Warum das Lieferkettengesetz den gesamten Mittelstand trifft
19.09.2024 - Lesezeit: 4 Minuten
43 Prozent der Mittelständler müssen Daten zum Lieferkettengesetz erheben, obwohl sie vom Gesetz eigentlich gar nicht betroffen sind. Das sorgt für einen beachtlichen Mehraufwand in den Unternehmen – auf den sie selten vorbereitet sind.
Der Wandel zum nachhaltigen Wirtschaften ist das wohl aufregendste Projekt unserer Zeit, zugleich ein ziemlich anstrengendes. Jedes einzelne Unternehmen muss sich hinterfragen: Was läuft gut bei uns, was kann so bleiben, was müssen wir ändern? Die Transformation hin zu einer nachhaltigen Wirtschaft ist als Prozess zu verstehen, der den Alltag von Unternehmen über Jahrzehnte prägen wird. Als Berliner Volksbank wollen wir diese Transformation begleiten und gestalten – als Sparringpartner unserer Firmenkundinnen und -kunden.
Die entsprechende Expertise im Haus bauen wir gerade auf: Bis zum Jahresende werden sämtliche unserer Firmenkundenberater und -beraterinnen zertifiziert sein, um zu Nachhaltigkeitsfragen kompetent erste Auskünfte und Impulse zu geben. Parallel dazu entsteht ein Team von Beraterinnen und Beratern, die sich ausschließlich um Nachhaltigkeits- und ESG-Themen konzentrieren und sukzessive weiteres Know-how aufbauen. Wer mit dem Kürzel nicht so vertraut ist: Das E steht für Environment (Umwelt), das S für Social (Soziales) und das G für Governance, damit ist die Art und Weise der Unternehmensführung gemeint.
Wir sprechen mittlerweile lieber von ESG-Kriterien als von Nachhaltigkeit, da die meisten Menschen dabei ausschließlich an Umweltaspekte denken. ESG hingegen macht schon in seiner Bandbreite klar, wie viel weiter der Begriff gefasst ist. Es geht ebenso um den Umgang mit der eigenen Belegschaft, beispielsweise um unterschiedliche Lohnniveaus von Frauen und Männern oder auch um Möglichkeiten von „Whistleblowern“, auf Missstände in der Governance aufmerksam zu machen.
Betroffen vom Lieferkettengesetz sehen sich fast drei Viertel der für den Mittelstandsradar 2024 der LBBW befragten Unternehmen. Jeder vierte Mittelständler fällt laut Umfrage unter die gesetzlichen Vorgaben, beschäftigt also mindestens 1000 Mitarbeiter*innen. Deutlich mehr Mittelständler, nämlich 43 Prozent, sind indirekt betroffen. Obwohl kleiner, werden sie von ihren berichtspflichtigen Geschäftspartnern zur Mithilfe aufgefordert. Verweigern sie sich, droht ihnen laut Mittelstandsradar der Verlust von Aufträgen.
Lieferkettengesetz zeigt Wirkung
Die Gefahr ist real. Rund die Hälfte der betroffenen Unternehmen meidet laut Mittelstandsradar bereits jetzt risikoreiche Zulieferer. Jedes dritte Unternehmen möchte auf schwer überprüfbare Zulieferer verzichten. Gleichzeitig planen 29 Prozent der Befragten, sich aus risikoreichen Ländern zurückzuziehen.
Deutschland gehört nicht zu diesen risikoreichen Ländern. Das zeigt die Studie „Sorgfaltspflichten in der Lieferkette“ von Handelsblatt und Creditreform. Ein Ergebnis: Formal nicht vom LkSG betroffene Mittelständler achten schon heute intensiv (54,2 Prozent) oder teilweise (31,2 Prozent) auf ökologische und soziale Nachhaltigkeit entlang ihrer Lieferkette. Nur eine Minderheit von 7 Prozent lehnt aus Prinzip ab, Verantwortung für ihre Lieferketten zu übernehmen. Diese Prinzipientreue könnte ins Wanken geraten. Creditreform-Projektmanagerin Sabrina Kuss sagt: „Fast jedes Unternehmen wird unmittelbar und mittelbar vom Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz betroffen sein.“
Vom LkSG zum CSDDD
Künftig wird eine EU-Variante das deutsche Gesetz ergänzen – und verschärfen. Beim europäischen Lieferkettengesetz müssen Unternehmen ihre gesamte Lieferkette auf Verstöße gegen die Menschen- und Arbeitsrechte und den Umweltschutz durchforsten – also auch die Zulieferer der Zulieferer und deren Zulieferer. Zudem wird die Kontrolle von Verstößen noch strenger gehandhabt als beim deutschen Lieferkettengesetz.
Nach Unternehmensgröße gestaffelt, verpflichtet die Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD) bis 2029 europaweit immer mehr Unternehmen zu umfassenden Sorgfaltspflichten. Dann fallen auch Mittelständler ab 1000 Mitarbeiter*innen und 450 Mio. Euro Umsatz unter die CSDDD. Die deutsche Regierung hat Zeit bis 2026, die EU-Richtlinie in nationales Recht umzusetzen, sprich: Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz entsprechend anzupassen.
Aufwand an Bürokratie wächst
Damit wachsen die Pflichten für Mittelständler und das Risikomanagement gegenüber Lieferant*innen, Kund*innen und Geschäftspartner*innen enorm. Das Problem: Es gibt bislang keine verbindlichen Standards, wie der Informationsaustausch stattzufinden hat. Mittelständler berichten, dass die ihnen abgeforderten „Selbstverpflichtungen“ völlig unterschiedlich ausfallen. Mal wird ihnen ein 20-seitiger Verhaltenskodex (ohne weitere Aufgaben) geschickt, mal bekommen sie einen ausführlichen Online-Fragebogen. Der ebenso ausführlich zu beantworten ist.
Solche Fragebögen füllen sich nicht von allein aus. 36 Prozent der für die „Sorgfaltspflichten in der Lieferkette“-Studie befragten Mittelständler nennen die Datenbeschaffung als größte Herausforderung, 30 Prozent nennen die adäquate Dokumentation und Berichterstattung als Problem. Ein Grund dafür: Bei fast der Hälfte der Mittelständler basiert das Lieferkettenmanagement vorwiegend auf Excel. Das dürfte sich – Nebeneffekt des Lieferkettengesetzes – wohl ändern.
LkSG: Was können indirekt betroffene Unternehmen tun?
Schritt 1: Prüfen Sie, ob Menschenrechts- und/oder Umweltrisiken bei Ihrer eigenen Geschäftstätigkeit eine Rolle spielen können. Klären Sie, ob auch bei Ihren direkten Lieferanten solche Risiken bestehen.
Schritt 2: Welche Ihrer Geschäftspartner in Deutschland beschäftigen mehr als 1000 Mitarbeiter*innen und sind daher direkt vom Lieferkettengesetz betroffen? Sie können davon ausgehen, dass diese Unternehmen auf Sie zukommen werden.
Schritt 3: Falls bereits angeklopft wurde: Sammeln Sie die Fragen. So gewinnen Sie einen Überblick, welche Informationen wichtig sind. Finden Sie – soweit möglich – die Daten, um diese Fragen überzeugend zu beantworten.
Wer auf Schritt 3 nicht warten möchte: Um sich auf entsprechende Anfragen Ihrer Geschäftspartner vorzubereiten, können Sie sich beim Sammeln der relevanten Informationen am Standardfragebogen des BAFA orientieren.