Zwei Frauen zeigen, wie Nachfolge gelingt

04.03.2025 - Lesezeit: 12 Minuten

Geteiltes Bild, links eine Frau in Arbeitskleidung und Bauhelm in der Hand, rechts eine Frau am Gleisbett stehend, die Arme verschränkt
Zwei Frauen zeigen, wie Nachfolge gelingt

Larissa Zeichhardt übernimmt nach dem Tod ihres Vaters die LAT-Gruppe, Anja Knoll per Management Buy-Out die Tinglev Elementfabrik – und sie denken mit „Veränderungsmut“ das Thema Führung neu. Der Erfolg gibt beiden Nachfolgerinnen recht.

Unternehmen suchen Nachfolge-Lösungen

Für etwa 8.600 Unternehmen in Berlin ist Nachfolge ein großes Thema. Oftmals gibt es bei kleineren Familienbetrieben keine Nachfolge-Regelungen, weil die Kinder andere berufliche Pläne verfolgen. So war es auch bei Larissa Zeichhardt. Sie wurde Elektroingenieurin, erwarb einen Master of International Business, machte Karriere bei Ball Packaging Europe. Als sie vom Tod ihres Vaters erfuhr, ließ sie sich freistellen, um ihre Schwester zu unterstützen, die bereits im Unternehmen arbeitete. Ihr direktes Ziel: Arbeitsplätze sichern, Auftraggeber bewahren, Vertrauen gewinnen. 

Schnell war klar: Die Schwestern wollen das Unternehmen als Doppelspitze führen. Sie machten etwas Kluges und baten um Hilfe. Ein Familiencoaching brachte sie dahin, sich über ihre Wünsche klar zu werden. „Viele Unternehmen sind daran zugrunde gegangen, dass sich die Erben zerstritten haben“, sagt Larissa Zeichhardt. Bis heute gibt es bei LAT alle zwei Jahre einen „Check-in“, um zu prüfen: Wie läuft es?

Nachfolge durch Verkauf

Es muss nicht die Tochter oder der Sohn sein, der das Unternehmen weiterführt. Gefragt sind auch Nachfolger*innen, die von außen einsteigen. So wie die Bauingenieurin Anja Knoll, die 2021 die Tinglev Elementfabrik in Altlandsberg übernommen hat. Der Betrieb produziert leichtgewichtige Fertigelemente aus Blähbeton für den Wohnungs- und Gewerbebau. 

In den Produktionshallen ziehen Walzen über 120 Meter lange Tische, auf denen die Wände vorgefertigt werden. Und das alles „ohne chemischen Budenzauber und mit minimalem Energieeinsatz“, erklärt Anja Knoll. Sie führt im Blaumann durch den Betrieb, greift mit der Hand ins Rohmaterial. Das Zementgemisch mit porösen Gesteinskörnern erzeugt später im Gebäude ein nahezu ideales Raumklima, kühl im Sommer, wärmespeichernd im Winter. Die in Skandinavien verbreitete Bauweise hat sie schnell überzeugt, als sie 2017 nach fast 20 Jahren Erfahrung im schlüsselfertigen Bauen als Geschäftsführerin ins Unternehmen einstieg. Tinglev wurde 1989 als Tochter einer dänischen Firma gegründet, 2011 von der norwegischen Contiga Group gekauft und ging später für kurze Zeit an Heidelberg Materials. 2021 wurde Anja Knoll gefragt, ob sie die Firma bei einem Management Buy-Out kaufen wollte. Sie wollte. „Seitdem ist die Firma wieder inhabergeführt“, sagt sie. „Wir sind allein überlebensfähig, weil hier immer gut gewirtschaftet wurde.“ 

Freiheit ohne Erblasten

In Brandenburg bereiten sich zurzeit allein im Handwerk rund 3.700 Unternehmen auf den Stabwechsel an die nächste Generation vor. Externe Nachfolger*innen können meist auf ein bewährtes Geschäftsmodell zurückgreifen, dazu kommen Kundenstamm, Lieferanten und Mitarbeiter*innen. Auch Anja Knoll profitiert davon. Als sie kaufte, war sie schon vier Jahre im Unternehmen, überzeugt von den Zahlen, vom Produkt und vom weltoffenen Team. Die internationale Belegschaft sei „hygge-verrückt“, sagt sie und fördert die Wohlfühlatmosphäre mit Gesundheits- und Sportangeboten, einer Kantine mit eigenem Koch und mit Firmenwohnungen. Mit flexiblen Arbeitszeiten will sie mehr Frauen in die handwerkliche Produktion bringen und öffnet Türen durch Qualifizierung, Aus- und Weiterbildung.

Der Vorteil einer externen Übernahme? „Ich kann freier handeln. Themen lassen sich neutraler bewerten, es lastet keine ehemalige Entscheidung meiner Mutter, meines Vaters, meines Onkels auf einem Prozess.“ Als der Konzern ausstieg, ergriff Anja Knoll die Chance, Tinglev wie ein Startup aufzubauen – mithilfe der Berliner Volksbank, die sie seitdem als kompetenter Partner begleitet. Die Entscheidung, sich als Gründer neu aufzustellen, ging zusammen mit dem Change-Prozess, erzählt sie. „Ich achte die Tradition, aber möchte eine eigene Geschichte erzählen, bei der mehr Stimmen zu Wort kommen.“ In der Praxis heißt das: kleinere Teams mit starken Führungskräften, Verantwortung auf mehreren Schultern, schnellere Rotation. Dazu gehöre auch, dass sie selbst in nicht allzu ferner Zeit an die nächste Generation übergeben will, sagt Anja Knoll.

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Zweite Generation: Der Mut, etwas zu verändern

Bei LAT traten die Nachfolgerinnen hingegen ein Erbe an, das ihr Vater 46 Jahre lang aufgebaut hatte: ein komplexes Portfolio vom Spezialtiefbau bis hin zur Sicherheits- und Netzwerktechnik. Dazu eine patriarchale Führungskultur. „Anfangs gab es Stimmen, die zwei Frauen im Tiefbau wenig zutrauten“, erzählt Larissa Zeichhardt. „Intern wussten eigentlich alle, dass wir es gemeinsam schaffen.“ Die Führungsverantwortung teilten sie auf. Larissa Zeichhardt wird Geschäftsführerin der LAT-Funkanlagen Service GmbH, Arabelle Laternser verantwortet die LAT Fernmelde-Montagen und Tiefbau GmbH. Zwei weitere Schwestern sind Gesellschafterinnen. 

Die neuen Chefinnen bauen Hierarchien ab, lassen Mitarbeiter*innen ihre Expertise positionsunabhängig ausleben, setzen Apps und Robotertechnologien auf der Baustelle ein. „Wir sind deutlich agiler geworden, das Tempo hat sich erhöht, und wir haben etwas entwickelt, das wir ‚Veränderungsmut‘ nennen“, sagt Larissa Zeichhardt. „Damit ist unser gesamtes Team in der Lage, neue Arbeitsweisen und Technologien schneller zu erschließen.“ So erprobt die LAT-Gruppe gerade den Einsatz von Künstlicher Intelligenz für Sicherheitssysteme. Arbeitet mit Unterstützung des Bundesverkehrsministeriums an der Realisation von Smart City. Entwickelt eine 5G-Antenne für den ÖPNV. 

Larissa Zeichhardt hat es nie bereut, ihre früheren Karrierepläne über Bord zu werfen. „Uns haben Werte durch die Nachfolge gebracht. Und der oberste Wert ist Zusammenhalt, das hat mein Vater schon aufgebaut“, sagt die LAT-Geschäftsführerin. „Ich sage immer, unser Team hat LAT auf dem Herzen tätowiert.“ Damit das so bleibt, sind familienfreundliche, flexible Arbeitszeiten und Gesundheitsangebote selbstverständlich. Zeichhardt wünscht sich mehr Frauen auf die Baustellen und in Führungspositionen. Sie setzt auf Netzwerke wie Women in Mobility, beteiligt sich an interessanten Start-ups und engagiert sich bei der Non-Profit-Organisation „Startup Teens“. Während ihre Schwester eher im Hintergrund wirkt, absolviert Larissa Zeichhardt ein beachtliches Pensum in zahlreichen Gremien, unter anderem ist sie im Aufsichtsrat der Berliner Wasserbetriebe und der Berliner Volksbank.

Die Strahlkraft von Preisen

Für den Mut, Führung bei LAT neu zu denken, hagelt es Preise und Ehrungen. „Ein Booster für uns kleinen Tiefbaubetrieb – eine Bestätigung, dass unsere Veränderung richtig ist“, sagt Larissa Zeichhardt. Ähnliche Superkraft entfaltet der „Zukunftspreis Brandenburg 2023“ beim Tinglev-Team, das der Preisstatue sogar einen Schrein im Eingangsbereich gebaut hat. „Es bedeutet uns unglaublich viel, dass Bauen und Wohnen als Zukunftsthemen gewürdigt werden“, sagt Anja Knoll. 

Als Nachfolgerin gelingt Anja Knoll ebenso wie Larissa Zeichhardt der Spagat zwischen Traditionsliebe und Fortschrittslust. Sie glauben an die Verteilung der Verantwortung und die Innovationskraft von divers aufgestellten Teams. Für das Handwerk brennen beide Unternehmerinnen. „Im Handwerk liegt die Zukunft, weil es das Land am Laufen hält und weil Menschen gerne etwas erschaffen“, ist sich Anja Knoll sicher. „Das ist das eigentliche kreative Abenteuer der Zukunft.“

Drei Nachfolge-Tipps von Larissa Zeichhardt, Mitglied und Kundin der Berliner Volksbank:

  1. Frühzeitig ein Netzwerk mit anderen Nachfolger*innen pflegen, um zu verstehen, was Unternehmertum bedeutet, bevor der Fall eintritt.
  2. Im Falle einer plötzlichen Nachfolge Experten zu Rate ziehen. Es bedarf nicht nur einer guten betriebswirtschaftlichen Strategie, sondern auch guter Psychologie für einen klaren Kopf. Im Familienunternehmen spielen Emotionen immer mit. 
  3. Einen „Was wäre, wenn?"-Zettel in der Tasche haben, der den schlimmsten Fall als Plan A, B und C durchspielt. Bei LAT hieß es, für die ersten 30 Tage das Vertrauen der Mitarbeiter*innen, Kund*innen und Banken zu erhalten, Löhne zu sichern und klare Ansagen zu machen, in wessen Händen jetzt die Leitung des Unternehmens liegt. In den darauffolgenden 60 Tagen werden die rechtlichen Rahmenbedingungen neu justiert und die Liquidität für die kommenden drei Jahre sichergestellt.

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