„Vom soziodemografischen Wandel nicht erpressen lassen“
21.05.2025 - Lesezeit: 6 Minuten

Wie tickt die Generation der Nachwuchskräfte? Und wie sollen Unternehmen damit umgehen, wenn Gen Z auf Babyboomer trifft? Im Interview erklärt Generationenforscher Dr. Rüdiger Maas Ansprüche und Widersprüche in den verschiedenen Altersgruppen. Vor allem aber zeigt er auf, wie Unternehmen trotz soziodemografischem Wandel und Fachkräftemangel die richtigen Nachwuchskräfte finden.
Seit jeher haben sich Generationen aneinander gerieben. Was ist heute anders? Was sind heute die Reibungspunkte?
Eigentlich reiben sich die Jungen und die Alten heute gar nicht mehr aneinander. Es existieren viele Vorurteile, aber wirklich Kritik übt keiner. Im Gegenteil, die Älteren packen die Jungen in Watte und bewundern sie viel zu sehr. Das fängt im Elternhaus an und zieht sich bis zum Start ins Berufsleben durch.
Inwiefern bewundern die Älteren die Jüngeren?
Während früher die Älteren die Vorbilder der Jüngeren waren, ist das heute umgekehrt. Die Älteren orientieren sich an den Jüngeren und dringen in deren Welten ein. Ich nenne das „Kolonialisierung der Jugendwelten“. In den Sozialen Medien zeigt sich das besonders gut: Facebook war ursprünglich eine Plattform für junge Menschen. Dann wollten immer mehr Ältere auch „da rein“. Heute wächst Facebook nur noch bei den über 50-Jährigen. Die Jungen flüchten zu TikTok. Und auch hier folgen ihnen nun die Älteren.
Und in der Arbeitswelt soll es dann umgekehrt sein – da sollen sich die Jungen das, was den Älteren zusteht, erst erarbeiten?
Oder die Älteren erwarten, dass die Jüngeren sogar mehr machen, damit sie selbst nicht mehr „so hart ran“ müssen. Die Jungen sehen das aber nicht ein. Sie gehen um 17 Uhr, die Führungskraft muss dringende Aufgaben selbst zu Ende bringen und bekommt zu hören: „Da musst du halt besser koordinieren.“ Und im Grunde ist das oft nicht falsch.
Und wie geht die Führungskraft, das Unternehmen nun damit um?
Ich empfehle tatsächlich, einmal die eigenen Prozesse zu überdenken. Und man sollte sich klar machen, wer ins Unternehmen passt und wer nicht. Nachwuchskräfte, die nicht passen, sollten sie nicht einstellen – auch und gerade in Zeiten von Fachkräftemangel nicht. Unternehmen dürfen sich vom soziodemografischen Wandel nicht erpressen lassen. Wer sich auf Kompromisse einlässt, wird irgendwann die eigene Firma nicht wiedererkennen. Motivation und Qualität sinken – und am Ende gehen die Leute. Wenn ich nicht die richtigen Leute bekomme, prüfe ich lieber, ob ich bestimmte Prozesse so anpassen kann, dass sie mit weniger Leuten funktionieren.
Aber ganz ohne Nachwuchskräfte geht es ja nicht. Wie finden Unternehmen denn die richtigen Leute?
Auch die Personaler sollten ihr Vorgehen überdenken. Entscheidend ist nicht, möglichst viele Bewerber einzuladen, sondern – gerade wegen des Fachkräftemangels und des demografischen Wandels – beim Nachwuchs nur noch auf Qualität zu achten. Denn die jungen Leute, die ich gefunden habe, brauche ich dringend und will sie halten.
Statt an zwei Tagen zehn Vorstellungsgespräche zu führen, investiere ich die gleiche Zeit in die zwei Top-Kandidaten. So können sich beide Seiten gegenseitig viel besser kennenlernen. Wichtig dabei: Auch das Team muss ich einbinden. Kandidaten sollen sich im Betrieb umschauen und sich mit den künftigen Kollegen unterhalten. Denn wer könnte einen besseren und authentischeren Eindruck vom Arbeitsklima vermitteln?
Wie gewinne ich diese Top-Kandidaten?
Indem ich Begehrlichkeiten schaffe. Indem ich signalisiere: „Wir nehmen nur die Besten!“ Das weckt den Stolz, zu den Besten zugehören, den Stolz auf das, was ich selbst erreicht habe.
Ein anderer wichtiger Aspekt ist das Arbeitsklima. In unseren Umfragen sagen 88,4 Prozent der jungen Menschen, dass sie ein gutes Arbeitsklima wollen.
Was wünschen sich die Jüngeren von ihrem Arbeitsumfeld? Gibt es da Unterschiede zwischen den Generationen?
Sowohl die Jüngeren als auch die Älteren wünschen sich ein gutes Arbeitsklima. Aber das, was sie damit meinen, unterscheidet sich. Die Babyboomer verstehen unter gutem Arbeitsklima: dass nicht übereinander gelästert wird, dass mir keine Informationen vorenthalten werden, dass ich fair bezahlt und behandelt werde, dass ich mich auf mein Team verlassen kann. Arbeitsklima wird also auf das Kollektiv bezogen – nicht darauf, was ich einbringen kann.
Für die Generation Z zählt: dass ich als Individuum wahrgenommen werde, dass meine Fähigkeiten gesehen werden und ich mit meinen Skills sofort loslegen kann, dass ich dabei 24/7 auf meinem Vorgesetzten zugreifen kann – aber nicht umgekehrt. Alles eher egozentrisch.
Das heißt die Jüngeren haben einen völlig anderen Blick auf die Arbeitswelt und den Umgang miteinander. Sie legen außerdem mehr Wert auf klare Strukturen und weniger Grauzonen.
Haben die Jungen auch andere Ansprüche an Führung?
Die Anforderungen an Führung haben sich nicht groß geändert, aber heute müssen sie gelebt werden. Auch die Älteren haben sich nie einen Choleriker als Chef gewünscht. Aber sie haben ihn geduldet. Heute verlassen die Leute das Unternehmen. Positiv formuliert: Die Jungen fordern heute das Gute heraus, das wir früher auch schon gerne gehabt hätten.
Wir haben eingangs darüber gesprochen, dass die Älteren den Jungen in den Sozialen Medien im doppelten Sinne folgen. Ist dort auch der beste Ort, um junge Menschen konkret anzuwerben?
In den Sozialen Medien ist der „War of Attention“ extrem stark. Das heißt, es ist unheimlich schwierig, dort ihre Aufmerksamkeit zu bekommen. Die jungen Leute wollen auch nicht unbedingt noch mehr Digitales – vor allem keine lustigen Tänze auf TikTok, die nicht die Realität widerspiegeln. Sie wünschen sich vielmehr etwas Physisches und Authentisches: etwa einen Tag der Offenen Tür oder Messen. Eine äußerst gute „Conversion Rate“ haben übrigens Praktika. Dabei erkennen Unternehmen und Nachwuchskraft am besten, ob es passt oder nicht – wenn es später um die Festanstellung geht.
Liegen in der Zusammenarbeit von Alt und Jung besondere Potenziale?
Die Potenziale liegen im kreativen Austausch, in neuen Perspektiven. Die Jüngeren können die Älteren auf „neue Gedanken“ bringen, gleichzeitig können sie aber auch von deren Erfahrungswerten lernen. Es ist einfach wichtig, wertfrei der jeweils anderen Generation zuzuhören, gegenseitiges Verständnis zu entwickeln und nach Schnittstellen zu suchen. Ein gutes Beispiel hierfür ist das Reverse Mentoring.
Darauf müssen sich beide Seiten einlassen – dann liegt in der Zusammenarbeit der Generationen durchaus Potenzial.

Rüdiger Maas leitet das Institut für Generationenforschung in Augsburg. Der promovierte Psychologe erforscht, wie sich die verschiedenen Generationen in Deutschland untereinander beeinflussen. Zu seinen Büchern zählt „Generation Z für Personaler und Führungskräfte“, „Konflikte der Generationen“ und „Generation arbeitsunfähig“.