HPI School of Design Thinking - „Veränderung ist etwas Positives“
02.02.2023 - Lesezeit: 7 Minuten
Denken wie ein Designer: An der HPI School of Design Thinking in Griebnitzsee lernen Studierende ebenso wie Mitarbeiter aus Unternehmen, in interdisziplinären Teams innovative Lösungen für die komplexen Fragestellungen zu finden, die sich durch den digitalen Wandel ergeben. Die 2007 von Hasso Plattner gegründete HPI D-School gilt als das Zentrum für Design Thinking in Europa.
Papprollen, Knetgummi, Styroporringe, Lego. Dazwischen mit bunten Post-its gespickte Whiteboards, Holzmodelle, Bildschirme, ein 3-D-Drucker. Der „Make Space“ in der HPI School of Design Thinking (HPI D-School) ist ein lichtdurchfluteter Kreativraum, wie man ihn sonst eher aus Designstudios oder Werbeagenturen kennt. Die filigranen weißen Stehtische stehen auf Rollen und lassen sich modular konfigurieren. Überhaupt ist hier alles mit variablen Elementen ausgestattet, die sich je nach Situation und Bedarf hin- und herschieben lassen. Ideen können sich in dieser offenen und flexibel nutzbaren Arbeitsumgebung frei entfalten. Niemand weiß das besser als Prof. Ulrich Weinberg, der als Experte für 3-D-Computeranimation für renommierte Designagenturen wie ART + COM arbeitete und später als Professor für Computeranimation an der Filmuniversität Babelsberg lehrte: „Wenn ein spezifisch zusammengestelltes Team temporär an einem komplexen Thema arbeitet, braucht es dafür auch ein spezielles Ambiente“, so Weinberg. „Alle müssen höchst flexibel agieren können. Stehen ist dafür besser geeignet als Sitzen. Das Mobiliar muss beweglich und schnell konfigurierbar sein. Das gilt auch für die Elemente in hybriden Räumen.“
Seit 2007 ist Ulrich Weinberg Leiter der HPI School of Design Thinking, die SAP-Co-Gründer Hasso Plattner im selben Jahr auf dem Campus- Gelände der Universität Potsdam in Griebnitzsee eröffnete. Mitten in der Natur und doch in unmittelbarer Nachbarschaft zu Berlin und Potsdam. Die HPI D-School gilt als die Urzelle des Design Thinking in Europa – und nach wie vor als dessen wichtigstes Ausbildungszentrum. Die systematische, aber für das Geschäftsleben Anfang des Jahrtausends noch sehr ungewöhnliche Herangehensweise an komplexe Fragestellungen lehrte David M. Kelley. Er war Gründer der amerikanischen Design- und Innovationsagentur IDEO und einer der Urväter des Design Thinking, damals bereits an der kalifornischen Stanford University. In enger Zusammenarbeit mit Kelley gründete Plattner die HPI School of Design Thinking am Hasso-Plattner-Institut in Griebnitzsee – als Schwesterinstitut zu der von ihm ebenfalls unterstützten HPI D-School in Stanford.
15 Jahre sind seitdem vergangen. Inzwischen ist Design Thinking als Buzz Word auch aus deutschen Unternehmen nicht mehr wegzudenken. Der Begriff ist eng gekoppelt an die Veränderungsprozesse, die der digitale Wandel mit sich bringt. Und an ein neues Denken im Arbeitsleben, das tradierte Methoden und verkrustete Strukturen aus dem Industriezeitalter hinterfragt und stattdessen agile Zusammenarbeit, Flexibilität und Multidisziplinariät in den Vordergrund stellt.
Design Thinking, der Name verrät es bereits, orientiert sich an der Denk- und Arbeitsweise von Industriedesignern. Und das heißt bereits seit den frühen Tagen des Bauhauses in Weimar: Der Mensch und seine Bedürfnisse stehen im Fokus der Ideenwicklung. Aber auch, ob ein Produkt oder eine Lösung technologisch umsetzbar und marktfähig ist, fließt in die gestalterischen Überlegungen mit ein. Grundvoraussetzung ist ein Team, das interdisziplinär zusammenspielt. „Die hohe Komplexität, mit der Unternehmen und unsere Gesellschaft heute konfrontiert sind, fordert als Antwort auch komplexe Strukturen“, erläutert Weinberg. Damit meint der Design-Thinking-Experte kleine Teams, die spontan aus verschiedensten Bereichen des Unternehmens zusammengezogen werden, um gemeinsam eine Aufgabe zu lösen. „Es geht darum, die Kompetenz im Unternehmen besser nutzbar zu machen. Crossdisziplinär und crossfunktional.“
Design Thinking – sechs Schritte und mehrere Schleifen
Der Prozess ist – neben den variabel gestaltbaren Räumen und den interdisziplinär zusammengesetzten Teams – das dritte Grundelement des Design Thinking. Nach Definition der HPI D-School besteht er aus sechs Schritten, die aufeinander aufbauen: Verstehen, Beobachten, Sichtweise definieren, Ideen finden, Prototopen entwickeln und schließlich Testen. Entscheidend ist hier: Sie sind nicht linear aufgebaut. Schleifen können sowohl während des Prozesses gedreht werden, vor allem aber nach dem ersten Durchlauf. Denn nur so lässt sich die gemeinsam entwickelte und ausgearbeitete Idee optimieren. Das alles erfordert eine intensive Auseinandersetzung mit den Nutzern – ihren Wünschen und Bedürfnissen, Ängsten, aber auch Anregungen. „Rauszugehen, mit den Menschen zu sprechen und sie genau zu beobachten, das ist ganz wichtig. Die Eindrücke werden notiert, fotografiert, gezeichnet und anschließend im Team möglichst facettenreich auf eine oder mehrere Personas runtergebrochen. Das ist schwierig, aber eine wichtige Basis für den Innovationsprozess“, erläutert Ulrich Weinberg.
Die eigentliche Ideenentwicklung erfolgt dann in Brainstorming-Sessions, bei denen auch schräge Einfälle ausdrücklich willkommen sind. Aus der Vielzahl der Einfälle werden schließlich wenige Ideen herausgefiltert. Dann geht es ans Prototyping. Und hier kommen die Materialien im Make Space zum Einsatz: Es wird geschnitten, geklebt, geformt. „Das Team sollte sich dabei nicht scheuen, eine völlig verrückte Idee als sogenanntes ‚Dark Horse‘ umzusetzen. Hierdurch entstehen häufig wieder neue Ideen, die bereichernd in den Prozess einfließen“, so Weinberg. Sind die Prototypen fertig, werden sie Testpersonen übergegeben, die mit ihrem Feedback auch Anregungen für die weitere Optimierung liefern. Dann geht der Design-Thinking-Prozess in eine neue Schleife – so lange, bis Team oder Auftraggeber zufrieden sind.
Völlig neues Mindset
Zum breiten Spektrum der Projektpartner der HPI D-School gehören Automobilhersteller, die ihre Expertise zukunftsorientiert ausrichten möchten ebenso wie Ministerien, die das Thema Digitalisierung intern weiter vorantreiben wollen. Außerdem ein Netzwerk, das nach konzeptionellen Ansätzen sucht, um die Ausbildung von Innovationsscouts in Unternehmen zu fördern. „Veränderungsprozesse haben sich mit der Digitalisierung so massiv beschleunigt, dass Veränderung heute in sämtlichen Branchen quasi der Status quo ist“, resümiert Weinberg und ergänzt: „Design Thinking eröffnet Unternehmen die Möglichkeit, flexibel darauf zu reagieren und sich in andere Richtungen zu bewegen.“
Rund 400 Studierende aus 20 Nationen werden inzwischen jährlich an der HPI D-School in Griebnitzsee ausgebildet. Die Anzahl der Bewerber ist deutlich höher. Mitarbeiter von Unternehmen durchlaufen Professional Trainings. Sie alle entwickeln hier ein völlig neues Mindset – weg vom Kompetitiven – hin zur produktiven Zusammenarbeit im Team. „Veränderung ist etwas Positives, das ich permanent betreiben kann“, sagt Ulrich Weinberg und hockt dabei einspannt auf einem der hohen weißen Designerstühle im Institut. „Darauf sind unsere Absolventen bestens vorbereitet. Die Offenheit, die unsere Studierenden hier mitnehmen, verlieren sie nicht mehr.“