Reizthema „Homeoffice“: Was Unternehmer:innen jetzt machen können. Und was besser nicht.
19.05.2022 - Lesezeit: 5 Minuten
Niemand muss mehr im Homeoffice arbeiten. Viele Arbeitgeber verlangen daher wieder Präsenz im Büro – ein durchaus riskanter Schritt. Angestellte haben das Arbeiten am heimischen Schreibtisch zu schätzen gelernt und fordern mehr Flexibilität. Was gewinnen Unternehmer:innen, wenn sie sich darauf einlassen?
Die Homeoffice-Phase ist überstanden, hoffen viele Chefs. Sie hoffen vergeblich. Ihre Angestellten mögen die Flexibilität, die sie während der Corona-Pandemie genießen konnten. Wann sie wo arbeiten, wollen 61 Prozent von ihnen laut einer Sharp-Umfrage jetzt selbst entscheiden. Die Hybrid-Lösung – mal Büro, mal Homeoffice – gilt auch im Randstad Arbeitsbarometer als beliebteste Arbeitsform. Damit ist klar: Wo Chefs die Präsenzpflicht durchsetzen, gibt es Ärger – entweder als lauten Protest oder als leisen Exitus.
„Der Arbeitsmarkt ist heute ein Arbeitnehmermarkt“, sagt Richard Jager, CEO von Radstand Deutschland. Qualifizierte Mitarbeiter:innen können sich ihren Arbeitgeber aussuchen. So wird ihre Rückkehr ins Büro zum Lackmus-Test: Wie offen, lernfähig und -willig zeigt sich mein Arbeitgeber? Fallen die Antworten enttäuschend aus, wird sich umorientiert. Vier von zehn Angestellten sind derzeit offen für neue Aufgaben oder haben sogar mit der Jobsuche begonnen. Unter den 30- bis 39-Jährigen, die für die aktuelle EY-Jobstudie befragt wurden, ist sogar fast jede:r Zweite (48 Prozent) bereit, sich neu zu orientieren. „Wer für neue und bestehende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter attraktiv bleiben will, lässt sich am besten schnell etwas einfallen“, fordert daher Randstad-CEO Jager. Zum Beispiel, das Arbeiten am heimischen Schreibtisch nicht vorschnell zu beenden: Für 43 Prozent der Angestellten ist die Option auf Homeoffice-Tage laut Randstad Employer Brand Research 2021 eines der wichtigsten Kriterien bei der Arbeitgeberwahl.
Produktiv im Homeoffice
Die verbreiteten Ängste, Mitarbeiter:innen würden jenseits des Büros weniger arbeiten, haben zwei Jahre mit Corona-Pandemie glücklicherweise entkräftet: Die Angestellten sind im Homeoffice ebenso produktiv. Drei Viertel der Manager, die im Sommer 2021 von der Personalberatung Hays und dem Rheingold-Institut befragt wurden, sagen (häufig überrascht), ihre Mitarbeiter:innen könnten „weit eigenständiger arbeiten, als ich vorher gedacht habe“.
Das Problem ist eher psychologisch: Führungskräfte fürchten, die Kontrolle zu verlieren, wenn sie keinen direkten und schnellen Zugriff auf ihr Team haben. Schließlich gilt es auch in Corona-Zeiten, Aufgaben termingerecht zu erledigen und Vorgaben überzeugend umzusetzen. Und das lässt sich nun mal im direkten Austausch leichter vermitteln als über Telefon oder Videokonferenz.
Eine weiteres Argument der Führungskräfte gegen das Homeoffice: die Fürsorgepflicht. Arbeit und Privatleben werden im Homeoffice notwendigerweise vermengt. Manches wird halt „in Ruhe“ erledigt, nachdem die Kinder im Bett sind. So entpuppt sich die erhoffte Flexibilität auf einmal als never-ending Arbeitstag.
Flexibilität: ein zweischneidiges Schwert
Arztbesuche? Kinder abholen? Bei Ikea shoppen? Lässt sich alles einrichten! Das war das Versprechen der flexiblen Arbeitszeiten. Die Realität hingegen ist häufig gepflastert mit Mails zu jeder Tages- und Nachtzeit, abendlichen Videokonferenzen und virtuellen Meetings am Wochenende. Eine Capterra-Studie dokumentiert, dass die Hälfte der Angestellten Mails und Anrufe außerhalb der offiziellen Arbeitszeiten beantwortet und auch am Wochenende arbeitet. „Das führt zu einer Belegschaft mit permanenten Bereitschaftsdienst ohne Ruhezeiten“, kritisierte der Wirtschaftswissenschaftler Christian Scholz schon vor Jahren.
Diese Botschaft ist endlich angekommen. Die Idee des Work-Life-Blendings, dem Verschmelzen von Arbeit und Privatleben, verliert an Glamour. Die Folge: Work und Life werden gerade neu ausbalanciert. Dabei vorneweg schreitet die Generation Z, also die Jahrgänge ab 1995, mit einem deutlichen „Nein!“ zu Überstunden, Wochenendarbeit und abendlichen Anrufen oder Mails. Diesen Erkenntnisvorsprung holen ihre älteren Kolleg:innen jetzt auf. Auch sie verlangen mehr verlässliche Strukturen in ihrem Arbeitsalltag. Sie haben gelernt, wie unnötig es ist, ins Büro zu fahren, um dort ihre E-Mails zu lesen. Aber sie haben auch erkannt, wie schwierig es ist, Geistesblitze zu entwickeln, wenn man die Kolleg:innen nur per Video sieht.
Warum das Büro unverzichtbar bleibt
Das ist inzwischen sogar wissenschaftlich belegt, dank Microsoft. Der US-Konzern hatte während des Corona-Lockdowns alle Mitarbeiter:innen ins Homeoffice geschickt. Wie sich das auf Kommunikation und Kollaboration auswirkte, wird in der Studie „The effects of remote work on collaboration among information workers“ im Fachmagazin „Nature“ untersucht. Die Daten zeigen, dass die Angestellten im Homeoffice weniger vernetzt waren und sich eher abschotten. Langfristig, das deutet die Studie an, könnte das Einfluss auf die Innovationskraft haben. So zurückhaltend die Wissenschaft auch formuliert: Die Kernbotschaft ist längst angekommen, auch in Deutschland. Gute Manager wissen (auch wenn sie es nicht unbedingt zugeben), dass die besten Ideen oft bei informellen Gesprächen in der Kaffeeküche, am Kopierer, in der Kantine oder draußen bei der schnellen Zigarette an Gestalt gewinnen. All das verhindert der Zwang zum Homeoffice.
Das Büro hat also Zukunft, allerdings wird die Arbeit dort nicht mehr vorrangig am Schreibtisch erledigt. Das Büro „wird ein Ort der Begegnung“, sagt die Wirtschafts- und Organisationspsychologin Viola K. Kraus, „den Angestellte vor allem aufgrund der Möglichkeiten zum persönlichen Austausch und zur Interaktion aufsuchen.“ Und nicht, um sich von Chefs herumkommandieren zu lassen.
Motivation durch „lange Leine“
„Wir haben einen unfassbaren Schub in Bezug auf Digitalisierung und Selbstorganisationsfähigkeit erlebt“, sagt Josephine Hofmann vom Fraunhofer Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO). „Die erweiterte Verantwortlichkeit und das dazu erforderliche Vertrauen wurden durchaus auch als motivierend erlebt.“
Um so demotivierender wäre es, wieder an die kurze Leine genommen zu werden.
Genau das haben allerdings zwei Drittel der Führungskräfte vor. Mehr als die Hälfte der für die Hays-Rheingold-Studie befragten Manager zogen ihren Mitarbeiter:innen auch im Homeoffice enge Grenzen und setzten auf stärkere Kontrollen. 18 Prozent der Führungskräfte sahen im Homeoffice sogar nur eine irritierende Abweichung vom Normalzustand. Das heißt umgekehrt: Nur 30 Prozent der Chef:innen reagieren laut Studie „auf die Pandemie mit Gelassenheit und Öffnung“. Diese sogenannten Vertrauensmanager:innen setzen auf Selbstständigkeit und Eigenmotivation.
Vertrauensmanager:innen fällt es deutlich leichter, auf Wünsche ihrer Mitarbeiter:innen nach hybriden Arbeitsmodellen einzugehen. Das heißt allerdings keineswegs, dass der Weg zu akzeptablen Lösungen damit leicht wird. „Mit pauschalen Lösungen tun Arbeitgeber ihren Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen und damit dem eigenen Unternehmen keinen Gefallen“, warnt Randstad-CEO Richard Jager. Es gibt Angestellte, die würden am liebsten nur im Homeoffice arbeiten. Und andere, die erst im Büro mit seinen festen Strukturen aufblühen.
Die eigentliche Frage: Wie wollen wir künftig arbeiten?
Deshalb sollten sich Führungskräfte überlegen, was sie ihren Mitarbeiter:innen anbieten können. Dabei geht es um viel mehr als um die Frage, wer wann im Homeoffice arbeitet oder eben nicht. Es geht darum, das Wann und Wo zu verknüpfen mit dem Wie. Wie wollen wir künftig miteinander arbeiten? Wie können wir Abläufe verbessern? Wie können wir Leerlauf vermeiden? Wie können wir schneller zu guten Ergebnissen kommen? Wie können wir die Atmosphäre verbessern?
Das Arbeiten am heimischen Schreibtisch ist dabei nur ein Aspekt, vermutlich nicht einmal der wichtigste. Auch deshalb führt Rebecca Clarke, Personalchefin des holländischen Software-Herstellers Recruitee, jeden Monat mindestens ein sogenanntes Stay-Interview, ein Bleibegespräch. Dabei geht es weniger darum, Mitarbeiter:innen vom Absprung abzuhalten. Clarke fragt ganz allgemein: „Was müsste passieren, damit ihr kündigt? Und wie verhindern wir das?“
Wer Bleibegespräche als „Was können wir besser machen?“-Gespräche nutzt und die Erkenntnisse auch umsetzt, signalisiert Interesse und Gestaltungswillen. Und darf dasselbe von seinen Mitarbeiter:innen erwarten. Denn die bleiben natürlich – warum sollten sie wechseln?