Warum Kultur und Kreativwirtschaft „harte“ Standortfaktoren sind
18.07.2024 - Lesezeit: 7 Minuten
In Brandenburg formen 27.000 Kulturschaffende eine lebendige Szene und sind zugleich zentrale Akteure der Wirtschaft. Dr. Manja Schüle (SPD), Brandenburgs Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kultur, erklärt im Interview, wie die Kreativbranche signifikante wirtschaftliche Impulse setzt.
Wie treiben Kunst und Kultur die Wirtschaft in Brandenburg an?
Dr. Manja Schüle: Was Kunst und Kultur zum Image einer Stadt oder Region beitragen, ist unbezahlbar. Das sieht man an unseren Publikumsmagneten von den preußischen Schlössern und Gärten über die Bauten der Industriekultur bis hin zum Filmpark Babelsberg oder dem Sound City Festival in Schwedt. All diese Orte und Veranstaltungen sind in Wirtschaftszyklen und Wertschöpfungsketten eingebunden, etwa beim Tourismus, bei der Gastronomie oder der Stadtentwicklung. Schauen wir uns die Zahlen an: In Brandenburg arbeiten 27.000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte in den elf Teilbranchen der Kultur und Kreativwirtschaft. Was Wenige wissen: Sie erzielen einen höheren Umsatz als die Kunststoffindustrie, der Maschinenbau und der IT-Sektor. Kultur und Kreativwirtschaft sind also „harter“ wie „weicher“ Standortfaktor.
Können Kunst und Kultur in Brandenburg dazu beitragen, dass die Wirtschaft auch dadurch einen Schub bekommt?
Natürlich! Denken Sie nur mal daran, was Startups und Führungskräfte heute ohne Design Thinking und Agiles Management machen würden. Kreative sind Menschen, die vor Unsicherheit, Mehrdeutigkeit und Veränderung keine Angst haben, sondern sie spielerisch als Herausforderung begreifen. Und vor allem haben sie keine Angst vor dem Scheitern, sondern wissen, dass Experimente – trial and error – zum Erfolg dazu gehören. Genau diese kreativen Methoden werden in allen Bereichen der Gesellschaft und der Wirtschaft immer wichtiger, weil neue Technologien und die Globalisierung des Wissens unser Leben und unsere Arbeitsprozesse beständig beschleunigen und verändern.
Ist Kultur für Sie ein Motor für neue Ideen und Fortschritt sowohl in der Gesellschaft als auch in der Wirtschaft Brandenburgs? Welche Schritte unternehmen Sie, um diesen Prozess zu fördern?
Da schauen wir uns am besten den Strukturwandel in der Lausitz an: Kulturelle Angebote sind hier wichtig, weil sie einerseits neue Ideen einführen und durchspielen und andererseits die Identifikation mit der Region und Tradition bewahren. Außerdem wollen junge Menschen, dass was los ist – und die müssen wir als Fachkräfte in der Region halten. Ebenso wie wir Menschen aus anderen Teilen Deutschlands und aus dem Ausland in die Region locken wollen. Kultur bedeutet eben Gemeinschaft und Zugehörigkeit, Lebensqualität und Freizeit. Und damit sind wir wieder beim Kulturtourismus und der Kreativwirtschaft, wo die Kultur neue Wertschöpfungsketten und Arbeitsplätze in der Region schafft.
Was bedeutet für Sie „Erfolg“ in Bezug auf die Kulturarbeit in Brandenburg? Und wie messen Sie diesen Erfolg?
Über Geschmack lässt sich bekanntlich nicht streiten. Daran wird auch der Unterschied zwischen Kunst und Kultur einerseits und Kreativwirtschaft andererseits deutlich. Letztere messen wir quantitativ: Arbeitsplätze, Umsatzzahlen und Wachstumsraten. In der Kunst aber geht es um Qualität: Menschen experimentieren, loten Grenzen aus und folgen radikal subjektiven Interessen. Das bedeutet: Scheitern ist erlaubt! Aber natürlich gehört zum Erfolg auch das ausverkaufte Haus, die enthusiastische Presse oder der überregionale Ruf. Förderungswürdig sind für uns daher Projekte, die einen Beitrag leisten zur kulturellen Bildung, zur Stärkung der regionalen Identität, zum Kulturtourismus, zur Aktivierung bürgerschaftlichen Engagements oder zur Innovation und Internationalität unserer Kulturlandschaft. Künftig werden auch Kriterien wie Nachhaltigkeit, Energieeffizienz oder der Beitrag zum Gemeinwohl eine stärkere Rolle spielen.
Was bedeutet Kultur Ihnen persönlich, Frau Dr. Schüle? Auf welche kulturellen Ereignisse in Brandenburg freuen Sie sich besonders?
Kunst und Kultur sind für mich sinnliche wie intellektuelle Anregungen. Ich erlebe dabei spannende gesellschaftliche Debatten. Und ich amüsiere mich und kann mich vom politischen Tagesgeschäft ablenken. Im Sommer freue ich mich immer auf die Sommertournee von theater 89, die Musikfestspiele Sanssouci und den Choriner Musiksommer. Nach den Ferien geht es ab in die Premieren am Hans-Otto-Theater und im Brandenburgischen Staatsorchester. Dann habe ich noch das LIT:Potsdam-Festival und die Winteroper der Kammerakademie Potsdam auf der Liste sowie die laufend neuen Ausstellungen im Kunsthaus MINSK.
Vor welche Herausforderungen stehen Kulturschaffende in Brandenburg?
Eine Daueraufgabe ist der Abbau von Zugangshürden – körperlicher wie sozialer und emotionaler. Alle Menschen in Brandenburg sollen Kultur genießen können, unabhängig von ihrer Mobilität, der Größe ihres Geldbeutels oder ihres Bildungsabschlusses. Das ist nicht nur eine Frage der finanziellen Ausstattung, sondern auch der Kommunikation und des Audience Developments. Da müssen sich Kultureinrichtungen also über künstlerische Programmatiken hinaus Gedanken machen, über soziale Teilhabe, kulturelle Bildung und Diversitätsmanagement. Das soll nicht heißen, eine Einrichtung oder ein Projekt könne alle Menschen ansprechen. Es geht nicht um alles für alle, sondern für jeden etwas.
Wie kann die Kulturpolitik den Gemeinschaftssinn und die Widerstandsfähigkeit der Gesellschaft in Brandenburg stärken?
Kunst und Kultur bieten Räume für Begegnung, Austausch und neue Ideen. Der Einfluss der kulturellen Bildung auf die Persönlichkeitsbildung und Selbstwirksamkeit ist vielfach belegt. Kulturpolitik hat die Aufgabe, möglichst gute Rahmenbedingungen für die Menschen zu schaffen, die in diesem Bereich arbeiten. Sie muss Bedingungen schaffen, damit möglichst viele Menschen an solchen dritten Orten – also außerhalb von Zuhause und Arbeit – an dieser gesellschaftlichen Praxis teilhaben können. Wichtig ist aber auch: Kunst kann viel, darf fast alles, aber muss nichts. Eine Gesellschaft, die eine demokratische Streitkultur übt, ist resilienter als eine, die in anonymen Filterblasen Emotionen ventiliert. Aber die Kultur kann diese Räume nicht allein bereitstellen. Das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.
Wie stellen Sie sich die Zukunft der Kultur in Brandenburg vor?
Wir haben gerade eine neue kulturpolitische Strategie erarbeitet, die unsere Vision skizziert. Kultur gehört darin grundsätzlich zur Daseinsvorsorge unseres Gemeinwesens, auch, weil die Kulturszene vielfältig, dynamisch und gut vernetzt ist – und zwar regional wie international. Sie generiert Beschäftigung und Wertschöpfung ebenso wie kritischen Diskurs über aktuelle Fragen und Themen. Und sie schafft Räume zur kreativen Entfaltung und Gestaltung, in denen alle mitwirken können – nicht zuletzt in der Kreativwirtschaft, zu der es etwa bei Design, Musik oder Games oft fließende Übergänge gibt.
Zur Person
Dr. Manja Schüle wurde in Frankfurt (Oder) geboren und lebt seit 1996, als sie ihr Studium der Politikwissenschaften begann, in Potsdam. 2006 wurde sie promoviert. 2008 wurde sie in Potsdam als Stadtverordnete, 2017 per Direktmandat für die SPD in den Bundestag gewählt. 2019 wurde Dr. Manja Schüle zur Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Brandenburg berufen.