Wenn Power Couples die Unternehmensnachfolge antreten
14.03.2024 - Lesezeit: 5 Minuten
Mal muss der Generationenwechsel sehr schnell gehen, mal kann die Unternehmensnachfolge in Ruhe geplant werden: Bei G. Rhauda in Potsdam hat die Familie von einem Tag auf den anderen übernommen, se.services in Schulzendorf leiten zwei frühere Beschäftigte – mit deutlich mehr Vorlauf.
Plötzlich ist alles ganz anders: 2015 verstirbt Günther Rhauda unerwartet. Seit 1990 hat er die G. Rhauda Gebäudereinigung erfolgreich aufgebaut und geleitet. Ein Machertyp der alten Schule, der bis zuletzt jeden seiner Mitarbeiter persönlich kennt und sich nicht scheut, selbst anzupacken. Sein Motto: „Wir reinigen alles“.
Der Schock ist groß. Und das nicht nur auf menschlicher Ebene, denn eine Übergabe der Firma hat der Chef nicht vorbereitet. Tochter Ginette Rhauda betreut das Marketing, Schwiegersohn Enrico Rhauda ist stellvertretender Geschäftsführer. Die beiden handeln unverzüglich. „Wir sind aus dem Krankenhaus direkt in die Firma gefahren, um unsere Mitarbeiter zu informieren“, erinnert sich Enrico Rhauda. „Wir haben sofort klargestellt: Wir sind für euch da und führen das Unternehmen mit aller Kraft weiter.“ Ein wichtiger Schritt: „Unsere Mitarbeiter haben uns Rückendeckung signalisiert.“ Das operative Geschäft läuft erstmal wie gewohnt weiter, erzählt Enrico Rhauda, „Ginette und ich kannten das Unternehmen ja aus dem Effeff.“ Kund*innen waren anfangs trotzdem irritiert: „Jeder hat die Firma mit Günther verbunden, und die erste Frage lautete meist: ‚Wo ist der Schwiegerpapa?‘“
Unternehmensnachfolge will geplant sein
Geplanter verläuft die Unternehmensübergabe beim Schulzendorfer Elektrotechnik-Dienstleister se.services GmbH. 2021 kaufen Phillip Mally und Marina Schöning die 1958 gegründete Firma, bei der sie zuvor angestellt waren. Ein gewaltiger Schritt für die beiden, den sie sehr bedacht angehen. Bereits zwei Jahre war Marina Schöning von den „alten“ Geschäftsführern gefragt worden, ob sie sich vorstellen könne, die Nachfolge bei se.services zu übernehmen: „Ich habe erstmal ‚nein‘ gesagt.“ Damals arbeitet Schöning als Controllerin im Unternehmen. Sie scheut ein wenig die Verantwortung – und auch die finanzielle Belastung, denn das Eigenheim ist gerade frisch gebaut. Ein Jahr lang lässt sie sich Zeit, überlegt gründlich, bespricht alles mit ihrem Lebenspartner. Und sagt schließlich doch zu.
Für Phillip Mally ist der Entschluss schneller gefasst: Bei se.services hat er als Lehrling angefangen, arbeitet dort inzwischen als Projektleiter. „Mein Wunsch und mein Ziel war es, einmal in die Geschäftsführung einzutreten“, sagt Mally. „Als man mich gefragt hat, habe ich daher – nach Rücksprache mit meiner Partnerin – ‚ja‘ gesagt.“
Von der Zettelwirtschaft zu digitalen Workflows
Bei der Rhauda Gebäudereinigung signalisieren die neuen Chefs, etwa durch einen internen Newsletter und eine rege Social-Media-Präsenz, dass sie alles im Griff haben und es wie gewohnt weitergeht. Das beruhigt die Kund*innen und vor allem die mehr als 100 Mitarbeiter*innen. Die Rhaudas selbst suchen sich Unterstützung bei einem befreundeten Steuerbüro, einer Anwaltskanzlei und der Berliner Volksbank. Günthers Witwe Marina Rhauda steht den beiden zur Seite, kümmert sich auch um das anfangs erst vier Monate alte Kind.
Die unerwartete Herausforderung: Als Unternehmer der alten Schule hat Günther Rhauda seinen Nachfolgern eine Zettelwirtschaft hinterlassen. „Mein Papa hatte einfach alles im Kopf, es gab kaum Akten“, erinnert sich Ginette Rhauda. Enrico Rhauda ergänzt: „Mein Job als neuer Geschäftsführer bestand anfangs vor allem darin, seine Mitschriften zu verstehen, auch kalkulatorisch, um das Unternehmen langfristig am Laufen zu halten.“ Heute ist das Unternehmen komplett digitalisiert, Zeiterfassung und Kommunikation mit den Mitarbeiter*innen laufen über eine App.
Die Digitalisierung ist nicht der einzige Impuls des Ehepaars an der Firmenspitze: Neben der Gebäudereinigung fokussiert sich das inzwischen in G. Rhauda GmbH umbenannte Unternehmen auf die Fußbodensanierung als zweites Standbein. „Unseren Kunden diese Neupositionierung zu vermitteln und sie zu überzeugen, dass bei uns alles in der gewohnten Qualität weiterläuft, war zunächst nicht leicht“, sagt Enrico Rhauda. Auch in Sachen Nachhaltigkeit gehen die Rhaudas neue Wege: Statt auf Chemie setzt das Unternehmen in der Reinigung – umwelt- und mitarbeiterfreundlich – auf ozonisiertes Wasser. Robotik soll die Mitarbeiter von schweren Arbeiten entlasten und Abläufe effizienter machen.
Nachfolge mit Transparenz – und viel Kommunikation
Marina Schöning und Phillip Mally bei se.services erhalten zwar über die Berliner Volksbank eine Gründungs- und Nachfolgeförderung, doch der Rollenwechsel ist hart und das eigene finanzielle Risiko hoch. Zusätzlich muss die neue Doppelspitze sofort in den Krisenmodus schalten, die Folgen von Corona und Ukraine-Krieg führen zu Lieferengpässen und Preissteigerungen beim Material.
Nicht nur deshalb zeigen sich einige der rund 130 Mitarbeiter*innen von se.services verunsichert. „Es ist ein großer Vorteil, wenn man aus den eigenen Reihen kommt – es kann aber auch von Nachteil sein“, sagt Phillip Mally. „Unsere Mitarbeiter kennen unsere Stärken ebenso wie unsere Schwächen. Über die Jahre haben sich Freundschaften entwickelt, die während der Arbeitszeit keinen Einfluss auf Entscheidungen nehmen dürfen.“ Um sämtliche Mitarbeiter*innen mitzunehmen, setzen Marina Schöning und Phillip Mally auf Transparenz und Motivation. Die Tür ihres Büros steht allen offen. Das neue Führungs-Duo bietet Prämien- und Sonderzahlungen an, Förderungen für Sport und Gesundheit. Dazu kommen persönliche Mitarbeiterbriefe und -gespräche. Mitarbeiterfeste und Monteurs-Stammtische festigen den Zusammenhalt. Ein modernes Ausbildungs- und Kompetenzzentrum bietet neben Seminarräumen auch Räume für Unternehmensfeste und WG-Zimmer für Auszubildende.
Rollenwechsel für eine erfolgreiche Zukunft
Den Power Couples an der Spitze von se.services und G. Rhauda ist der Rollenwechsel in die Geschäftsführung gelungen. Die Unternehmen florieren unter der neuen Führung, fast alle Mitarbeiter*innen sind geblieben. „Die größte Herausforderung für mich war der Faktor Zeit“, resümiert Marina Schöning. „Wir haben in den letzten zwei Jahren vieles hinterfragt, um das Unternehmen gut weiterführen zu können.“
Ginette und Enrico Rhauda – beide begeisterte Surfer – sind bereits einen Schritt weiter und arbeiten an ihrem nächsten Projekt: Der Bau der Indoor-Surfanlage „Havelwelle“ an der Potsdamer Rehbrücke soll bald beginnen.