„Moderne Führung ist mehr Coaching, weniger Bossing“
09.11.2023 - Lesezeit: 5 Minuten
Wie geht Führung in Zeiten der Veränderung? Antworten gab Ilja Grzeskowitz, bereits in jungen Jahren als Geschäftsführer bei Karstadt, Wertheim, Hertie und Ikea angestellt, vor dem Unternehmer-Club Brandenburg. Vor der Veranstaltung hat sich Thomas R. Killius, Bereichsleiter Firmenkunden bei der Berliner Volksbank, mit dem Gründer der Change Leaders Academy über die Anforderungen an zeitgemäßes Leadership unterhalten.
Führen durch Kontrolle, das war früher das Selbstverständnis von Chefs. Das geht schlecht, wenn das Team im Homeoffice sitzt und nur zwei- oder dreimal pro Woche im Büro aufschlägt. Deshalb die Frage: Wie führe ich aus der Ferne?
Jedenfalls nicht, indem ich darauf setze, dass sich das Phänomen „Homeoffice“ bald erledigt haben wird. Das hybride Arbeiten wird für immer mehr Menschen relevanter, darauf müssen sich auch Führungskräfte einstellen. Der Ansatz für gelungenes „Führen aus der Ferne“ lässt sich schnell auf den Punkt bringen: mehr Coaching, weniger Bossing. Wer auf Kontrolle setzt – Bossing –, bringt damit sein Misstrauen zum Ausdruck: „Arbeitet ihr auch genug?“ Das ist der falsche Ansatz, gerade bei hybriden Arbeitsmodellen. Zumal beispielsweise eine genaue Zeitkontrolle bei der sich ausbreitenden Wissensarbeit wenig Aussagekraft besitzt. „Wie produktiv bin ich?“: Das ist die entscheidende Frage, und die lässt sich durch eine engmaschige Kontrolle nicht beantworten. Die Erfahrung zeigt: Die Produktivität steigt, wenn Führungskräften ihren Mitarbeitenden Vertrauen schenken und bewusst Freiräume lassen.
Das kollidiert mit dem Selbstverständnis vieler Führungskräfte, die es als ihre Aufgabe verstehen, auf die Leistungen ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu achten, vulgo: diese Leistungen auch zu kontrollieren.
Dieser Kontrollzwang ist alte Schule, aber in vielen Unternehmen noch immer sehr präsent, das stimmt. Umso erfreuter nehme ich zur Kenntnis, dass sich dieses Selbstverständnis – Führen durch Angst und Druck – allmählich wandelt. Die Unternehmen trauen sich verstärkt einem Ansatz zu folgen, der auf Empathie, Transparenz und Vertrauen setzt. Weil sie feststellen: Wo die Mitarbeitenden sowohl Freude und Sinn in ihren Aufgaben erleben, steigt die Arbeitsfreude und die Produktivität. Damit steigert sich auch die Leistung – worauf, wie Sie richtig sagen, die Vorgesetzten achten müssen.
Woher kommt dieser Sinneswandel – weg vom Boss, hin zum Coach?
Die Corona-Pandemie hat diese Entwicklung, das Verständnis von Führung zu hinterfragen, unglaublich beschleunigt. Plötzlich mussten sich auch Unternehmen, die sonst niemals auf den Gedanken gekommen wären, mit dem Thema „Homeoffice“ auseinandersetzen. Und sich fragen, wie sie denn Menschen führen wollen, die sie höchstens in Videocalls sehen. Heute wissen sie: Es geht auch anders als früher – es geht besser.
Wäre es nicht, die normale Reaktion, nach der Pandemie wieder zu alten, bewährten Mustern zurückzukehren?
Den Impuls gibt es, und viele Unternehmen ordnen ja tatsächlich wieder eine Präsenzpflicht an. Das halte ich für riskant, weil zu kurzfristig gedacht. Andere Unternehmen priorisieren intern bewusst das Thema „Leadership“, weil sie wissen, wie entscheidend die Art der Führung für den langfristigen Erfolg ist und dass sie schon jetzt die Weichen stellen müssen. Sie treiben die Veränderung aktiv voran.
Wie geht das, wie treibe ich als Unternehmen ein modernes Verständnis von Führung voran?
Sie müssen es vorleben. Wenn das gewünschte Verständnis von Leadership nicht vorgelebt wird, und zwar top-down von allen Führungskräften, dann geht das schief.
Nun wird sich vermutlich in jedem Unternehmen die eine oder andere Führungskraft finden, die wenig inneren Antrieb zeigt, ihr Verständnis von Führung komplett zu überdenken …
Was stimmt: Wenn die Mehrheit der Manager kein Interesse zeigt, anders zu führen, wird sich auch nichts ändern. Verkrustete Strukturen sind nicht von einigen wenigen aufzubrechen. Der Impuls muss vom Top-Management kommen und vorgelebt werden. Appelle nützen nichts, Druck hilft auch nicht: Die Unternehmensspitze muss die Manager begeistern für diese neue Art der Führung. Sonst bleibt das Unternehmen in den verkrusteten Strukturen stecken – und geht unter.
Warum glauben Sie, dass Unternehmen scheitern, die sich nicht auf dieses moderne Verständnis von Führung einlassen?
Weil sich qualifizierte Kräfte heute aussuchen können, wo sie arbeiten wollen. Wenn die Rahmenbedingungen nicht stimmen, dann gehen die Mitarbeitenden und suchen sich lieber einen anderen Arbeitgeber. Neue Fachkräfte anzulocken, wird noch schwieriger. Dazu kommt: Die jetzt auf den Arbeitsmarkt kommende Generation Z stellt „Leistung“ nicht mehr über alles andere. Sie will einen gut bezahlten Job mit inhaltlich befriedigenden Aufgaben und einer vernünftigen Work-Life-Balance. Und es wird keineswegs fraglos akzeptiert, was der Chef sagt – nur weil es vom Chef kommt.
Dieses Verhalten ärgert viele Vorgesetzte. Mit den Klagen von Chefs über die Generation Z ließen sich ganze Enzyklopädien füllen. Wie lassen sich diese jungen Menschen denn überhaupt noch führen?
Mit emotionaler Intelligenz. Indem ich als Chef diesen Menschen mit Empathie begegne und zuhöre: „Was sind deine Werte?“, „Was sind deine Erwartungen?“ Das gilt es aufzugreifen und in konkrete Aufgaben umzusetzen – und diese Mitarbeitenden dabei möglichst in ein Team einbinden, das sich gegenseitig stärkt und unterstützt.
Solche empathischen Führungskräfte gibt es eher selten. Bislang wird vor allem nach fachlicher Leistung befördert …
… und die Führung läuft so nebenbei. Ja, das war lange der Standard. Diese Einstellung hat dazu geführt, dass häufig eben gar nicht geführt wurde, weil der Chef oder die Chefin sich gar nicht als Führungskraft sah, sondern mit fachlicher Expertise punkten wollte. Zum Glück wenden sich immer mehr Unternehmen von diesem Irrweg ab und legen genaue Anforderungsprofile für ihre Führungskräfte fest. Wenn Sie mich fragen: Das ist genau der richtige Weg.