Wie geht Marke? „Bei Senf muss man schon schärfer überlegen“
08.06.2023 - Lesezeit: 6 Minuten
Wie geht Marke in Social Media? Marketing-Experte Adil Sbai erzählt im Interview, wie Influencer und Content Creator die Branche aufwirbeln – und wie jedes Unternehmen die neuen digitalen Möglichkeiten zum Markenmanagement und zur Markenentwicklung nutzen kann.
Herr Sbai, was charakterisiert erfolgreiche Markenentwicklung auf TikTok, Instagram, YouTube & Co?
Das Wichtigste ist die richtige Tonalität. Marken kommen dann sehr gut an, wenn sie auf Augenhöhe mit der Zielgruppe kommunizieren. Dafür ist es wichtig, die Plattform zu verstehen, Trends aufzugreifen sowie auch bei anderen Marken zu kommentieren – und das mit einem Augenzwinkern. Bei WeCreate sprechen wir von „Debranding“, also ein bisschen wegzugehen von der Marke.
Können Sie ein erfolgreiches Beispiel für Debranding bei Social Media geben?
Das erfolgreichste Beispiel im deutschsprachigen Raum ist 4BRO, ein Hersteller von Eistee. Die Marke wurde erst vor drei Jahren gelauncht und verzeichnet jetzt schon neunstellige Umsätze. 4BRO ist quasi mit TikTok-Marketing aus dem Boden geschossen. Die gehen genauso vor, wie ich es gerade beschrieben habe. Marken müssen denken und kommunizieren wie Creator oder – wie sie auf Instagram heißen – Influencer.
Kann eine etablierte Marke so denken wie ein Content Creator oder ein Influencer?
Nun ja, die Deutsche Bahn kriegt es ja auch hin – ein Staatskonzern mit einem durchaus kontroversen Produkt. Die Hälfte der User-Kommentare dreht sich darum, dass die Bahn immer zu spät kommt. Trotzdem hat die Deutsche Bahn über TikTok eine starke Markensympathie aufbauen können. Ein anderes Beispiel ist Bautz’ner Senf, eine Marke mit Ost-Heritage. Die setzen im Marketing fast ausschließlich auf TikTok. Dadurch haben sie ihre Markenbekanntheit in den letzten zwei Jahren – mit Marktforschung unterstützt – um zwölf Prozent steigern können. Bautz’ner Senf wurde dadurch nicht nur bekannter, sondern wird heute auch als deutlich sympathischer wahrgenommen. Bautz’ner nennt das den „Internet-TikTok-Effekt“.
TikTok oder Instagram: Wo liegen die Unterschiede? Instagram adressiert ja eine ältere Zielgruppe.
Das stimmt, aber auch TikTok wird älter. Die beiden Plattformen gleichen sich immer mehr an. Gleichwohl ist Instagram bei der Gen Y noch deutlich populärer als bei der Gen Z, die eher auf TikTok unterwegs ist. Wir haben gerade eine Studie gemacht, die das bestätigt. Der entscheidende Unterschied zwischen beiden Plattformen ist, dass TikTok sich als Content-Hub versteht und nicht als Social-Hub. Auf TikTok ist außerdem Werbung deutlich günstiger. Tausend Menschen zu erreichen, kostet auf TikTiok 1, 20 bis 1,30 Euro. Bei Instagram muss man für reine Ad-Kosten mit dem Fünf- bis Zehnfachen rechnen.
Passt wirklich jede Marke zu TikTok oder gibt es welche, wo Sie sagen würden: „nee, schwierig“?
Schwierig kann es werden, wenn sich ein Produkt sich nicht mit den Werten der Gen Z deckt. Wenn es der Umwelt oder der Gesellschaft schadet und schlechtes Feedback bekommt. Ansonsten passt jede Marke und jedes Produkt – wenn man den richtigen Ton trifft. Manchmal muss man allerdings zunächst ein dickeres Fell haben. Und manchmal ist es ein Selbstläufer, weil das Produkt sehr gut zur GenZ und zu TikTok passt. Entscheidend ist, dass man immer wieder neue Storys erzählt. Eine Marke wie Mercedes-Benz hat es da sehr einfach, weil es immer wieder neue Modelle gibt, Events und Sponsoring. Bei Senf muss man schon schärfer überlegen, was man erzählt. Das kann ein Mix aus Trends sein, auf die man aufspringt, oder man baut eine Persona für die Brand auf. Übrigens ist Corporate Identity dabei gar nicht so relevant, obwohl sie von Brandmarketern oder Managern immer wieder gepusht wird. Für uns ist diese Relevanz nicht validiert.
Wie findet ein Unternehmen für Social Media den passenden Content Creator?
Es ist ein Mix aus: Man kennt Leute und weiß bereits, wer passen könnte und Recherche. WeCreate hat ein Tool entwickelt, das wir inhouse nutzen. In dieser Datenbank sind alle Creator in Deutschland gelistet, die mindestens 5.000 Follower haben. Das hilft natürlich massiv beim Sourcing. Wir stellen dann passende Vorschläge zusammen und stellen diese Insights den Markenverantwortlichen vor. In der Regel vertrauen Marken unseren Empfehlungen.
Wie wichtig sind Followerzahlen der Content Creator bei der Auswahl?
Bei TikTok ist es gar nicht so wichtig, dass Content Creator viele Follower haben. Viel wichtiger sind gute organische Zahlen, die sich aus unbezahltem Content generieren. Es gibt viele Creator, die haben richtig hohe Followerzahlen, aber nicht mehr so viele Views, weil sie an Hype verloren haben. Der smarteste Weg für eine Marke ist es daher, auf Content Creator mit noch wenigen Followern aber guten organischen View-Zahlen zu setzen. Wir nennen sie „Diamanten“. Diese sind in der Regel noch ungeschliffen und sehr viel günstiger einzukaufen. Da kann man wirklich krasse Schnäppchen machen.
Sollten Unternehmen inhouse Content Creator als Markenbotschafter aufbauen?
Das ist Segen und Fluch zugleich. Ein Gesicht im eigenen Hause aufzubauen birgt auch immer ein Risiko. Weil Mitarbeiter ja auch gehen. Bekanntes Negativbeispiel ist Chip.de. Das Online-Magazin hatte sehr lange den größten Kanal im deutschsprachigen Raum auf TikTok – mit rund 800.000 Followern. Das Problem: Ein Volontär hatte den Kanal aufgesetzt. Irgendwann wollte dieser einen zweiten, privaten Kanal aufmachen. Das hat ihm das Unternehmen verboten und der Mitarbeiter kündigte. Inzwischen ist der Chip.de-Kanal in der Versenkung verschwunden. Ähnlich war es bei Finanztip.de: Die Mitarbeiterin wurde abgeworben. Das Unternehmen hat daraus gelernt. Man sieht dort jetzt drei Gesichter und der Kanal hat sich erholt.
Was sind die No-Gos für Marken auf Social-Media-Plattformen wie Instagram und TikTok?
Das größte Problem ist immer noch ein mangelndes Verständnis dafür, wie man kommuniziert. Wenn Gründer oder Manager selbst in die Kamera sprechen und vorher nicht geschult oder gecoacht wurden, ist das in der Regel zum Scheitern verurteilt. Wir empfehlen daher eher, einen externen Content Creator für einen Zeitraum X an die Marke zu binden. Es ist deutlich leichter, einem Creator Marke beizubringen als eine Mitarbeiter Content-Creation. Langfristig wirklich guten Content zu machen ist nicht ohne. Das unterschätzen viele Marken.
Blick in die Zukunft: In spätestens 20 Jahren – so die Prognosen – wird das Metaversum „Realität“ sein. Was wird das für Marken bedeuten?
Ehrlicherweise kann ich dazu noch gar nicht viel sagen. Natürlich wird das Metaversum kommen, und natürlich wird es alternativlos Einfluss auf alle Lebensbereiche haben. Wie? Keine Ahnung. Bisher sind weder die Soft- noch die Hardware so weit entwickelt, dass ich coole Cases sehe. Es gibt natürlich ein paar hochgepushte Projekte, zum Beispiel von High Fashion Brands. Das Metaversum ist auch eine Investitionsplattform, auf der viele mitmischen und digitales Land kaufen wollen. Aber das ist eine Wette, auf die ich mich noch gar nicht einlassen will.
Adil Sbai ist CEO und Gründer von WeCreate. Die Kreativagentur fokussiert sich auf das Format 9:16 – sprich: TikTok, YouTube-Shorts und Instagram-Reels. Sbai ist Autor der „TikTok-Bibel” und Co-Autor des OMR Reports zu „TikTok for Brands“. 2019 gründete er influData. Das Tool sucht und analysiert Content Creator auf Instagram, TikTok und YouTube.