur ging ich nach London, das war in den 1980er-Jahren das Mekka der Streetwear und Popkultur, mit tollen Bands wie Depeche Mode und Duran Duran. Mode bekam in Kombination mit Musik durch MTV einen ganz anderen Stellenwert, das hat mich sehr geprägt. Trends werden auf der Straße gemacht, und nicht im Kunstatelier erfunden.
Dein Spektrum reicht von High Fashion über Möbel bis hin zu Blumenarrangements. Du hast Kollektionen für Tchibo und Lidl entworfen, welche Haltung steckt dahinter?
Ich habe keine Berührungsängste. Gutes Design sollte nicht elitär sein, im Gegenteil. Wenn meine Bio-Home-Kollektion so aussieht und produziert wird, wie ich das möchte, kann das ein Discounter aufgrund der hohen Stückzahlen zum besseren Preis anbieten. Natürlich ist es toll, wenn jemand in einem handgearbeiteten Kleid von mir auf dem roten Teppich läuft. Aber noch toller ist es, wenn mir auf der Straße jemand sagt: Ich habe von Ihnen ein T-Shirt, ein Handtuch oder eine Brille.
Seitdem du selbstständig arbeitest, begleitet deine Mode der Claim „Real clothes for real people“. Wer sind diese „real people“?
Ich hab‘s gern, wenn möglichst viele unterschiedliche Menschen meine Sachen tragen. Wenn ich Haute Couture mache, kann ich mich kreativ austoben, da geht es um eine Vision, die mit Handwerkskunst in Berlin verwirklicht wird. Aber ich weiß natürlich, dass es nicht der Lebensrealität der meisten Menschen entspricht, einen maßgeschneiderten Anzug zu kaufen. Auch meine Freunde sind berufstätig und haben zum Teil Kinder. Tagsüber brauchen sie Sachen, die funktionieren und kein Abendkleid für 14.000 Euro.
Zu den „wirklichen Menschen“ zählen auch solche, die keine Modelmaße haben.
Das habe ich schon immer propagiert. Aus Überzeugung und nicht als Marketinggag. Eveline Hall hatte bei mir ihren ersten Auftritt, als sie 64 war. Ältere Models und Plus-Size-Models liefen bereits in meinen Fashion Shows, als sich noch niemand mit dem Begriff Diversity beschäftigt hatte. Schönheit hat für mich unterschiedliche Nuancen und ist nicht an Alter, Konfektionsgröße, Hautfarbe oder sexuelle Orientierung gebunden. Meine Kollektionen richten sich an weltoffene Menschen, die ihre Individualität mit eigenem Style ausdrücken.
Mittlerweile hat fast jedes Unternehmen ein Diversitätsmanagement. Ziel erreicht?
Nur über Diversität zu reden, ist nicht genug. Eigentlich geht es um Inklusion. Und ich glaube, dass ich Inklusion wirklich lebe. Diversität ist für mich nur die Feststellung, dass es unterschiedliche Menschen gibt. Der nächste Schritt ist, dass unterschiedliche Menschen auf dem Laufsteg auch wirklich stattfinden. Ich glaube, da unterscheide ich mich von vielen meiner Kolleginnen und Kollegen.
Kannst du dein Berlin-Gefühl beschreiben?
Schwierige Frage, weil diese Stadt eine komplett andere ist als 2006, als ich hergezogen bin. Damals konnte man einer lauen Sommernacht unbeschwert und naiv durch die Stadt rennen. Das würde ich heute nicht mehr machen. Berlin ist krass gewachsen. Aber es ist immer noch eine tolle Stadt, sie erinnert mich an New York Ende der 80er-, Anfang der 90er-Jahre. Berlin ist anstrengend, Berlin ist schön, Berlin ist offen. Berlin ist ein Lebensgefühl.
Wie geht es in Berlin mit der Mode weiter?
Das wissen viele nicht. Leider findet die Messe „Premium“ nicht mehr statt. Die Fashion Week ist auch ein bisschen orientierungslos. Ich weiß, wie es bei mir weitergeht. Es war schon immer gut, mich darauf zu fokussieren, zwar Teil von Berlin zu sein, aber mehr als nur Berlin zu sehen. Als ich anfing, konnte niemand die krasse Demokratisierung der Mode absehen – die ich natürlich gut finde. Ich reagiere auf diese Veränderungen, indem ich mich breit aufstelle und verschiedene Distributionskanäle bespiele. Und als Zukunfts-Junkie bin ich immer neugierig auf das Morgen. Ich habe zum Beispiel Avatare von meinen Fashion Shows gemacht. Wie viele andere warte ich auf das Metaverse, aber es findet nicht statt, muss man ganz ehrlich sagen. Das ist schade, denn das Konzept heutiger Modeschauen ist nicht mehr zeitgemäß. Man lässt Kunden und Journalisten aus der ganzen Welt einfliegen, damit sie sich für eine Stunde eine Show angucken – in einer tollen Kulisse, die hinterher entsorgt wird. Mit Avataren könnten wir kreativ und nachhaltiger arbeiten.
Was möchtest du unbedingt noch entwerfen?
Ha! So viele Sachen! Am liebsten hätte ich ein Michalsky-Kaufhaus. Wenn man reinkommt, gibt es Michalsky-Floristik und dann mehrere Etagen mit unterschiedlichen Kollektionen, Interior, vielleicht sogar Lebensmitteln. Eigentlich will ich alles designen, vom Hotel bis zum Segelschiff. Das Einzige, was ich nicht designen würde, sind Särge. Weil ich ein großer Fan davon bin, die Sachen, die ich entwickle und entwerfe, auch selbst zu nutzen.
Das könntest du nicht wirklich testen, nur Probe liegen.
Ich möchte bis zum letzten Atemzug arbeiten, weil ich es nicht als Arbeit empfinde. Außenstehende sagen „boah, du hast so ein stressiges Leben". Aber ich habe ja praktisch mein Hobby zum Beruf gemacht und kann davon leben. Und das schon immer. Mich interessiert das Heute und das, was morgen kommt. Es ist schön, dass sich die Dinge verändern. Change is good.
Zur Person
Michael Michalsky wollte schon als Kind anders aussehen als die anderen. Einmal trug er das Halsband des Familiendackels um den Hals, ein anderes Mal ging er mit Rock in die Schule im schleswig-holsteinischen Bad Oldesloe. Nach seinem Studium am London College of Fashion startete er seine Karriere bei Levi's, bevor er bei Adidas er zum Global Kreativdirektor aufstieg. Seit 2006 baut er in Berlin sein eigenes Label auf. Der Sitz des Atelier Michalsky ist in einer ehemaligen Fabrik in Kreuzberg.