"Ohne Handwerk wird Berlin nicht funktionieren"
04.12.2024 - Lesezeit: 10 Minuten
Als Präsidentin der Handwerkskammer Berlin will Carola Zarth die für das Handwerk existenziellen Themen angehen: Ausbildung und Nachfolge, der Abbau von Bürokratie und nicht zuletzt die Gefahr, aus der Stadt gedrängt zu werden. Ihr Antrieb: wahre Liebe.
Erlebt das Handwerk in Berlin gerade gute Zeiten, Frau Zarth?
Carola Zarth: Auf jeden Fall, denn es gibt unglaublich viel zu tun. Das Handwerk hält die Stadt am Laufen. Und nur mit dem Handwerk werden wir unsere Klimaziele erreichen. Allein die Sparte der Klimaberufe ist hochspannend – von Solartechnik, Elektrotechnik, Heizung- und Klimatechnik bis hin zu Brunnenbauern für die Geothermie. Auch Maurer und Glaser tragen im Bauhandwerk dazu bei, Gebäude klimafest zu machen. Zudem boomt das Gesundheitshandwerk mit Orthopädietechnik, Augenoptik und Hörakustik. Bei 130 Ausbildungsberufen kann man im Handwerk seine Bestimmung finden.
Das Handwerk scheint auch Ihre Bestimmung zu sein. Sie führen einen Betrieb, engagieren sich ehrenamtlich und sind Präsidentin der Handwerkskammer. Was packt Sie daran?
Mich fasziniert die immense Vielfalt im Handwerk, daran kann man schon sein Herz verlieren. Die außergewöhnlichen Menschen, die ich überall in Berlin treffe, verbindet eines miteinander: die Liebe zum Handwerk.
Carola Zarth
Präsidentin der Handwerkskammer Berlin
Carola Zarth führt die Handwerkskammer Berlin seit 2019 als Präsidentin. Die 59-jährige Berlinerin hat gleich zwei Ausbildungen: als Groß- und Außenhandelskauffrau sowie als Kfz-Betriebswirtin. Seit über zwei Jahrzehnten leitet Carola Zarth, Mitglied und Teilhaberin der Berliner Volksbank, den Charlottenburger Familienbetrieb Auto-Elektrik G. Holtz als geschäftsführende Inhaberin in dritter Generation.
Wie lässt sich diese Liebe vermitteln? Es entscheiden sich ja immer noch zu wenige junge Leute für eine Ausbildung im Handwerk.
Das ist richtig, und leider sind auch in diesem Jahr mehr als 700 Ausbildungsstellen in Berlin nicht besetzt. Ich denke, wir haben es als Gesellschaft über Jahrzehnte versäumt, jungen Menschen die Gleichwertigkeit von Ausbildung und akademischem Lebenslauf zu vermitteln. In den vergangenen 30, 40 Jahren wurde das Studium als Erfolgsvoraussetzung propagiert. Das fällt uns letztlich auf die Füße, denn wir brauchen ein starkes Handwerk für unsere Zukunft.
Wer ist hier gefragt? Die Eltern, die Lehrer?
Da ist die gesamte Gesellschaft gefragt. Wir brauchen mehr Präsenz der Handwerksberufe. Kleine Kinder lieben es, die Welt mit den Händen im wahrsten Sinne des Wortes zu begreifen. Irgendwann auf dem Weg vom Kind zum Jugendlichen trainieren wir ihnen diese handwerkliche Neugier ab, sowohl im Elternhaus als auch in der Schule, wo der Werkunterricht aus den Lehrplänen verschwindet. Gerade in Gymnasien würden wir gerne mehr attraktive Ausbildungsberufe vorstellen. Vielleicht würde dann derjenige, der gut in Mathematik und Physik ist, statt eines Ingenieurstudiums eine Karriere in der Solartechnik in Betracht ziehen.
Sind die Aufstiegs- und Gehaltschancen im Handwerk vergleichbar mit denen einer akademischen Karriere? Und was ist mit New Work, wenn man auf einer Baustelle arbeitet?
Es gibt viele nachgefragte Berufe, in denen Sie schon mit einem Gesellenbrief sehr gutes Geld verdienen. Wenn Sie noch ein Jahr lang den Meisterkurs dranhängen, können Sie innerhalb von drei Jahren eine führende Position oder einen Betrieb übernehmen – deutlich schneller als mit einem Studium. Immer mehr junge Betriebe sind wie ein Start-up aufgestellt: mit Vier-Tage-Woche, flexiblen Arbeitszeiten und Gesundheitsangeboten, mit modernen Hilfsmitteln wie Exoskeletten und den Betriebsabläufe optimierenden Einsatz von KI. Solateure arbeiten mit Drohnen, die Dächer vermessen. Maler setzen Roboter für den Voranstrich ein, im Heizung- und Klimabereich geht wenig ohne Computertechnik.
Und doch bleibt der Fachkräftemangel herausfordernd. Die Einstellung von Geflüchteten kann dem entgegenwirken. Welche Erfahrungen haben Berliner Handwerksbetriebe gemacht?
Da gibt es sehr gute Erfahrungen, allein bei uns im Betrieb haben von zehn Leuten drei einen Fluchthintergrund, es klappt wunderbar. Für eine Begleitung beim Onboarding haben wir bereits 2015 gemeinsam mit der Senatsverwaltung die Ausbildungsinitiative Arrivo ins Leben gerufen. Über das Servicebüro erhalten Unternehmen Informationen zu Fördermöglichkeiten, Einstellungsvoraussetzungen – und zu Sprachkursen. Denn die größte Herausforderung ist die Sprache, da brauchen wir deutlich mehr fachspezifischen Deutschunterricht, um in der Berufsschule zu bestehen. Bei den ukrainischen Geflüchteten, unter denen viele Frauen sind, liegt die Herausforderung an anderer Stelle: Es mangelt an Angeboten für die Kinderbetreuung.
Welche Aufgaben setzen Sie sich als Präsidentin der Handwerkskammer für die kommenden Jahre?
Das Thema Verdrängung von Handwerksbetrieben aus der Stadt liegt mir sehr am Herzen. Gewerbeflächen werden in Berlin zunehmend für andere Zwecke umgewidmet. Mittlerweile bekommen wir besorgniserregende Zahlen, etwa dass mehr als jeder zehnte Handwerksbetrieb in den nächsten zwei Jahren vor einem Standortwechsel steht. Das betrifft uns alle, denn letztlich geht es um die Nahversorgung unserer Stadt.
Was führt zur Verdrängung von Berliner Handwerksbetrieben?
Die Gründe dafür sind steigende Gewerbemieten und heranrückende Wohnbebauung. Werden Unternehmen aus Berlin verdrängt, fangen sie häufig weit hinter dem Speckgürtel neu an und fahren für kleinere Reparaturen nicht mehr in die Stadt. Die Betriebe in der Stadt zu halten, etwa durch genossenschaftliche Zusammenschlüsse, ist mein Fokus. Denn ohne Handwerk wird Berlin nicht funktionieren.
Dafür braucht es weniger Bürokratie. Was muss die öffentliche Verwaltung im Umgang mit Betrieben verändern?
Definitiv das Vergabethema. Wir merken, dass sich weniger Handwerksbetriebe, insbesondere die kleinen, bei öffentlichen Vergaben bewerben. Die damit verbundenen bürokratischen Auflagen sind zu hoch. Die Idee des „One-in, One-out“ – also dass neue Belastungen nur in dem Maße eingeführt werden dürfen, wie bisherige Belastungen abgebaut werden – ist schon lange nicht mehr präsent. Über den Zentralverband des Deutschen Handwerks versuchen wir stark auf das Thema einzuwirken. Das Habeck-Ministerium will mit sogenannten Praxis-Checks den Abbau von Bürokratie vorantreiben. Ein guter Schritt, den allerdings sämtliche Ministerien umsetzen müssten.
In den kommenden zwei Jahren benötigen geschätzt 8.600 Firmen in Berlin eine Nachfolgeregelung. Wie lässt sich diese Aufgabe stemmen?
Wir sind glücklich, dass wir gemeinsam mit der IHK Berlin, der BürgschaftsBank Berlin und der Senatsverwaltung für Wirtschaft im August die Nachfolgezentrale ins Leben gerufen haben. Damit hat Berlin neben anderen Angeboten, die auch wir als Handwerkskammer machen, erstmals eine zentrale Anlaufstelle für Unternehmensnachfolgen. Der Clou: Mit Hilfe einer Matching-Datenbank kommen suchende Unternehmen und Nachfolge-Interessierte zusammen. Ein Ort, der kompetent berät und vermittelt – damit sich findet, was zusammenpasst. Davon verspreche ich mir sehr viel.
Letzte Frage. Die Zukunft des Handwerks ist golden, weil …?
… weil sich das Handwerk immer wieder neu erfindet und deshalb unvergänglich ist. Wir sind bestens auf die großen Transformationen vorbereitet, die vor Berlin und dem ganzen Land stehen. Mit einem starken Handwerk werden wir sie meistern.