Lana Wittig will den modernen Feminismus weiter vorantreiben.
05.05.2022 - Lesezeit: 6 Minuten
Gleichberechtigung und New Work: Lana Wittig ist seit mehr als einem Jahr die neue Geschäftsführerin der feministischen Medienplattform Edition F. Ihre Mission? Modernen Feminismus weiter vorantreiben. Ihr Verständnis von Female Leadership? Menschen in ihrer Gesamtheit sehen und nicht nur als Ressource. Das Gespräch mit ihr fand in den letzten Wochen ihrer Schwangerschaft statt. Mittlerweile hat sie ihr Kind zur Welt gebracht.
Die neue Geschäftsführerin des feministischen Medienunternehmens Edition F ist schon eine Weile im Amt. Und es gäbe viel zu bereden über den Zustand des Feminismus in Deutschland, über die GenderPay Gap, über Female Leadership, New Work und mehr. Aber es ist auch so, dass Lana Wittig schwanger ist, das Baby kommt in wenigen Wochen. Wittig, 36 Jahre alt, lange braune Haare, schwarzer Blazer über braunem Kleid, Turnschuhe, steht in der schmalen Büroküche einer Hochparterrewohnung in Prenzlauer Berg, den Räumlichkeiten von Edition F, macht sich einen koffeinfreien Kaffee, lächelt schief, blickt müde. Und die Frage, die sich vordrängelt, ist: Wie geht es weiter, wenn das Baby da ist? Nachdem Lana Wittig doch erst 2021 übernommen hat. Ob sie dann schon wieder raus ist aus der Führungsposition für ein Jahr Elternzeit oder zwei?
Gleichberechtigung: Wenn Frauen andere Fragen gestellt bekommen als Männer
Lana Wittig guckt unzufrieden. Vielleicht weil sie findet, dass das Gespräch in die falsche Richtung driftet ehe es überhaupt losgeht. Und es ist ja richtig, dass Frauen oft Fragen bekommen, die Männer nie beantworten müssen. Sie werden nach der Vereinbarkeit von Beruf und Familie gefragt zum Beispiel, Männer nicht. Lana Wittig sagt: „Ich will nach dem Wochenbett wieder Teilzeit ins Büro kommen. Mein Partner hat große Lust auf ,Stay-at-home-Dad‘-Sein.“
Tatsächlich machen das ja die wenigsten Väter in Deutschland. Womit Wittig doch beim Thema gelandet ist: „Ich stelle immer wieder fest: Gleichberechtigung hat viel mit Familie zu tun. Die meiste Care-Arbeit wird hierzulande noch von Frauen übernommen.“ Wer räumt die Spülmaschine aus? Wer geht mit der Tochter zum Kieferorthopäden? Wer pflegt Opa? Wer wird bezahlt? – Fragen, an denen sich zeigt, wer die Macht hat, wer eine vernünftige Rente bekommt, wie gleichberechtigt es im Privatleben zugeht, im Beruf und in der Gesellschaft.
Edition F ist 2014 angetreten, solche Themen zu behandeln. Als „digitales Business- und Lifestyle-Magazin für Frauen in der Lücke zwischen intellektuell wenig herausfordernden Frauenmagazinen und Wirtschaftsmagazinen, die eher auf Männer ausgerichtet sind“, so Nora-Vanessa Wohlert, eine der Gründerinnen des Startups. Inzwischen ist Edition F längst ein finanziell unabhängiges Unternehmen. Das ist auch Lana Wittigs Verdienst.
Es war keine schnurgerade Straße, die sie zu Edition F geführt hat. Die Berufsberaterin an der Schule in Reinickendorf hatte ihr vorgeschlagen, Immobilienmaklerin zu werden. Wittig zog lieber in eine WG, ging viel aus, schmiss kurz vor dem Abitur die Schule, jobbte in einem Coffee-Shop. „Ich bin immer gut zurechtgekommen. Ich halte viel von Learning-by-doing. Und das Wissen, das ich brauche, eigne ich mir an.“ Es ist klar: Lana Wittig ist eine, die ihren Weg geht.
Damals funktionierte das so: Die Freundin eines Freundes, den Wittig aus dem Nachtleben kannte, hatte sich den Knöchel gebrochen. Und weil diese Frau Stylistin war und Wittig einen goldfarbenen Ford von ihrer Oma besaß, fuhr sie jetzt die Stylistin zu den Terminen. So landete Wittig bei einem Plattenlabel, managte Indie-Rockbands oder Künstlerinnen und Künstler, die von ihrer elektronischen Musik zu leben versuchten. Als Wittig genug von der Musikbranche hatte, machte sie eine Ausbildung zur Pilates-Lehrerin, belegte einen Französischkurs an der Volkshochschule, stieß auf die Stellenanzeige von Edition F. Eine Person für Marketing und Sales wurde gesucht.
Lana Wittig: Female Leadership für Edition F.
Das ist fünf Jahre her. Seither hat Wittig für Edition F Werbepartnerschaften eingefädelt, Employer-Branding-Kampagnen entwickelt, einen Podcast aufgenommen, Edition F auf eigene Füße gestellt, gezeigt, was sie unter Female Leadership versteht. Dass Menschen in ihrer Gesamtheit und nicht nur als Ressource gesehen werden etwa. Wittig sitzt auf einem blauen Sofa, es ist jetzt ihr Büro, draußen vor dem Fenster winkt ein Kirschbaum vom leicht räudigen Hinterhof herein, an der Wand hängt ein Poster, es sagt: „I’m here for the cake“.
Natürlich ist das nur der Anfang. Gerade versuchen sie den Event-Bereich trotz Corona wieder anzuschieben. Im September hat der Female Future Force Day stattgefunden als virtuelle Konferenz mit über 60 Vortragenden, Ende Oktober die Verleihung des Edition F Awards – 17 Personen haben sie ausgezeichnet, darunter die Zukunftsdenkerin Lucy Larbi und die Künstliche Intelligenz-Expertin Kenza Ait Si Abbou Lyadini. Sie bringen neue Podcasts auf den Weg, einen mit Frauen in der Wissenschaft und einen für gestresste Eltern, Artikel wie: „Wir haben elf Männer in den Weltraum geschickt und keine einzige Frau“. Mit „Wir“ ist Deutschland gemeint. Immer geht es darum, Dinge in Bewegung zu setzen, Feminismus voranzutreiben.
New Work: Arbeit muss zum Leben passen
Lana Wittig sagt, sie entspannt, wenn sie ausgestreckt auf einem Liegestuhl auf ihrem Laubengrundstück liegt, Rauhaardackel auf dem Schoß. Aber gerade sind Liegestuhl und Hund weit weg – jetzt, wo sie sich ein bisschen warm geredet hat. Was sie unter Feminismus versteht? „Gleichberechtigung für alle Geschlechter.“ Und: „Immer noch werden in diesem Land Frauen schlechter bezahlt als Männer.“ Ihre Vorstellung von New Work? „Arbeit so denken, dass sie zu unserem Leben passt: mit flexiblen Zeitmodellen und mehr.“ Und: „Wir tun gut daran, die Welt, in der wir leben auch in unserer Arbeit abzubilden. Das heißt, dass wir auch People of Color, Menschen unterschiedlichen Geschlechts sowie mit unterschiedlichen Bildungshintergründen Teil haben lassen.“
Bei Edition F bauen sie dazu gerade ein Coaching-Angebot auf – auch das gehört zu dem, was Lana Wittig unter Female Leadership versteht. Sie nestelt an einer Papiertüte, nibbelt an einem Croissant, sie könnte lange weiterreden, bis Gerechtigkeit herrscht, wird es dauern, sie will jetzt Schluss machen. Auf dem Weg zur Tür läuft sie an der Wand vorbei, wo sie eine Neonschrift aufgehängt haben. Sie könnte als Kommentar auf den Feminismus in Deutschland funktionieren oder als Grußwort an die Person Lana Wittig oder einfach als Schlusssatz. Die Schrift sagt: „Edition F: Happy to have you here!“
Edition F
Edition F wurde 2014 von Nora-Vanessa Wohlert und Susann Hoffmann als Startup in Berlin gegründet. Das Onlinemagazin für Frauen konnte Investitionen in Höhe von 100.000 Euro einsammeln. Nach einer weiteren Finanzierungsrunde wurde das Unternehmen auf einen Wert von vier Millionen Euro geschätzt. Bis 2016 erhielt es insgesamt 850.000 Euro und zählte 500.000 Besucherinnen und Besucher im Monat. Inzwischen steht die Edition F GmbH finanziell auf eigenen Füßen, die beiden Gründerinnen sind mit jeweils 37 Prozent beteiligt. Am 1. Januar 2021 übernahm Lana Wittig den Geschäftsführerinnenposten. Sie fungierte vorher als Leiterin des Brand-Partnership-Teams. Mit redaktionellem Content, regelmäßigen Live-, Video- sowie Audioformaten bietet das 20-köpfige Team von Edition F weiterhin wirtschaftlich, politisch und gesellschaftlich relevante Impulse und ein Netzwerk für mehr Emanzipation und Gleichberechtigung. Siehe auch: editionf.com