"Wissen, was hinter der nächsten Kurve kommt“

25.09..2024 - Lesezeit: 8 Minuten

"Wissen, was hinter der nächsten Kurve kommt“
"Wissen, was hinter der nächsten Kurve kommt“

Wie entstehen Megatrends? Wie erkennen und nutzen Unternehmen für sie wichtige Megatrends? Darüber sprach Sven Gábor Jánszky beim TOP-Event des Unternehmer-Club Brandenburgs der Berliner Volksbank in Potsdam. Wir haben die Gelegenheit zu einem Interview mit dem Zukunftsforscher genutzt. 

Als Zukunftsforscher erkunden Sie die Macht der Megatrends für Wirtschaft und Gesellschaft, Herr Jánszky. Warum sollten sich Unternehmen schon heute auf einen Megatrend einstellen, der vielleicht erst in 10 oder 20 Jahren seine Wucht entfaltet?

Sven Gábor Jánszky: Solange nicht absehbar ist, ob wirklich etwas passiert, sollte man sich als Unternehmen natürlich zurückhalten. Doch zum Glück können wir in der Zukunftsforschung bestimmte Entwicklungen und Megatrends schon heute ganz gut einschätzen. Nicht aus dem Bauch heraus, sondern mit einer wissenschaftlichen Methodik, die Unternehmen für sich in die Praxis übertragen können. So lässt sich für den Zeitraum der kommenden zehn Jahre mit höchstwahrscheinlicher Wahrscheinlichkeit sagen, ob sich ein bestimmter Trend durchsetzt. Wer das als Unternehmer rechtzeitig weiß und sich entsprechend vorbereitet, wird mit reichlich Wachstum belohnt.

Innerhalb dieses Zeitraums kann ein Megatrend sich allerdings ganz schön wandeln. Wer vor zehn Jahren über KI, also Künstliche Intelligenz, sprach, erwähnte bestimmt Cyborgs. Stattdessen haben wir heute ChatGPT.

Jánszky: Wenn Medien von Cyborgs und Robotern schreiben und sprechen, hat das nicht unbedingt viel mit dem zu tun, was auf wissenschaftlichen Feldern diskutiert wird. Wir haben beispielsweise schon 2018 eine Studie, den „Kundendialog 2025“, veröffentlicht, in der Tools wie ChatGPT schon recht präzise beschrieben werden. Wir haben damals auch schon von Cognitive Agents gesprochen – deren Zeit wird spätestens nächstes Jahr kommen.

Was sind Cognitive Agents?

Jánszky: Cognitive Agents sind KI-Bots, die sprechen und schreiben können wie Menschen, weitgehend selbstständig Entscheidungen treffen: Sie können verhandeln, Verträge schließen und bezahlen. In wenigen Jahren werden die meisten ökonomischen Transaktionen direkt zwischen Millionen dieser Bots ablaufen. Auf so etwas stößt man nicht unbedingt, wenn man bei Google „Trends“ eingibt. Wenn man in dieser Bot-Economy Geschäft machen will, muss man sich mit solchen Themen schon intensiver beschäftigen.

Das sind Megatrends

Megatrends veranschaulichen einen langfristigen Wandel, der weltweit wirkt und sich tiefgreifend auf Gesellschaft und Wirtschaft auswirkt. Diese Trends beeinflussen Entwicklungen über Jahrzehnte hinweg und formen die Zukunft. Die zwölf wichtigsten Megatrends erforscht das Zukunftsinstitut – wir haben uns davon für diese Megatrend-Galerie inspirieren lassen.

Gesundheit

Alt werden? Gern, wenn wir dabei gesund bleiben. Dabei helfen neue Medikamente ebenso wie ein steigendes Bewusstsein dafür, sorgsam mit unserem Körper umzugehen. Deshalb spielen auch das betriebliche Gesundheitsmanagement und eine ausgewogene Work-Life-Balance wichtige Rollen. Sport und gesunde Ernährung zählt daher ebenso zum Megatrend „Gesundheit“ wie neue digitale Möglichkeiten, von der Telemedizin bis hin zu präzisen Gen-Analysen.

Globalisierung

Wir essen Trauben aus Chile und Äpfel aus Neuseeland. Umgekehrt verkaufen deutsche Konzerne mehr Autos in China als in ihrer Heimat. Und die Rohstoffe für neue Technologien kommen von überall auf der Welt: Zur Globalisierung gibt es keine sinnvolle Alternative. Gleichwohl sind die Zeiten der ungehinderten globalen Warenströme vorbei. Unternehmen haben erkannt: Zu viel Abhängigkeit in den Lieferketten macht erpressbar.

Mobilität

Das Auto ist des Deutschen liebstes Kind. Wird das so bleiben? Ersetzen Robotertaxis die privaten PKWs? Die Menschheit im 21. Jahrhundert ist mobiler als jemals zuvor, aber sie muss Mobilität neu denken. Für Unternehmen heißt das zum Beispiel: Logistik neu denken, mit abgestimmten Konzept, kürzeren Wegen und – wer weiß – vielleicht sogar mit Drohnen? Es geht um weit mehr als darum, wem die Straßen gehört.

Konnektivität

Noch vor 50 Jahren muss es wie Science-Fiction geklungen haben: Wir können das Wissen der Welt mit einem Gerät abrufen, das kaum größer ist als ein Portemonnaie. Mit demselben Gerät können wir ohne Zeitverlust direkt mit Milliarden Menschen auf der Welt kommunizieren. Alles ist mit allem verbunden – das gilt zunehmend auch für die Abläufe in der produzierenden Industrie. Und jetzt kommt auch noch die Künstliche Intelligenz …

Urbanisierung

55 Prozent aller Menschen leben in Städten, 1950 waren es nicht einmal 30 Prozent. Dieser anhaltende Megatrend sorgt für wuchernde Millionenstädte – die darauf nicht ausgelegt sind. Wie kann die Infrastruktur mitwachsen? Wie müssen wir „Stadt“ neu denken? Wie rücken wir die Arbeit wieder näher ans Wohnen? Und gibt es vielleicht sogar ein Comeback des Dorfs? So oder so: Urbanisierung muss gestaltet werden. Die Alternative ist Chaos.

Neo-Ökologie

Klimawandel, ein alter Hut? Man mag es nicht mehr hören, aber davon unbeeindruckt steigen die Temperaturen immer weiter und verändern unser Wetter. Nachhaltig zu wirtschaften muss weiterhin unser Ziel sein. Sonst verwandeln wir unseren blauen Planeten in einen graue Staubschüssel, in der nur noch das Seufzen des „Hätten wir mal rechtzeitig …“ zu hören ist – keine wirklich verlockende Aussicht.

Sicherheit

Die Digitalisierung hebt Sicherheitsthemen auf ein neues Level: Alles, was digital passiert, ist angreifbar – und wird tatsächlich angegriffen. Cybersicherheit in der digitalen Welt ist bei den Unternehmen als Top-Priorität angekommen. Das Bedürfnis nach Sicherheit wächst parallel in der analogen Welt: Urplötzlich steigt die Gefahr, in Kriege gezogen zu werden. Anschläge vermitteln eine erste Ahnung davon, was auf uns zukommen könnte – der Wunsch nach (mehr) Sicherheit steigt.

Individualisierung

Henry Ford würde sich an den Kopf fassen: Heute verlassen keine zwei Autos hintereinander das Band, die völlig gleich sind. Wir haben es gern individueller. Darin liegt für Unternehmen aller B2C-Branchen ein riesiges Potenzial, denn je besser sie verstehen, was die Verbraucher*innen wünschen, desto besser können sie es ihnen geben. Was dafür allerdings nötig ist: die Technologien, um diesen Wunsch nach Individualisierung auch bedienen zu können.

Silver Society

Frauen des Jahrgangs 1920 wurden durchschnittlich 65 Jahre alt, Männer starben schon mit 58 Jahren. Wer 2020 geboren wurde, wird durchschnittlich wohl länger als 80 Jahre leben. Dieser Trend zeigt sich bereits heute: Wer auf Rente geht, hat noch viele Jahre vor sich – und häufig genügend Geld, um sich Wünsche (endlich!) zu erfüllen. Für Unternehmen aller B2C-Branchen entwickelt sich eine zahlungskräftige Zielgruppe, die sich nicht zum „alten Eisen“ zählen will. Und gern zahlt, was das Leben angenehmer macht.

Gender Shift

Frauen kümmern sich um Kinder und Küche? Das ist vorgestrig. Frauen verändern die Welt – und damit die Unternehmen. Zum einen, weil sie eine zahlungskräftige Zielgruppe sind. Zum anderen – und das ist noch wichtiger –, weil sie mehr Einfluss in den Firmen nehmen. Und mit ihrem Input dafür sorgen, dass sie mit ihrem nicht-männlichen Blick neue Ideen zu neuen Marktchancen und -erfolgen führen. Die Zukunft ist deutlich weiblicher!

New Work

Niemand muss mehr ins Büro gehen, um Bürotätigkeiten zu erledigen. Das geht im Homeoffice häufig schneller und produktiver. Und sorgt zugleich für eine bessere Work-Life-Balance. Für Unternehmen heißt das, das Büro neu zu denken: als kreativen Ort zum Entwickeln und Austauschen von Ideen und Konzepten. Und plötzlich ist „New Work“ zugleich „Better Work“ – weil einfach mehr rumkommt.

Wissenskultur

Die Welt wird schlauer: Bildungsstandards wachsen weltweit – und verbreiten sich schneller als jemals zuvor (Konnektivität macht es möglich!). Zugleich verändert sich, wie wir lernen und wie wir mit Wissen umgehen. Fortbildungen werden digitaler – und dezentraler. Jede*r lernt, wie und wann er oder sie mag. Und dabei haben wir jetzt noch nicht einmal darüber geredet, welche Künstliche Intelligenz in dieser neuen Welt des Wissens spielen könnte …

Wer sich rechtzeitig auf Megatrends einstellt, sagen Sie, wird mit Wachstum belohnt. Wie können Unternehmen von Megatrends profitieren?

Jánszky: Auf sich allein gestellt: wahrscheinlich gar nicht. Das liegt daran, dass die Unternehmer und Manager sich zwar in ihrer Branche bestens auskennen, aber Megatrends meist branchenübergreifend sind. Davon hat man schon mal gehört, aber es nicht aufs eigene Unternehmen bezogen. Wohl kein Unternehmen hat auf KI oder auf den Green Deal gewartet, keines auf eine Energiekrise oder den Facharbeitermangel. Diese Trends kommen trotzdem und zwingen Unternehmen, zu reagieren. Wer vorbereitet ist, umgeht – oft lebensbedrohliche – Probleme. Konzerne beschäftigen deshalb eigene Experten, um für verschiedene Szenarien gewappnet zu sein. Für die meisten Mittelständler wäre das zu aufwändig. Sie brauchen zielführende Impulse von draußen.

Wie können solche Impulse von außen aufgenommen und umgesetzt werden?

Jánszky: Wir beispielsweise gehen in drei Schritten vor. Zuerst erkunden wir, welcher Megatrend für ein bestimmtes Unternehmen überhaupt relevant ist und wie die Zukunft der Branche aussieht. Der zweite Schritt leitet daraus ab, wie das Unternehmen in fünf Jahren aussehen muss, um weiterhin erfolgreich zu sein. Und der dritte Schritt ist die Umsetzung: Wie erreichen wir dieses Ziel?

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Bestimmt kommt es nicht bei allen Unternehmen gut an, wenn ihnen Branchenfremde sagen, dass sie jetzt das Ruder herumwerfen müssen, damit sie auf etwas vorbereitet sind, was in ein paar Jahren wichtig werden könnte …

Jánszky: Wir konfrontieren die Unternehmen ja nicht mit irgendwelchem Science-Fiction-Zeug. Die Manager erarbeiten selbst, wie sich ihre Branche aufgrund der Megatrends entwickeln wird. Das ist kein übergestülptes, sondern selbst angeeignetes Wissen – und ist dadurch auch wirklich verankert. Und dann passiert auch was.

Was passiert denn, wenn Unternehmen sich schon heute auf ihre Zukunft vorbereiten?

Jánszky: Es beginnt mit einem Sprung in die Zukunft: Wie sieht die bestmögliche Positionierung des Unternehmens in fünf Jahren aus? Sobald das geklärt ist, stellt sich die Frage: Wie kommen wir dahin? Um auf die richtigen Antworten zu kommen, setzen wir nicht heute an, sondern in 4,5 Jahren: Was muss ich in den letzten sechs Monaten tun, um das Ziel endgültig zu erreichen? Dann geht es noch ein halbes Jahr zurück: Was muss ich in diesem Zeitabschnitt tun? So geht es in Halbjahresschritten immer weiter zurück – bis zum heutigen Tag. Dieses Herangehen ist das Gegenteil einer Vorschau, eines Forecastings, und heißt deshalb Backcasting. Im ersten Moment scheint das völlig kontraintuitiv, ich weiß. Aber: Es funktioniert. Wenn ich mich per Backcasting in zehn Schritten zurück bis zum Heute gearbeitet habe, komme ich auf völlig andere erste Schritte – Schritte, die wirklich zum Ziel führen.

Muss sich das Unternehmen dafür auch organisatorisch und strukturell verändern?

Jánszky: Das ist der Normalfall. Ressourcen und Budgets müssen neu verteilt oder vielleicht Abteilungen neu aufgebaut werden. Ein „Weiter so!“ führt jedenfalls nicht zum Ziel.

„Prognosen sind schwierig, vor allem, wenn sie die Zukunft betreffen“ erkannte schon Mark Twain. Deshalb die Frage: Sollen die Unternehmen in diesen schnelllebigen Zeiten wirklich an einem Fünf-Jahres-Plan kleben?

Jánszky: Natürlich nicht. Der Vorteil eines Vorgehens mit einer wissenschaftlich gestützten Methodik liegt darin, dass die Zielannahmen unterfüttert sind. Anders gesagt: Es ist verlässlicher als ein Bauchgefühl. Wenn sich die Parameter verändern, muss das Unternehmen auch seine Ziele angleichen. Spätestens nach drei Jahren sollte ein Unternehmen seine Ziele und den Weg dorthin auf Konsistenz prüfen. Aber: Es ist ein Angleichen, dramatische Kurswechsel werden nicht nötig sein.

Wenn mir das als Unternehmer oder Manager alles zu aufwändig ist: Kann ich dann Megatrends ignorieren und einfach weiter erfolgreich sein?

Jánszky: Das wäre so, als würde man bei der Fahrt auf der Autobahn nur in den Rückspiegel schauen. Das kann eine Weile gut gehen, auf Dauer sicherlich nicht. Ein Unternehmen nur mit dem eigenen Erfahrungsschatz im Rücken steuern zu wollen, ist viel zu unsicher. Dafür ändert sich die Welt zu rasch. Besser ist es, nach vorn zu schauen: Ich will schließlich wissen, was hinter der nächsten Kurve kommt.

Zur Person

Sven Gábor Jánszky
Sven Gábor Jánszky

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