„Wir machen hier das Gegenteil von NFTs"
31.10.2024 - Lesezeit: 8 Minuten

Hermann Noack betreibt in vierter Generation die Berliner Bildgießerei Noack. Mit ihm spricht Carsten Jung, Vorstandsvorsitzender der Berliner Volksbank, über große Kunst – und wie man als Handwerksbetrieb auch nach mehr als 125 Jahren zukunftsfähig bleibt.
Die Bildgießerei Noack, 1897 gegründet, zählt zu den weltweit fünf bedeutenden Bronzegießereien weltweit. Sie hat unter anderem die Quadriga für das Brandenburger Tor hergestellt und die Viktoria von Drake auf der Siegessäule restauriert. Henry Moore, stilprägender Bildhauer des 20. Jahrhunderts, ließ rund 1.000 Großskulpturen bei Noack gießen. So hat die Bildgießerei Noack internationale Kunstgeschichte mitgeprägt.
Carsten Jung: Können Sie sich an das erste Bronzestück erinnern, Herr Noack, das Sie gegossen haben?

Hermann Noack: Das muss während meiner Ausbildung zwischen 1987 und 1989 gewesen sein, aber ehrlich gesagt, habe ich nicht besonders oft selbst gegossen. Anfang der 1990er habe ich mit Abformtechniken experimentiert und immerhin etwas für Karl Horst Hödicke abgegossen – dem künstlerischen Vater der „Jungen Wilden" um Georg Baselitz und Markus Lüpertz.
Das sind große Namen. Bedeutende Bildhauer finden in Ihnen und Ihrem Team kongeniale Partner. Wann hatte die Bildgießerei Noack ihren Durchbruch in der Kunstszene?
Hermann Noack: Henry Moore hat unserem Betrieb einen Schub versetzt. Moore ist der bedeutendste Bildhauer im 20. Jahrhundert. In den 1950er-Jahren kam er in Berlin gezielt zu uns. Dass er als Engländer so kurz nach dem Krieg mit uns arbeiten wollte, das adelt uns. In seiner Heimat wird das teilweise bis heute nicht gern gesehen.
Die Viktoria auf der Siegessäule, die Quadriga auf dem Brandenburger Tor, Willy Brandt in der SPD-Zentrale – sie alle haben hier ihren Ursprung. Gibt es ein Werk oder ein Projekt, das Ihnen besonders lieb ist?
Hermann Noack: Es gibt ein Projekt, an das ich in der aktuellen Situation oft denken muss. Es hat künstlerisch vielleicht nicht die ganz große Bedeutung, aber die Umstände waren außergewöhnlich. 1995 haben wir den „Heiligen Georg“ für die Kuppel des Kremls hier in Berlin modelliert und gegossen – und dann habe ich das Werk persönlich bei Minus zwanzig Grad in Moskau aufgestellt. Das war ein Abenteuer. In jüngerer Zeit gab es das sehr interessante Projekt „Zero Dom“ mit Georg Baselitz. Das haben wir zweimal gegossen – neun Meter hoch – und einmal im Hyde Park in London und ein weiteres Mal gegenüber des Louvre aufgestellt. An solchen Plätzen zu arbeiten ist beeindruckend.

Gegründet hat die Gießerei 1897 Ihr Urgroßvater, dessen Namen alle Nachfolger wie eine Auszeichnung trugen. Sie sind der vierte Hermann Noack – was haben Sie anders gemacht als Ihr Vater, Groß- und Urgroßvater?
Hermann Noack: Ich habe mal gelesen, dass der Übergang von der dritten zur vierten Generation ganz besonders problematisch sein soll. Und das war es bei uns tatsächlich auch. Mein Input ist vor allem der Umzug der Firma. Nach 110 Jahren in Friedenau vergingen Jahre bis wir schließlich hier in Charlottenburg ankamen und unsere Idee eines Neubaus mit Werkstatt, Galerie, Museum, Atelier und einer Bar umsetzen konnten. Selbst unsere ehemalige Hausbank hat nicht daran geglaubt. Deshalb sind wir zurück zur Berliner Volksbank gewechselt.
Hat der Umzug das Unternehmen in eine neue Dimension katapultiert?
Hermann Noack: Ja und nein. Wir haben hier deutlich bessere Arbeitsmöglichkeiten, sind energieeffizienter. Wir können andere Materialien nutzen, und von der Kundenstruktur sind wir breiter aufgestellt.
Sie sagen, dass Sie an diesem Standort die Möglichkeit haben, mit anderen Materialien zu arbeiten: Ermöglicht das auch eine neue Balance zwischen Tradition und Innovation?
Hermann Noack: Wir waren immer innovativ, aber hier haben wir einfach mehr Platz und mehr Möglichkeiten. Es ist ein Ort, an dem von Kunstherstellung bis zur Kunstpräsentation vieles möglich ist. Im Mittelpunkt steht die Skulptur, vom Konzept über den künstlerischen und handwerklichen Prozess bis hin zur Ausstellung.
Welche Stellung hat die Bildgießerei Noack Ihrer Ansicht nach in der Kunstwelt heute?
Hermann Noack: Neulich war ich in einem Restaurant, und eine Dame aus den USA saß am Nachbartisch. Wir kamen ins Gespräch und sie fragte mich, wie ich hieße. Nachdem ich geantwortet hatte, meinte sie: Wie Noack? Von der Gießerei? Sie hatte auch mit Kunst zu tun, kannte mich und uns. In der Kunstwelt generell kennt man den Namen Noack.
Ihre Kunden sind die anspruchsvollsten, die man sich vorstellen kann. Gibt es Wettbewerber?
Hermann Noack: Ein Alleinstellungsmerkmal haben wir als Kunstgießerei nicht. Es gibt Gießereien, die sich eine erstaunliche Marktposition erarbeitet haben, die zum Teil in gewissen Bereichen viel moderner aufgestellt sind als wir. Ich stelle mir oft die Frage: Wo wollen wir hin oder wo wollen wir vielleicht auch bleiben? Seit Längerem komme ich immer wieder zu der gleichen Antwort für mich – nämlich, dass ich beim Metallguss bleiben möchte. In Deutschland gibt es einige Gießereien, die größer sind als wir, die aber auch Schmuck oder Einrichtungsgegenstände produzieren. Da möchte ich nicht hin. Unser Thema ist die hochwertige Kunst.
Wie erleben Sie Ihr traditionelles Handwerk in unserer digitalisierten Welt?
Hermann Noack: Auch wir arbeiten vernetzt. Alles, was digital möglich ist, wird digital gelöst. Wir haben jemanden, der das Thema Digitalisierung und KI bei uns vorantreibt. Letztlich brauchen wir trotzdem Menschen in der Werkstatt, die gut ausgebildet und befähigt sind, das Produkt qualitativ hochwertig herzustellen. Vieles lässt sich nur im Handwerk lösen, und das wird auch in hundert Jahren noch so sein.

© Marcel Schwickerath
Welche sind die größten Herausforderungen, vor denen das Kunsthandwerk heutzutage steht? Ich denke da vor allem an Nachwuchs und Auszubildende.
Hermann Noack: Es gibt genügend Kunsthandwerker, Künstler und Galerien, aber der Staat nimmt uns viele Möglichkeiten durch Überbürokratisierung und Dokumentationszwang. Das ist eine große Herausforderung. Und natürlich spüren wir auch den Fachkräftemangel. In den letzten Jahren konnten wir nicht immer genügend neue Azubis finden. Hier mussten wir unsere Bemühungen deutlich erhöhen, auch mit Hilfe der Handwerkskammer. In diesem Jahr sind nun endlich wieder vier junge Menschen bei uns in der Ausbildung.
Ich denke, dass Kunst, egal in welcher Form, in dieser unglaublich schnelllebigen Welt einen Ausgleich schaffen kann.
Hermann Noack: Da gebe ich Ihnen Recht. Es gibt aber auch Kunst, die in dieser hektischen digitalen Welt überhaupt erst entstanden ist – NFTs.
Ein spannendes Thema aber ganz anderes Segment.
Hermann Noack: Ich habe schon viele Stimmen gehört, die sagen, der Hype sei schon vorbei. NFTs hätten keinen nachhaltigen Wert. Von meiner Position aus muss ich natürlich sagen, dass ich das auch so sehe – wir machen hier das Gegenteil von NFTs. Es bleibt spannend.
Herr Noack, blicken Sie positiv in die Zukunft?
Hermann Noack: Auf jeden Fall. Der Wunsch, sich mit Kultur auseinanderzusetzen und Kunst zu erleben – der wird dem Menschen bleiben. Da bin ich mir sicher.